Es war ein Telefonat, in dessen Folge die jüdische Geschichte Münchens umgeschrieben werden musste: Im Juni 2023 informierte Kulturreferent Anton Biebl IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch über die Entdeckung von Fragmenten der Alten Hauptsynagoge an einem Isarwehr.
Bei der anschließenden Bergung kamen mehr als 150 Tonnen Material zum Vorschein, die seitdem vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege wissenschaftlich ausgewertet werden. Lediglich ein besonders spektakuläres Objekt wurde dabei vom restlichen Korpus getrennt: ein halbrunder Stein mit einer Abbildung der Tafeln mit den Zehn Geboten. Das knapp 250 Kilogramm schwere Stück hatte in der Alten Hauptsynagoge einst den oberen Abschluss des Toraschreins gebildet.
Seit dem Sommer ist der »Gesetzestafelstein« im Vorraum der neuen Hauptsynagoge am Jakobsplatz zu sehen und öffnet laut Begleittext »den Blick in eine Vergangenheit, die niemals in Vergessenheit geraten darf«. Um einen solchen Blick durch die Brille der Wissenschaft zu werfen, war in der vergangenen Woche eine hochkarätige Delegation des Landesamtes für Denkmalpflege zu einem lange geplanten Besuch in der Kultusgemeinde zu Gast.
Seit dem Sommer ist der »Gesetzestafelstein« im Vorraum der neuen Hauptsynagoge am Jakobsplatz zu sehen.
Generalkonservator Mathias Pfeil und sein Stellvertreter Walter Irlinger wurden gemeinsam mit den weiteren Mitgliedern des Teams von IKG-Präsidentin Knobloch persönlich begrüßt und in die Synagoge geführt. Dort konnten die Experten den Stein erstmals detailliert begutachten und zugleich die anwesenden Vertreter der IKG über den Fortgang der Arbeiten an den anderen Funden informieren.
Die »beinahe kriminalistische Untersuchung«, wie Ellen Presser als Leiterin des Kulturzentrums die aufwendige Zuordnung der Fragmente beschrieb, sei in der Tat noch längst nicht abgeschlossen, bestätigte Generalkonservator Pfeil: »Wir müssen hier gewissermaßen ein Mosaik zusammensetzen.«
Bis zum Sommer 2023 habe niemand gewusst, dass die Bruchstücke der alten Synagoge, gemeinsam mit denen anderer abgegangener Gebäude dieser Zeit, überhaupt weiterverwendet wurden. Entsprechend habe nach Kriegsende auch niemand danach gesucht. Umso überraschender war dieser Fund: »Sie können sich vorstellen, wie angefasst wir im Landesamt waren, dass Teile der von den Nationalsozialisten abgerissenen Synagoge wieder zum Vorschein kamen.«
Die Ad-hoc-Untersuchungen am Gesetzestafelstein hätten derweil schon erste Ergebnisse gezeitigt, wie der zuständige Referatsleiter Sven Bittner ausführte. Demnach handelt es sich um einen Block aus knapp 400 Millionen Jahre altem Kalkstein, der vermutlich aus einem Steinbruch in Hessen oder Thüringen stammte.
Sobald der Ursprung genauer geklärt sei, werde das auch die Zuordnung der weiteren Fundstücke erleichtern. IKG-Präsidentin Knobloch hofft auf baldige weitere Erkenntnisse: »Diese Funde sind für uns ein Fenster in die Vergangenheit. Was es zu sehen gibt, das möchten wir sehen, bevor alles Geschichte wird.«