Deutschland

Blick in die Zukunft

Zwar haben junge Menschen in Deutschland Sorgen, doch blicken sie trotzdem mit Zuversicht in die Zukunft: Dieses Bild der jungen Generation zeichnet die aktuelle Shell-Jugendstudie, die jüngst vorgestellt wurde. Wir wollten wissen, was jüdische Jugendliche bewegt, und haben nachgefragt.

Klea (16), Dortmund
Auf die Zukunft schaue ich eigentlich positiv. Ich bin gespannt, wie sie sich entwickelt. Aber einiges bereitet mir Sorgen. Ganz oben steht da, wie ein Großteil der Menschen sich gegen uns Juden positioniert. Seit dem 7. Oktober 2023 ist es noch schlimmer geworden. In den sozia­len Medien sehe ich beispielsweise, wie zum Boykott von israelischen Marken aufgerufen wird. Da hoffe ich, dass es in Zukunft so nicht weitergeht. Vielleicht beruhigt sich die Situation, wenn der Krieg in Israel vorbei ist.

Derzeit absolviere ich ein Auslandshalbjahr in London. Meine Privatschule liegt in dem Stadtviertel Mill Hill, in dem viele Juden leben. Ich staune immer wieder, wie sichtbar hier das jüdische Leben ist. Viele Männer tragen eine Kippa, etliche Schüler einen Davidstern, oder sie haben eine Israelflagge als Profilbild. Das würde ich mir für Deutschland auch wünschen. Für mich steht fest, dass ich weiterhin in der jüdischen Bubble aktiv bleiben werde. Das Schöne ist ja, dass wir immer zusammenhalten. Es gibt immer jemanden, mit ich mich austauschen kann. Für meine späteren Bewerbungen habe ich mir vorgenommen, mein jüdisches Leben mit darzustellen.

Auf jeden Fall möchte ich studieren, vielleicht etwas im Bereich Wirtschaft oder Politik. Aber im Sommer sprach ich in Frankfurt im Vorfeld der European Maccabi Youth Games vor vielen Leuten, was mir auch Spaß gemacht hat. Seit Jahren trainiere ich Tennis, nun saß ich auf dem Podium. Was mich natürlich auch noch bewegt, ist der Ukraine-Krieg, der Ausgang der jüngsten Landtagswahlen, in denen sich abzeichnet, dass die AfD so viele Anhänger hat – und natürlich die Klimakatastrophe. Kein Schnee im Winter, stattdessen Überschwemmungen oder Dürrezeiten – der Klimawandel macht sich bemerkbar –, da müssten doch alle etwas dagegen unternehmen. In den sozialen Medien kann ich verfolgen, wie es woanders – beispielsweise nach dem Hurrikan in Florida – aussieht. Da mache ich mir Sorgen.

Mark (16), Düsseldorf
Das Judentum verliert immer mehr an Akzeptanz in Deutschland – schon allein deshalb kann ich nicht so optimistisch in die Zukunft schauen. Man merkt es jetzt schon, dass die Unterstützung für Juden wegen des Nahost-Konflikts sinkt. Traurig finde ich es, dass viele das Judentum mit der Politik Israels gleichsetzen. Ich habe eine jüdische Grundschule besucht, anschließend das jüdische Gymnasium. Die meisten meiner Freunde sind ebenfalls jüdisch. Also, ich lebe in der jüdischen Bubble. Außerhalb der Schule habe ich noch langjährige nichtjüdische Freunde, die mich natürlich als Juden akzeptieren. Neben dem Nahost-Konflikt bewegt mich auch der Krieg in der Ukraine. Russland muss verurteilt werden für den Angriffskrieg. Ich bin gebürtiger Düsseldorfer, habe Familienangehörige in Russland, aber auch sehr enge Freunde, die Angehörige und Freunde in der Ukraine haben oder sogar selbst aus dem Land stammen.

Dementsprechend versuche ich, mich aus diesem Thema herauszuhalten. Die Menschen leiden und sterben in der Ukraine, in Gaza, im Libanon und in Israel. Aus diesem Grund würde ich den Ergebnissen der Studie widersprechen. Die Konflikte verschärfen sich – und ich kann keinen Weg sehen, der zu einem guten friedlichen Ende in der nahen Zukunft führen könnte.

Als positiv würde ich es ansehen, dass die Menschen mehr für den Klimawandel sensibilisiert sind. Man hat verstanden, dass es so nicht weitergeht, und will etwas verändern. In zwei Jahren werde ich mein Abitur machen und möchte einen Ingenieur-Studiengang absolvieren. Am liebsten in der Luftfahrt, denn von klein auf interessiere ich mich für Flugzeuge. Ich werde schauen, welche Möglichkeiten sich bieten. Das ist natürlich Luxus, sich das Beste heraussuchen zu können.

