Ich bin gerne als Gast gekommen. Auch wenn mein Terminkalender es mir nicht immer ganz leicht macht, ist es mir ein großes Anliegen, so oft wie möglich mit jungen und interessierten Menschen zusammenzukommen – besonders dann, wenn sie so engagiert sind wie dieses Seminar.»
Dieses Seminar, vor dem Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, am Montag vergangener Woche als Zeitzeugin sprach, ist mit seinen praktischen Lehrveranstaltungen, die am Nürnberger Hans-Sachs-Gymnasium bereits seit zwei Jahren angeboten werden, etwas Besonderes und dient der beruflichen Orientierung in unterschiedlichen Bereichen. Die Jugendlichen um Konstantin Kreutzer und Eric Haberzettl interessieren sich besonders für Geschichte und Journalismus. So ist neben Zeitzeugengesprächen auch die Erstellung eines Podcasts geplant.
«Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Zahl der Zeitzeugen kleiner.»
Charlotte Knobloch
Von Charlotte Knobloch hatten die Jugendlichen schon viel gehört und gelesen. Sie einmal persönlich zu erleben, war deshalb ein großer Wunsch. Unter Vermittlung ihrer Betreuungslehrerin Daniela Wagner und Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) e.V., die die Zusammenkunft moderierte, kamen erst ein Kontakt und schließlich der Abend in der Turnhalle mit rund 150 Jugendlichen zustande.
ERINNERUNG Warum ist der IKG-Präsidentin solch ein Treffen so wichtig? «Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Zahl der Zeitzeugen kleiner. Jeder Einzelne und erst recht jede Initiative, die sich in dieser Lage gegen das Vergessen stemmen und den Staffelstab der Erinnerung aufnehmen will, ist wichtig und verdient Unterstützung», beschreibt sie ihre Motivation. Als weiteren Grund nennt sie den Stellenwert von jüdischem Leben, der für viele Menschen eng mit Fragen der Erinnerung verknüpft bleibe: «Jüdisches Leben ist für einen Großteil der Bevölkerung auch heute noch nicht selbstverständlich – im Gegenteil: Das Judentum gilt zwar inzwischen als interessant, aber es bleibt trotzdem oft eine unbekannte, manchmal sogar exotische Größe.» Ihr selbst ist Antisemitismus schon in frühester Kindheit begegnet.
Im Alter von vier Jahren stürzte für sie eine Welt zusammen. Die Großmutter war in jenen Jahren eine der wichtigsten Bezugspersonen für das kleine Mädchen. Charlotte Knobloch, geborene Neuland, durfte als «Judenkind» von einem Tag auf den anderen nicht mehr mit ihren Freundinnen aus der Nachbarschaft spielen. «Als Kind, das eben erst die Welt kennenlernte, verstand ich diese Welt bereits nicht mehr.»
STIMMUNG Von diesem Moment an änderte sich fast alles im Leben von Charlotte Knobloch – und ebenso in ihrem Bericht darüber während der Abendveranstaltung: Aus der Erzählung wurde ein Miterleben. Die Angst, die von den Nazis geschürt wurde, spürte das kleine Mädchen tagtäglich. Und diese angespannte Stimmung übertrug sich auch auf die Jugendlichen vor Ort. «Es war mucksmäuschenstill im Saal», zeigte sich Birgit Mair später tief beeindruckt.
Angst zu schüren, war ein Mittel der nationalsozialistischen Politik – ganz besonders gegenüber Juden. Dieses Gefühl der Angst ergriff auch die Zuhörer, die rund 80 Jahre später Charlotte Knobloch in der Schilderung ihres weiteren Lebenswegs begleiteten. Sie erlebten ihre ständige Sorge um den Vater quasi hautnah mit, sie erlebten den Mut des kleinen Mädchens, das trotz einer schallenden Ohrfeige nicht verriet, wo sich der Vater aufhielt. Und sie begleiteten sie förmlich auf ihren langen Wegen außerhalb der Wohnung, während derer es galt, sich nicht durch Tränen beim Anblick der brennenden Synagoge zu verraten, keine Gefühle zu zeigen, als Vater und Tochter einen schwer misshandelten Familienfreund sahen. All das ließ die Zuhörer die Gegenwart und die Zeit vergessen – bis die Uhr den Schilderungen der Zeitzeugin für eine kurze Fragerunde ein Ende setzte.
TRAUMATA Eine Schülerin wandte sich mit der Frage nach eventuell heute noch auftretenden Traumata an die IKG-Präsidentin. «Das Psychische kommt immer wieder», erwiderte Knobloch. «Es ist nicht so leicht, über die Vergangenheit zu erzählen. Es ist eine Belastung, die ich aber gerne auf mich nehme, um zu erklären, was Menschen anderen Menschen antun können.»
Angst zu schüren, war ein Mittel der NS-Politik – ganz besonders gegenüber Juden.
Den Abschluss bildete die Überlegung, was man tun könne, um solche Verbrechen nie wieder zuzulassen. Die Antwort von Charlotte Knobloch war klar: «Ich kann nur jeden Einzelnen ermutigen: Schaut hin! Bleibt neugierig und offen! Haltet die Erinnerung an die Vergangenheit wach und baut unserer Gegenwart eine Zukunft! Seid stolz auf euer Land – und tut, was ihr könnt, damit auch andere stolz sein können! Bleibt mutig, bleibt engagiert – und vor allem: Lasst euch von niemandem in eurem Leben sagen, wen ihr zu lieben oder zu hassen habt!»