Putzaktion

Bis zum letzten Krümel

Auf Hochglanz gebracht: Rabbiner Almekias-Siegl überzeugt sich von der Reinheit der Küche in Chemnitz. Foto: André Koch

Schon vor dem Betreten der Chemnitzer Synagoge fällt der Eifer auf, der die Mitglieder der Gemeinde erfasst hat. Lebensmittel werden aus Autos geladen, mit Besen hantiert, und immer mehr Helfer finden sich ein. Mitten unter ihnen: Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl. Dort gibt er einen Hinweis, da macht er ein kleines Kompliment. »Es kommt auch auf den Ton an. Wenn man nett und freundlich ist, putzt es sich doch viel besser«, erklärt er lachend.

Seit Tagen bereiten der 64-Jährige und die Mitglieder der drei sächsischen Gemeinden das Pessach-Fest vor. Wie groß der Stress für den Landesrabbiner ist, beweist sein straffer Tagesplan: »Heute früh bin ich aus Leipzig hierher nach Chemnitz gekommen. Am Nachmittag fahre ich dann noch nach Dresden, und abends geht es wieder zurück nach Leipzig.«

kontrolle Sein Auto ist für Almekias-Siegl in dieser Zeit unverzichtbar. Denn sein Rat ist sehr gefragt. »Viele Gemeindemitglieder kommen mit Fragen, wie ›Welche Lebensmittel darf man zu Pessach essen?‹ oder ›Was muss beim Reinigen beachtet werden?‹.« Antworten findet der Landesrabbiner in Traktaten und Büchern, aber auch in seiner eigenen Erfahrung: »Ich selbst stamme aus einer orthodoxen marokkanischen Familie. Bei uns wurden die Regeln des Judentums sehr streng und genau beachtet. Ich bin also damit groß geworden. Aber da man viele Vorschriften auch wieder vergisst, muss auch ich sie immer wieder nachlesen«, versichert er. Trotzdem der Landesrabbiner sich gerade unterhält, kann er nicht tatenlos bleiben. Die ganze Zeit beantwortet er Telefonanrufe und sieht überall nach dem Rechten.

Beim Gang durch die Synagoge fällt zuallererst der zitronig frische Duft nach Reinigungsmitteln auf. Frauen sind dabei, alle Räume auf Hochglanz zu bringen. Aus der Küche dringt eifriges Klappern. »Ein großes Team von Männern und Frauen ist hier die ganze Zeit bei der Arbeit«, erzählt der Rabbiner stolz. »Dabei liegt natürlich auf der Küche das Hauptaugenmerk beim Reinigen. Kein Krümelchen Chamez bleibt unentdeckt.«

Und tatsächlich finden sich in der Küche der Chemnitzer Synagoge keine Lebensmittel mehr. Alles glänzt und blinkt. Backofen und Kühlschrank wurden bereits mit Alufolie ausgekleidet und Behältnisse mit kochendem Wasser hineingestellt, damit die letzten Verunreinigungen beseitigt werden. Das Pessach-Geschirr steht schon bereit, und die Nahrungsmittel für das Fest warten darauf, verstaut zu werden. Sogar das Schild für die Küchentür ist vorbereitet, das den Zutritt Unbefugter untersagt – verfasst in Deutsch und Russisch.

wiederholung Auch im Unterricht, in dem Almekias-Siegl den Gemeindemitgliedern die Traditionen des Pessach-Festes noch einmal erklärt, sitzt meist ein Russischdolmetscher. »Gemeinden mit vielen Zuwanderern haben es schwerer. Viele unserer Mitglieder sind 60 bis 70 Jahre alt und hatten teilweise über viele Jahrzehnte nicht die Möglichkeit, ihren Glauben auszuüben. Sie müssen natürlich viel lernen und die Vorschriften wieder in Erinnerung rufen«, erklärt der Rabbiner.