Raffael (17), Hannover
Ich mache mir Sorgen um meine Heimat, um Israel. Die Familie meiner Mutter lebt in dem Land. Mein Cousin ist bei der Armee. Auch dass der Antisemitismus in Deutschland immer stärker wird, gefällt mir natürlich nicht. Zwar habe ich diesbezüglich noch keine Erlebnisse gehabt, aber ich verfolge in den sozialen Medien, was geschrieben wird und wie viel Zustimmung es gibt. Andere Posts bekommen Hates, wenn sie sich israelfreundlich äußern. Ich besuche eine staatliche Schule und schätze mich glücklich, dass in meinem Umfeld alle wissen, dass ich Jude bin. Viele meiner Freunde sind Muslime oder Christen. Wir verstehen uns.

Emma (14), Frankfurt
Ich würde tatsächlich bestätigen, dass die Mehrheit von uns Jugendlichen optimistisch gestimmt ist. Allerdings mit ein paar Einschränkungen. Beispielsweise, dass die AfD immer mehr Zustimmung erfährt. Das besorgt mich schon. Ebenso die Kriege in der Ukraine und in Israel. Aber Israel musste schon mehrere Kriege führen, die in den vergangenen Jahrzehnten gut ausgegangen sind. Ich weiß, dass das Land stark ist, militärisch ist es gut ausgerüstet und verfügt über modernste Technologien. Da mache ich mir eigentlich nicht so große Sorgen. Ich hoffe, dass der Krieg bald vorbei ist. Aber einen richtigen Frieden und eine gute Lösung sehe ich noch nicht.

Die jüdische Gemeinschaft in Frankfurt empfinde ich als einen »Safe Space«. Wir halten immer zusammen und geben uns Sicherheit. Eine meiner besten Freundinnen stammt aus der Ukraine. Wir – meine Klassenkameraden und ich – bemühen uns immer, sie zu unterstützen und aufzubauen. Sie macht sich große Sorgen um ihre Heimat. Einige ihrer Angehörigen sind mittlerweile nachgekommen und leben nun auch in Frankfurt. Über den Klimawandel mache ich mir auch Gedanken, aber keine wirklichen Sorgen. Die Konsequenzen, die bei weiteren Verschmutzungen entstehen, sind für mich noch weit weg. Wie die Welt der Zukunft aussehen wird, wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich wird es irgendwann weniger Artenvielfalt bei den Tieren und Pflanzen geben.

Abram (12), Leipzig
Manche Dinge erschrecken mich, beispielsweise, dass nun Roboter als Hilfen für den Haushalt entwickelt worden sind. Es macht mir Angst, dass sie gehackt und manipuliert werden könnten und sich schlimmstenfalls gegen Menschen wenden. Außerdem könnte über ihr System die Wohnung einsehbar werden. Auf jeden Fall müsste das Sicherheitssystem funktionieren.

Ich fürchte, dass die AfD immer stärker werden wird. Bei uns in Leipzig wurde sie zweitstärkste Kraft. Die Partei lag knapp hinter der CDU. Was mich beunruhigt, ist, dass so viele junge Menschen ihr Kreuz hinter ihrem Namen machen. Das finde ich schlimm. Auch die Kriege beunruhigen mich. Auf allen Seiten gibt es unschuldige Zivilisten, die aufgrund der militärischen Auseinandersetzung sterben. Israel muss sich gegen die Hamas wehren. Ich hoffe, dass dieser Konflikt bald zu Ende geht und alle in Frieden leben können. Eine Zeit lang dachte ich, nach der Schule Politiker zu werden. Aber nun tendiere ich eher zum Tierarzt oder Uhrmacher. Ich liebe Uhren und mag es, wie sie ticken. Besonders schön finde ich, dass ich selbst bestimmen kann, was ich werde. Ich bleibe zuversichtlich.

Gabriel (17), Hannover
Ich versuche gerade, meinen Plastikkonsum zu reduzieren, denn ich mache mir Sorgen um unser Klima. Deshalb greife ich zu Glasflaschen. Die Temperaturen steigen und steigen, die Erde erwärmt sich immer mehr, und die Unwetter tun ihr Übriges. Diese Aussicht lässt mich nicht gerade unbeschwert auf die nächsten Jahrzehnte schauen. Mir ist es wichtig, auch den nächsten Generationen eine schöne Welt zu hinterlassen. Schon immer mussten die Israelis in Angst vor einem drohenden Konflikt leben. Nun ist die Angst noch intensiver geworden – und natürlich bin auch ich besorgt. Der Krieg in der Ukrai­ne lässt mich ebenso nicht gerade unbeschwert auf die Zukunft schauen.

Berlin

Hommage an jiddische Broadway-Komponisten

Michael Alexander Willens lässt die Musik seiner Großväter während der »Internationalen Tage Jüdischer Musik und Kultur« erklingen

von Christine Schmitt  21.11.2024

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024