An der Siechenstraße 102 neben dem Städtischen Hauptfriedhof an der Hallstadter Straße wurde lange Zeit gebaut. Störung der Friedhofsruhe? Keinesfalls, denn hier wurden archäologische Grabungen durchgeführt. Die Störung kann auch pietätvoll sein. Vor allem dann, wenn es sich um einen jüdischen Friedhof handelt. Schließlich heißt ein solcher Ort im Hebräischen »Bet HaChajim« – »Haus des Lebens«.
Diese Bezeichnung weist auf die Auferstehungs- und Lebenshoffnung hin. »Einmal beerdigt, immer beerdigt, bis der Maschiach kommt«, umschreibt Arieh Rudolph die Besonderheit jüdischer Friedhöfe, auf Ewigkeit angelegt zu sein. Die Gräber werden nicht aufgelassen oder neu belegt, sind überzeitlich unantastbar und bieten eine dauerhafte Heimat für die Verstorbenen.
Rudolph, Kantor und Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg, weiß also, wie sensibel notwendige Arbeiten auf dem jüdischen Friedhof verlaufen müssen. So ist er dankbar, dass eine regional ansässige Gartenbaufirma jetzt wochenlang mit der gebotenen Rücksicht und Umsicht zugange war. »Ertüchtigung des Gräberfeldes« fasst Rudolph zusammen, was auch den Stadtarchäologen Stefan Pfaffenberger und den städtischen Umweltreferenten Jürgen Gerdes auf den Plan rief.
Verdachtsfläche Pfaffenberger sah in dem jüdischen Friedhof eine »potenzielle Verdachtsfläche«: Er vermutete dort Urnengräberfelder aus der Spätbronzezeit (1200–800 v.d.Z.), wie sie bereits auf dem angrenzenden Hauptfriedhof entdeckt worden sind. »Wir haben aber hier nichts dergleichen gefunden«, erklärt der Archäologe. Dafür konnten bei den Untersuchungen die Fundamentgräben der ersten Taharahalle nachgewiesen werden, die bei der Anlage des Friedhofes 1851 erbaut worden war und später abgerissen wurde. Die noch heute bestehende Taharahalle stammt aus dem Jahr 1885.
Für Pfaffenberger sind die entdeckten Fundamentgräben allerdings »nur« eine Bestätigung alter Pläne des Friedhofsamtes, auf denen das alte Leichenhaus in der südöstlichen Ecke des Friedhofes eingezeichnet war. Diese beiden, je etwa zehn Meter langen und einen Meter tiefen Gräben wurden unter einem in Jahrzehnten aufgehäuften Erdhügel ausfindig gemacht, der Anlass für die Grabung und teilweise Neugestaltung des Friedhofes war. »Wir wollten wissen, was es mit der Geländeerhebung auf sich hat«, erklärt Rudolph. Er sei davon ausgegangen, dass sich möglicherweise Reste der früheren Halle darunter verbergen könnten.
fragmente Als dieser Erdhügel nun behutsam abgetragen wurde, kamen Sandsteinbruch, Putz- und Mörtelbrocken sowie neuzeitliche Hinterlassenschaften zum Vorschein, aber auch Fragmente von alten Grabsteinen. »Die durften wir nicht einfach entsorgen, denn was einmal auf dem jüdischen Friedhof eingebracht wurde, darf den Friedhof nicht mehr verlassen«, erklärt Rudolph.
So kam die Idee auf, genau an der eindeutig lokalisierten Stelle der einstigen Taharahalle eine »Gedächtnispyramide« zu errichten. Die Bruchstücke der Grabsteine sind nun aufgeschichtet, von frisch gesätem Rasen umgeben und laden dazu ein, innezuhalten und der Vorfahren zu gedenken.
»Es ist eine Erinnerungsstätte für die vielen Gemeindemitglieder, die ihre Verstorbenen fern der Heimat begraben wissen, oder die um die Bamberger Holocaust-Opfer trauern«, erläutert Rudolph. Es werde noch eine Tafel mit einem erklärenden Text und vielleicht eine Parkbank »zur inneren Einkehr beim Betrachten der Steine« aufgestellt.
Glatthafer Doch nicht nur die Gedächtnispyramide und die Gräber der Verstorbenen der vergangenen Jahre laden zum Nachdenken und Schauen ein. Denn in der historischen Abteilung des jüdischen Friedhofs gibt es eine ökologische Sensation zu bestaunen: eine Salbei-Glatthafer-Wiese, wie sie sonst nur in freier Landschaft vorkommt. »Eine ähnlich wertvolle Ausprägung innerhalb des engeren Stadtgebietes von Bamberg habe ich bisher nirgendwo beobachtet«, betont Umweltreferent Gerdes.
Erst ein »Umdenken in Bezug auf ein neues ökologisches Pflegekonzept, mit möglichst wenig Maschineneinsatz einen Magerrasen zu kultivieren«, habe diese Wiese so zum Vorschein gebracht, sagt Rudolph. Sonst sei regelmäßig rigoros gemäht worden. Doch die Natur habe sich schließlich durchgesetzt. Durch das ökologische Pflegekonzept auf dem Friedhof werde auf Empfehlung des Umweltdezernenten die Wiese »erhalten und naturnah gepflegt«, also nur noch zweimal pro Jahr gemäht. Das Heu werde nach dem Abtrocknen und der Aussamung entfernt, um den Nährstoffgehalt im Boden niedrig zu halten und somit zu verhindern, dass sich sogenannte Pionierpflanzen wie Löwenzahn und Hahnenfuß einstellen.
Erweiterung Und noch ein neues Projekt will die Israelitische Kultusgemeinde angehen: nämlich ein weiteres Grabfeld an der Verlängerung Gundelsheimer Straße/ Ecke Coburger Straße. Es soll also eine komplett neue Fläche erschlossen werden, die durch ein Tor in der Mauer am bestehenden jüdischen Friedhof über den christlichen Hauptfriedhof erreichbar sein soll.
Zwar sei durch die aktuellen Arbeiten auch Platz für 110 neue Gräber geschaffen worden. »Doch wir haben viele Gemeindemitglieder, die älter als 80 Jahre sind, und müssen Beerdigungen nach unserem religiösen Brauch sicherstellen«, sagt der Gemeindevorsitzende vorausschauend. Eine würdige Bestattung und die dauerhafte Ruhe der Toten zählten seit biblischen Zeiten zu den selbstverständlich gewordenen Geboten des menschlichen Zusammenlebens.