Herr Rubinstein, am 21. Februar beginnen die Jüdischen Kulturtage im Rheinland – eine Mammutveranstaltung.
Ja, wir bieten in einem Monat 360 Veranstaltungen in 15 Städten, dem Rhein-Sieg-Kreis und dem Landschaftsverband Rheinland. Allerdings haben wir im Vergleich zu 2011 in diesem Jahr den Kreis der mitveranstaltenden Städte reduziert. Maßgebliche Gründe dafür sind die finanziellen Probleme vieler Städte in Nordrhein-Westfalen, die es 2011 so noch nicht gab.
Sie haben Spielstätten, wo sich keine jüdischen Gemeinden befinden, etwa im Kleverland, Bedburg-Hau, Emmerich und Goch.
Das stimmt. Es liegt an den teils sehr großen Einzugsbereichen der Gemeinden. Zu Krefeld gehört der Bereich Kleve; Wesel und Rees gehören zu Duisburg. Persönliche Kontakte wie zum Beispiel zu Ron Mannheim, dem ehemaligen stellvertretenden künstlerischen Leiter des Schlosses Moyland in Bedburg-Hau, helfen sehr. Über Thomas Ruffmann von der VHS Kleve arbeiten wir mit den Niederlanden zusammen, sodass die Kulturtage die Grenze überschreiten werden.
Sie sprechen einen Programmpunkt im Theater der Stadt Heerlen an?
Ja, dort werden unter anderem Chöre auftreten. Ron Mannheim und ich haben viele Gemeinsamkeiten, was das Holländische betrifft. Ich habe als Kind in Amsterdam gelebt, und Ron Mannheim hat ebenfalls dort gewohnt. Deswegen haben wir von Anfang an die Idee verfolgt, in die Niederlande zu gehen. Außerdem erhalten wir für die grenzüberschreitenden kulturellen Aktivitäten auch entsprechende Förderungen. Zudem werden im Grenzgebiet beide Sprachen gesprochen. Wir müssen auch bedenken, wie viele jüdische Menschen durch die Flucht nach Holland ihr Leben retten konnten.
Sie haben den Kulturtagen das Motto »Angekommen« gegeben. Ist das nach den Gaza-Demonstrationen im Sommer und den Anschlägen von Paris noch haltbar?
Ich habe immer betont, dass das, was in Gaza, Paris oder auch weltweit passiert, losgelöst von der vollkommen positiven und bemerkenswerten Haltung der deutschen Bundesregierung ist. Außerdem sind wir hier im Rheinland wirklich angekommen. Durch Johannes Rau, Wolfgang Clement und alle Landesregierungen, die danach gekommen sind, haben wir ein außerordentliches Willkommen verspürt. Im Rheinland gibt es eine ausgeprägte Willkommenskultur. Nehmen Sie nur Köln, wo viele Gruppen gegen Ausländerhass auf die Straßen gegangen sind. Vor der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion 1990 waren wir noch nicht angekommen. Aber jetzt sind wir es.
Sagen das auch die Zuwanderer?
Natürlich darf man das nicht generalisieren. Aber sehr viele haben hier Wurzeln geschlagen. In vielen Gemeinden ist es für sie eine Selbstverständlichkeit, dass sie dort zu Hause sind. Und wenn ich sage: »Ich bin hier zu Hause«, dann bin ich doch angekommen.
Das Paul-Spiegel-Filmfestival ist ein Bestandteil der Kulturtage, ebenso das Fest des Buches in Duisburg und die Jewrovision in Köln. Ist aus den Einzelaktionen ein Verbund geworden?
Viel mehr: ein großes Miteinander. Wir feiern bei den Kulturtagen zwei Jubiläen: Da ist zum einen 70 Jahre nach 1945, das Leitthema der Jüdischen Kulturtage 2015. Und zum anderen zehn Jahre Paul-Spiegel-Filmfestival. Zum Jewrovisions-Motto »Make a Difference« können wir eine Brücke schlagen: Wir sind als jüdische Menschen, die im Rheinland leben, trotz unterschiedlicher kultureller Sitten und Bräuche, je nachdem, aus welchem Land wir zugewandert sind, in erster Linie Juden, die in der Mehrheitsgesellschaft mehrheitlich angekommen sind. So ist eine wunderbare Kooperation über Sprachen, Religionen und Herkünfte hinweg, entstanden.
