Schon vor dem Betreten der Chemnitzer Synagoge fällt der Eifer auf, der die Mitglieder der Gemeinde erfasst hat. Lebensmittel werden aus Autos geladen, mit Besen hantiert, und immer mehr Helfer finden sich ein. Mitten unter ihnen: Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl. Dort gibt er einen Hinweis, da macht er ein kleines Kompliment. »Es kommt auch auf den Ton an. Wenn man nett und freundlich ist, putzt es sich doch viel besser«, erklärt er lachend.
Seit Tagen bereiten der 64-Jährige und die Mitglieder der drei sächsischen Gemeinden das Pessach-Fest vor. Wie groß der Stress für den Landesrabbiner ist, beweist sein straffer Tagesplan: »Heute früh bin ich aus Leipzig hierher nach Chemnitz gekommen. Am Nachmittag fahre ich dann noch nach Dresden, und abends geht es wieder zurück nach Leipzig.«
kontrolle Sein Auto ist für Almekias-Siegl in dieser Zeit unverzichtbar. Denn sein Rat ist sehr gefragt. »Viele Gemeindemitglieder kommen mit Fragen, wie ›Welche Lebensmittel darf man zu Pessach essen?‹ oder ›Was muss beim Reinigen beachtet werden?‹.« Antworten findet der Landesrabbiner in Traktaten und Büchern, aber auch in seiner eigenen Erfahrung: »Ich selbst stamme aus einer orthodoxen marokkanischen Familie. Bei uns wurden die Regeln des Judentums sehr streng und genau beachtet. Ich bin also damit groß geworden. Aber da man viele Vorschriften auch wieder vergisst, muss auch ich sie immer wieder nachlesen«, versichert er. Trotzdem der Landesrabbiner sich gerade unterhält, kann er nicht tatenlos bleiben. Die ganze Zeit beantwortet er Telefonanrufe und sieht überall nach dem Rechten.
Beim Gang durch die Synagoge fällt zuallererst der zitronig frische Duft nach Reinigungsmitteln auf. Frauen sind dabei, alle Räume auf Hochglanz zu bringen. Aus der Küche dringt eifriges Klappern. »Ein großes Team von Männern und Frauen ist hier die ganze Zeit bei der Arbeit«, erzählt der Rabbiner stolz. »Dabei liegt natürlich auf der Küche das Hauptaugenmerk beim Reinigen. Kein Krümelchen Chamez bleibt unentdeckt.«
Und tatsächlich finden sich in der Küche der Chemnitzer Synagoge keine Lebensmittel mehr. Alles glänzt und blinkt. Backofen und Kühlschrank wurden bereits mit Alufolie ausgekleidet und Behältnisse mit kochendem Wasser hineingestellt, damit die letzten Verunreinigungen beseitigt werden. Das Pessach-Geschirr steht schon bereit, und die Nahrungsmittel für das Fest warten darauf, verstaut zu werden. Sogar das Schild für die Küchentür ist vorbereitet, das den Zutritt Unbefugter untersagt – verfasst in Deutsch und Russisch.
wiederholung Auch im Unterricht, in dem Almekias-Siegl den Gemeindemitgliedern die Traditionen des Pessach-Festes noch einmal erklärt, sitzt meist ein Russischdolmetscher. »Gemeinden mit vielen Zuwanderern haben es schwerer. Viele unserer Mitglieder sind 60 bis 70 Jahre alt und hatten teilweise über viele Jahrzehnte nicht die Möglichkeit, ihren Glauben auszuüben. Sie müssen natürlich viel lernen und die Vorschriften wieder in Erinnerung rufen«, erklärt der Rabbiner.
Selbst Russisch lernen will er jedoch nicht. »Ich möchte, dass die Leute Deutsch lernen und sich damit in ihrer neuen Heimat integrieren«, verdeutlicht er sein Anliegen. Dass er einige Brocken der für ihn fremden Sprache dennoch mit ins Gespräch einbindet, zeigt, wie wertvoll die Gemeindemitglieder für ihn sind. »Meine Arbeit macht mir, trotz Stress, jeden Tag Spaß. Ich freue mich, den Menschen Hilfe und Rat anzubieten, denn ein Rabbiner muss auch immer ein Lehrer sein.«
Wenn Almekias-Siegl gerade nicht in den Gemeinderäumen anzutreffen ist, bereitet er die Verträge für Pessach vor. Den zwischen Gemeinde und Rabbiner, der besagt, dass die Synagoge nach allen Vorschriften gereinigt wurde. Und den über den symbolischen Verkauf von Chamez. »Da wir Juden während Pessach auch kein Chamez besitzen dürfen, ›verkaufen‹ wir unser Gesäuertes symbolisch an nichtjüdische Nachbarn und kaufen es nach dem Fest wieder zurück. Wer von den Gemeindemitgliedern solch einen Vertrag benötigt, wendet sich an mich.« Jede Menge Arbeit also für den 64-Jährigen, der sich in Leipzig um 1.300 Gemeindemitglieder, in Dresden um 750 und in Chemnitz um 600 kümmert.
Vorbereitung Als allerletzte Vorbereitung wird die Synagoge selbst geputzt. In allen drei Gemeinden, für die Rabbiner Almekias-Siegl zuständig ist: Chemnitz, Dresden, Leipzig. »Sie werden erst am Sonntag sauber gemacht. Denn hier halten sich bis zuletzt Menschen auf, die vielleicht noch gesäuerte Nahrungsmittel mitbringen könnten.« Am Abend vor Pessach folgt dann die formelle Suche nach Chamez. »Ich benutze dafür gern eine Taschenlampe, weil ich mit ihr ohne viele Umstände bis in die hintersten Ecken leuchten kann«, so Almekias-Siegl.
Mit dieser letzten Suche nach Gesäuertem sind die Vorbereitungen für Pessach abgeschlossen. Doch die Arbeit für den Landesrabbiner ist noch lange nicht zu Ende. Für ihn stehen Gottesdienste und Sederfeiern an, die er am ersten Abend und Tag in Dresden und am zweiten Sederabend in Chemnitz abhält.