Es ist eine nicht verheilte Wunde, ein tief sitzender Stachel, der nicht nur die Jüdische Gemeinde schmerzt. Am 13. Februar jährt sich eines der schrecklichsten antijüdischen Verbrechen der Münchner Nachkriegszeit zum 50. Mal – der Anschlag auf das jüdische Seniorenheim.
Im Alten Rathaus wird in einer Gedenkstunde an diesen Tag erinnert. Charlotte Knobloch, die langjährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, erinnert sich an den 13. Februar auf ganz besondere Weise: Persönliches Glück mit dem Geburtstag ihrer Tochter und abgrundtiefes Entsetzen fielen auf dieses Datum.
Rettung Wer am Abend des 13. Februar 1970 im Treppehaus des IKG-Seniorenheims in der Reichenbachstraße Benzin ausgeschüttet und angezündet hat, ist bis heute ungeklärt. Den meisten Bewohnern des Hauses gelang es, sich zu retten, für zwei Frauen und fünf Männer kam jedoch jede Hilfe zu spät. Sie verbrannten in den Flammen oder erstickten im Rauch.
Ein 71-jähriger Mann sprang aus dem Fenster und starb.
Ein 71-Jähriger starb an den Folgen seiner Verletzungen, weil er aus dem Fenster gesprungen war. Ein Detail geht Charlotte Knobloch, die den Holocaust nur durch glückliche Fügungen überlebt hat, besonders nahe. Auch zwei Bewohner des Altenheims, die bei dem Anschlag starben, zählten zu den wenigen Juden, die die Schoa überlebt hatten und trotzdem im »Land der Täter« ihre Heimat sahen.
»Schutz und Sicherheit hatte ihnen das demokratische Nachkriegsdeutschland versprochen«, erinnert sich Knobloch an »das ›Nie wieder‹, auf dem das jüdische Leben nach 1945 beruhte und bis heute beruht. In der Reichenbachstraße wurde dieses Versprechen gebrochen.«
Polizeischutz Sie erinnert sich auch noch daran, dass mehrere Juden nach dem Anschlag München und Deutschland aus Angst verließen. Der Anschlag habe eine Zäsur dargestellt. Jüdische und israelische Einrichtungen standen danach verstärkt unter Polizeischutz. »Gerade dagegen«, so die IKG-Präsidentin, »hatten wir uns aber gewehrt. Wir wollten in Deutschland ein ganz normales Leben führen. Nicht mehr, nicht weniger.«
Im städtischen Gedächtnis spielte das Attentat über Jahre hinweg eher eine untergeordnete Rolle.
Im städtischen Gedächtnis spielte das fürchterliche Attentat über all die Jahre hinweg eher eine untergeordnete Rolle. Auch der Kabarettist und Autor Christian Springer, der sich für die Gedenkstunde im Alten Rathaus stark machte, bemängelte bei seinen öffentlichen Auftritten dieses Vergessen und positionierte sich deutlich gegen Antisemitismus und Rassismus. In einem öffentlichen, über die sozialen Medien verbreiteten Aufruf hatte er sogar an das Gewissen der Täter appelliert, sich zu stellen.
Vor wenigen Jahren hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen noch einmal aufgenommen. Doch die Hoffnung, das fürchterliche Verbrechen klären zu können, zerschlug sich. Eine anonyme Person hatte einen ernstzunehmenden Hinweis auf die linksextremen »Tupamaros München« gegeben. Solche Spekulationen waren bereits unmittelbar nach dem Anschlag aufgekommen, konnten jedoch nicht verifiziert werden.
Ermittlungen Die Bundesanwaltschaft erklärte im Zuge der wieder neu aufgenommenen Ermittlungen, dass es wohl Indizien gebe, die auf eine Tatbeteiligung von Linksextremisten hindeuteten, aber nicht belastbar genug seien. Im Zuge dieser polizeilichen Untersuchungen sei auch noch einmal ein möglicher rechtsextremistischer Hintergrund untersucht worden – jedoch ohne Erfolg.
Von der Gedenkfeier, so wünscht es sich Oberbürgermeister Dieter Reiter, soll ein Signal der Solidarität mit Juden ausgehen.
Rechtsextremisten? Linksextremisten? Palästinensische Terroristen? Die undurchsichtige Gemengelage bei der Frage nach Hintergründen und Motiven des mörderischen antisemitischen Anschlags von damals bringt IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch dazu, Parallelen zur Gegenwart zu ziehen. »Die Tat von damals und Anschläge von heute wie in Halle«, lautet ihre Erkenntnis, »dokumentieren die Kontinuität, Wandlungsfähigkeit und fortwährende Gefahr des Antisemitismus auf erschreckende Weise.«
Andenken Oberbürgermeister Dieter Reiter hält es für elementar, dass die Stadt München die Erinnerung an alle Opfer von Hass und antijüdischer Gewalt wachhält. »Nur wer dieses historische Andenken bewahrt«, erklärt er, »kann in der Gegenwart antidemokratische Bewegungen und intolerante und judenfeindliche Extremisten wirksam bekämpfen. Das zu tun, ist und bleibt die Aufgabe für jeden Einzelnen von uns.«
Das Stadtoberhaupt wünscht sich, dass von der Gedenkfeier in der kommenden Woche ein deutliches Signal der Solidarität mit den Juden in München sowie ein ebenso klares Zeichen gegen jede aktuelle Form von Antisemitismus ausgeht.
Es gelte, erklärte Reiter mit Blick auf die gegenwärtigen Erscheinungsformen von Juden- und Israelfeindlichkeit, das Bewusstsein für deren Bedrohungspotenzial zu schärfen.