In dem Programm setzen Sie auch auf Bewährtes. Entspricht das den Wünschen der bisherigen Besucher?
Wir, das sind Regina Plaßwilm, die Gesamtkoordinatorin der Kulturtage, unser neun-köpfiger Steuerungskreis sowie die Beraterinnen und Berater in den kooperierenden Städten und den neun jüdischen Gemeinden haben natürlich die Kulturtage von 2007 und 2011 ausgewertet. Da haben sich Publikumslieblinge aus dem Kreis der Literaten herauskristallisiert. Wir wollen zwar auch den Blick nach hinten wenden, aber es sollen keine historischen Kulturtage werden, sondern wir richten den Blick nach vorn auf das Hier und Heute. Wir haben also gesehen, was es Neues auf dem Markt gibt. Wir konnten auch viele Kontakte nutzen, etwa zu Hannah Dannel, der Kulturreferentin des Zentralrats. Städte und jüdische Gemeinden haben Vorschläge gemacht und Touren und Begegnungsprojekte angeboten. Wir haben über die israelische Botschaft in Berlin Kontakte zu Künstlern aus Israel geknüpft. Günther Beelitz, der Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, hat sechs Programmpunkte aufgenommen, Highlights sind die Anwesenheit von Joshua Sobol sowie das Theaterstück »Mord« von Hannoch Levin in einer Inszenierung von Dedi Baron aus Israel. Es sind aus den vorherigen Kulturtagen viele Verbindungen entstanden, die wir genutzt haben.
Inzwischen gibt es in Deutschland sehr viele jüdische Kulturtage. Wie grenzen Sie sich von den anderen ab?
Indem wir eine Vielfalt an Angeboten machen, die sich in einem Zeitraum von vier Wochen viel besser verteilen lassen, auch flächenmäßig, als nur stadtbezogene Kulturtage. Wobei wir auch von diesen Kolleginnen und Kollegen viel lernen.
Wie sieht es mit den regionalen Künstlern aus?
Wir haben das von Andreas Schmitges ins Leben gerufene Aschkenas-Projekt im Programm. Dabei lernen nichtjüdische junge Menschen das Jiddische kennen. Gemeinsam mit Alan Bern und Deborah Strauss haben sich 25 bis 30 junge Leute das Jiddische in der Musik erarbeitet und Texte für Chöre auf Deutsch aufgezeichnet. Dass unsere nichtjüdischen Partner so viel dazu beitragen, uns jüdischen Menschen Jüdischkeit zu bieten, das gehört zu den wunderbaren Sachen der Kulturtage.
Unter dem Stichwort »Begegnungsprojekte« sprechen Sie auch die Innenwirkung solcher Kulturtage an.
Bei der Integration der Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion spielt gerade die Kultur eine sehr große Rolle. Wir können aus dem Potenzial der Künstlerinnen und Künstler aus ihren Reihen schöpfen. Das bringt uns zusammen. Wenn Zuwanderer aktiv mitmachen, haben wir das gute Gefühl, dass man auch die eigenen Leute dabeihat. Jüdische Kultur bietet unheimlich viele Möglichkeiten, die Menschen mit jüdischen Traditionen vertraut zu machen, die sie bislang nicht kannten.
Das Gespräch führte Heide Sobotka.
Nach 2002, 2007 und 2011 finden vom 21. Februar bis zum 22. März die vierten Jüdischen Kulturtage im Rheinland statt. Sie werden vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden Nordrhein Kooperation mit der Synagogen-Gemeinde Köln veranstaltet. In die 360 Veranstaltungen sind 15 Städte involviert. Die Schirmherrschaft haben die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, übernommen. Es wird Beiträge aus der Bildenden Kunst, Film, Literatur, Musik, Tanz und Theater sowie verschiedene Begegnungsprojekte geben. Der Gesamtetat beläuft sich auf eine Million Euro.
www.juedische-kulturtage-rheinland.de