Selbst Russisch lernen will er jedoch nicht. »Ich möchte, dass die Leute Deutsch lernen und sich damit in ihrer neuen Heimat integrieren«, verdeutlicht er sein Anliegen. Dass er einige Brocken der für ihn fremden Sprache dennoch mit ins Gespräch einbindet, zeigt, wie wertvoll die Gemeindemitglieder für ihn sind. »Meine Arbeit macht mir, trotz Stress, jeden Tag Spaß. Ich freue mich, den Menschen Hilfe und Rat anzubieten, denn ein Rabbiner muss auch immer ein Lehrer sein.«

Wenn Almekias-Siegl gerade nicht in den Gemeinderäumen anzutreffen ist, bereitet er die Verträge für Pessach vor. Den zwischen Gemeinde und Rabbiner, der besagt, dass die Synagoge nach allen Vorschriften gereinigt wurde. Und den über den symbolischen Verkauf von Chamez. »Da wir Juden während Pessach auch kein Chamez besitzen dürfen, ›verkaufen‹ wir unser Gesäuertes symbolisch an nichtjüdische Nachbarn und kaufen es nach dem Fest wieder zurück. Wer von den Gemeindemitgliedern solch einen Vertrag benötigt, wendet sich an mich.« Jede Menge Arbeit also für den 64-Jährigen, der sich in Leipzig um 1.300 Gemeindemitglieder, in Dresden um 750 und in Chemnitz um 600 kümmert.

Vorbereitung Als allerletzte Vorbereitung wird die Synagoge selbst geputzt. In allen drei Gemeinden, für die Rabbiner Almekias-Siegl zuständig ist: Chemnitz, Dresden, Leipzig. »Sie werden erst am Sonntag sauber gemacht. Denn hier halten sich bis zuletzt Menschen auf, die vielleicht noch gesäuerte Nahrungsmittel mitbringen könnten.« Am Abend vor Pessach folgt dann die formelle Suche nach Chamez. »Ich benutze dafür gern eine Taschenlampe, weil ich mit ihr ohne viele Umstände bis in die hintersten Ecken leuchten kann«, so Almekias-Siegl.

Mit dieser letzten Suche nach Gesäuertem sind die Vorbereitungen für Pessach abgeschlossen. Doch die Arbeit für den Landesrabbiner ist noch lange nicht zu Ende. Für ihn stehen Gottesdienste und Sederfeiern an, die er am ersten Abend und Tag in Dresden und am zweiten Sederabend in Chemnitz abhält.

Oldenburg

Judenfeindliche Schmierereien nahe der Oldenburger Synagoge   

Im vergangenen Jahr wurde die Oldenburger Synagoge Ziel eines Anschlags. Nun meldet eine Passantin eine antisemitische Parole ganz in der Nähe. Die Polizei findet darauf noch mehr Schmierereien

 21.02.2025

Berlin

Wladimir Kaminer verkauft Wohnung über Facebook

Mit seiner Partyreihe »Russendisko« und vielen Büchern wurde Wladimir Kaminer bekannt. Für den Verkauf einer früheren Wohnung braucht er keinen Makler

 20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

Thüringen

Antisemitismus-Beauftragter soll »zeitnah« ernannt werden

Seit Dezember ist der Posten unbesetzt. Dem Gemeindevorsitzenden Schramm ist es wichtig, dass der Nachfolger Zeit mitbringt

 19.02.2025

Weimar

Erlebtes Wissen

Eine Fortbildung für Leiter jüdischer Jugendzentren befasste sich mit der Frage des zeitgemäßen Erinnerns. Unsere Autorin war vor Ort dabei

von Alicia Rust  18.02.2025

Bundestagswahl

Scharfe Worte

Über junge politische Perspektiven diskutierten Vertreter der Jugendorganisation der demokratischen Parteien in der Reihe »Tachles Pur«

von Pascal Beck  18.02.2025

Justiz

Vorbild und Zionist

Eine neue Gedenktafel erinnert an den Richter Joseph Schäler, der bis 1943 stellvertretender IKG-Vorsitzender war

von Luis Gruhler  18.02.2025

Emanzipation

»Die neu erlangte Freiheit währte nur kurz«

Im Münchner Wirtschaftsreferat ist eine Ausstellung über »Jüdische Juristinnen« zu sehen

von Luis Gruhler  18.02.2025

Portät der Woche

Magische Momente

German Nemirovski lehrt Informatik und erforscht den Einsatz Künstlicher Intelligenz

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.02.2025