»Hof – in Bayern ganz oben!« So lautet das Motto der oberfränkischen Stadt. Rund 46.000 Einwohner leben hier im Flusstal der Saale, zwischen Fichtelgebirge im Süden und dem Vogtland im Norden. Nicht oft steht Hof im Mittelpunkt des Interesses der Öffentlichkeit. Der Fall des Eisernen Vorhanges rückte die Stadt im Herbst 1989 in den Fokus. Und dann sind da noch die Internationalen Hofer Filmtage, die alljährlich seit 1967 Filmschaffende und Cineasten aus aller Herren Länder in die Stadt ziehen.
Durchaus freudige Anlässe und kein Vergleich zu dem, was sich hier seit letzter Woche abspielt, seitdem der hessische Arzt Sebastian Guevara Kamm den Hofer Rabbiner und Mohel David Goldberg angezeigt hat.
Aggressiv »Ich bin geschockt«, sagt Mirjam Goldberg, die Ehefrau des Rabbiners. Die Telefone stünden nicht mehr still, die
E-Mails sind nicht mehr zu zählen. Nicht alle sind es wert, beantwortet zu werden. »Wir haben viele böse Mails bekommen, manche sogar richtig aggressiv.« Bei Mirjam Goldberg kommen »alte Schmerzen« hoch. »Das Schlimmste ist, dass wir wieder das Gefühl haben, uns wegen unseres Glaubens verteidigen zu müssen.«
Was war geschehen? Wegen Körperverletzung hatte Guevara Kamm den Rabbiner angezeigt und sich auf das Urteil eines Kölner Gerichts berufen, wonach religiös motivierte Beschneidungen strafbar seien.
»Dabei ist die Brit Mila einer der wichtigsten Punkte der jüdischen Religion«, erklärt David Goldberg. »Seit gut 4.000 Jahren wird dadurch der Bund zwischen Mensch und Gott beschlossen.« Auch unter den schwierigsten äußeren Umständen seien jüdische Söhne am achten Tag beschnitten worden. »In diesem Alter hat das Baby noch keine ausgebildeten Nerven für das Schmerzempfinden«, so Goldberg.
Torarolle Der Rabbiner lebt seit 1999 in Hof. Sein Sohn Shimon wurde hier geboren und auch beschnitten. Es war die erste Beschneidung in Hof seit über 20 Jahren. Etwa zu dieser Zeit ist die Jüdische Gemeinde auch in ihr jetziges Domizil umgezogen, ein ehemaliges Schulhaus im Ortsteil Moschendorf. Vor dem Eingang zum Gebetsraum erinnert eine Tafel an die verstorbene Hofer Bürgermeisterin Doris Weber. Als junges Mädchen rettete sie eine Torarolle vor der Zerstörungswut der Nazis.
Heute zählt die Gemeinde rund 300 Mitglieder. Der Großteil kam erst nach 1990. Es sind Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, sogenannte Kontingentflüchtlinge. »In ihrer alten Heimat durften sie ihren Glauben nicht offen ausleben, und jetzt müssen sie wieder Angst haben, wenn sie ihre Söhne beschneiden wollen«, stellt Mirjam Goldberg fest.
Rechtssicherheit Es müsse endlich Rechtssicherheit her, findet Jakob Gonczarowski. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Hof verweist auf Artikel 2 und 4 des Grundgesetzes. Der eine garantiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit, der andere die Religionsfreiheit. »Sehen Sie«, sagt Gonczarowski, »das Grundgesetz wurde 1949 im Schatten des Zweiten Weltkriegs verabschiedet. Es kann nicht sein, dass der Gesetzgeber dabei nicht auch die religiöse Beschneidung im Kopf hatte.«
Hätte man damals irgendeine religiöse Handlung inakzeptabel gefunden, sie wäre in Artikel 4 des Grundgesetzes eingeschränkt worden, ist Gonczarowski sicher. Außerdem findet der 61-Jährige: Sollten die beiden Artikel des Grundgesetzes im Widerspruch stehen, »dann muss sich das Bundesverfassungsgericht darum kümmern, aber nicht das Kölner Landgericht«.
Halbwissen Nach diesem »völlig absurden« Urteil seien viele Ressentiments wieder aufgekommen. »Jetzt ist es geschehen, dass eine total unbeteiligte Person Strafanzeige gegen unseren Rabbiner gestellt hat«, sagt Gonczarowski. Plötzlich gebe es überall Fachleute, die ihre Meinung kundtun müssten. »Dieses Halbwissen ist gefährlich. Auf einmal wird die Beschneidung als Körperverletzung dargestellt und unsere Mohalim als brutale Metzger. Dabei ist für uns Juden, aber auch für Muslime, anhand der Schöpfungsgeschichte die körperliche Unversehrtheit eben durch die Beschneidung gegeben.«
Seit der Anzeige gegen ihren Mann hat Mirjam Goldberg versucht, Kritikern die Bedeutung der Beschneidung zu erklären. »Aber dann redet man wie gegen eine Wand«, ärgert sie sich. Auch Ruth Naomi Koch ist empört. »Diese Anzeige ist eine bodenlose Gemeinheit.« An der Debatte stört die Hofer Jüdin am meisten der antisemitische Unterton. »Ein fauler Baum trägt keine guten Früchte«, sagt sie mit Blick auf die Ursprünge der Diskussion. »Das Gedankengut hat die Zeit seit dem Krieg überdauert.«
Brisant Nach der Anzeige gegen seinen Vater hatte sich Goldbergs Sohn Shimon Gedanken gemacht, in welchem Land es für Juden wohl noch angenehm wäre zu leben. Israel und Amerika, überlegte er. »Da könntest du recht haben«, sagte seine Mutter darauf, und: »Ist das nicht schlimm?«
Die Situation ist brisant, ist sich Jakob Gonczarowski sicher und denkt dabei an antisemitische und fremdenfeindliche Trittbrettfahrer, die sich die Argumentation der Beschneidungsgegner zunutze machen. »Ich wünsche mir, dass in diesem Land Menschen aller Glaubensrichtungen zusammenleben können, ohne dass auf diese Art und Weise Emotionen geschürt werden, die dieses Zusammenleben stören können.«
Der Hofer an und für sich ist bodenständig. Er mag seinen »Wärschtlamo«, den Würstchenmann, der das Stadtbild prägt und eine lange Tradition hat. Er sagt »ha«, wenn er »ja« meint, und ein »passt schon« signalisiert breite Zustimmung. Und so spricht ein Passant in der Altstadt wohl das aus, was sicher nicht alle, wohl aber die meisten Hofer denken: »Die Beschneidung wird seit Jahrtausenden in der gleichen Art und Weise praktiziert, das passt schon, das ist keine Körperverletzung.«