Frankfurt

Bildungsarbeit gegen Rassismus und Fake News

Lehrerin Lena Moradi und die Pädagogen Arwin Mahdavi Naraghi und Lena Horst (v.l). Naraghi und Horst führen regelmäßig Antisemitismus-Workshops des Frankfurter Jüdischen Museums an Schulen durch. Foto: picture alliance/dpa

An der Schultafel hängt ein großes Plakat mit der Aufschrift »Fake News«. Die Schüler einer Frankfurter Berufsschule sitzen in einem Stuhlkreis im Klassenzimmer, schreiben auf kleine Papierkarten, was sie unter dem Begriff verstehen. »Täuschende Nachrichten«, sagt etwa die 18-jährige Leyla. »Weiß jeder, was täuschen bedeutet?«, fragt Arwin Mahdavi Naraghi. Er arbeitet im Jüdischen Museum Frankfurt und gibt an diesem Tag mit seiner Kollegin Lena Horst einen Workshop an der Frankfurter Schule. 

Die Frage stellt er, weil die 16 Schüler dieser Berufsschulklasse Deutsch als Fremdsprache lernen. Sie alle sind aus unterschiedlichen Ländern geflüchtet - darunter aus Afghanistan, Serbien, der Türkei oder der Ukraine. Die jungen Leute gehen in eine sogenannte InteA-Klasse, machen also zwei Jahre einen Deutsch-Sprachkurs. »Jüdisches Leben vermitteln«

Das Ziel: Aufklärung über jüdische Kultur und Geschichte leisten

Der Workshop ist Teil eines kulturellen Bildungsprogramms des Jüdischen Museums Frankfurt. Unter dem Titel »AntiAnti - Museum Goes School« geben Naraghi und Horst über einen Zeitraum von einem Schulhalbjahr sechs Workshops. Das übergeordnete Ziel: Aufklärung über jüdische Kultur und Geschichte leisten, um so antisemitischen Vorurteilen entgegenzuwirken.

»Wir versuchen, grundlegend jüdisches Leben zu vermitteln«, erzählt Naraghi. Einer der Workshops findet deshalb auch komplett im Jüdischen Museum statt. »Wir wollen Gemeinsamkeiten zwischen den monotheistischen Religionen sichtbar machen. In dem Zusammenhang sollen auch Vorurteile über das Judentum aus dem Weg geräumt werden«, sagt er. Gleichzeitig sollen die Workshops einen Raum für die eigenen Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen der Schüler bieten. 

Dabei werden vor allem auch antisemitische Verschwörungstheorien thematisiert.

Die letzten beiden Workshops des Bildungsprogramms befassen sich dann noch einmal explizit mit dem Thema Medien. »Wir schauen uns zuerst ganz allgemein die Funktion von Medien an. Und dann behandeln wir Verschwörungstheorien und Fake News«, erklärt Horst. Dabei werden vor allem auch antisemitische Verschwörungstheorien thematisiert.

Einen einschneidenden Punkt in ihrer Arbeit markierte der Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Schulen und Lehrkräfte hätten sich im Anschluss häufig überfordert gezeigt und Anfragen an das Museum gestellt. Immer wieder seien den beiden Pädagogen Wissenslücken und auch Momente der Ohnmacht bei Lehrern begegnet. 

Naraghi sieht in diesem Zusammenhang vor allem auch Verbesserungsbedarf bei Lehrerfortbildungen. »Wir haben immer Geschichtslehrer und Philosophielehrer oder Sozialwissenschaftslehrer und Ethiklehrer auf dem Schirm.« Aber auch der Biologielehrer oder die Mathelehrerin sollten in der Lage sein, das Problem Antisemitismus und Rassismus zu erkennen und das in der Klasse zu besprechen. Auch der Medienfokus bei den Workshops sei erst nach dem Angriff auf Israel hinzugekommen. 

Seit dem 7. Oktober gebe es eine völlig veränderte Ausgangslage

Bei Schülerinnen und Schülern stießen sie nach dem 7. Oktober in der Regel nicht auf geschlossene antisemitische Weltbilder - sondern auf Jugendliche, die überwältigt waren von dem, was da passiert ist, die überwältigt waren von Fake- und Falschinformationen, die sie den ganzen Tag über Tiktok reingespielt bekommen haben, sagt Horst. 

Ursprünglich sei das Projekt vor dem Hintergrund vermehrter Ausreisen und der Unterstützung des Islamischen Staats entworfen worden. Man wollte Schüler ganz praktisch davon abhalten, sich den Kämpfern anzuschließen. 

Seit dem 7. Oktober gebe es eine völlig veränderte Ausgangslage. Nun werde mehr auf die Ursprünge und Funktionen von Antisemitismus geschaut. Es sei wichtig, mit den Schülerinnen und Schülern darüber zu reden, erklärt Horst. Fragen wie »Wie profitiere ich davon, wenn ich antisemitisch agiere? Welche Bedürfnisse werden denn befriedigt?« seien deutlich näher am Alltag der jungen Menschen als das abstrakte Reden über Antisemitismus im Generellen.Positives Feedback von Lehrkräften und Schülern

Klassenlehrerin Lena Moradi freut sich sehr über das Angebot des Jüdischen Museums. »Wir haben an unserer Schule das Leitbild, dass Wertevermittlung und Demokratie sehr wichtig sind«, sagt sie. Deshalb sei sie explizit auf die Suche nach Workshops gegangen, die für ihre Klasse passen könnten. Beim Jüdischen Museum sei sie schließlich fündig geworden. 

Durch den Workshop habe sie sich auch viel mit ihren Freunden über Themen wie Religion und andere Kulturen ausgetauscht.

Von den Schülern werde der Workshop gut angenommen, erzählt sie. »Am Anfang war ein bisschen Skepsis da. Aber die beiden haben die Schüler für das Projekt gewonnen und mittlerweile sind die Workshops richtig in unser Alltagsgeschehen integriert.« Abwertend geäußert habe sich im Rahmen der Workshops keiner der Schüler.

Diesen positiven Eindruck bestätigen auch die Schüler selbst. »Der Workshop hat mir gut gefallen, weil ich viel über andere Religionen gelernt habe, was ich vorher nicht wusste«, resümiert Leyla, die seit anderthalb Jahren in Deutschland lebt. Ursprünglich kommt die Kurdin aus der Türkei. Durch den Workshop habe sie sich auch viel mit ihren Freunden über Themen wie Religion und andere Kulturen ausgetauscht. »Deutschland ist ein multikulturelles Land, das hat mir der Workshop auch gezeigt.« 

»Ich fand den Workshop sehr interessant und ich habe viel Neues gelernt - vor allem im Umgang mit Medien«, sagt der 21-jährige Safiollah aus Afghanistan. »Ich finde das wichtig, darüber zu sprechen, weil viele Jugendliche darüber zu wenig wissen.« Seit vier Jahren lebt er in Deutschland. 

Die 17 Jahre alte Sorosh aus Afghanistan hat insbesondere viel bei den Themen Rassismus und Diskriminierung für sich mitgenommen. »Ich finde es wichtig, dass alle wissen, wie schlimm Rassismus ist«, sagt sie. Antisemitische Straftaten in Hessen gestiegen

In Hessen wurden im vergangenen Jahr 357 antisemitische Straftaten polizeilich erfasst

Im Jahr 2024 wurden in Hessen 357 antisemitische Straftaten polizeilich erfasst. Darunter waren 61 mit einem expliziten Bezug zum Nahost-Konflikt. Im Jahr 2023 lag diese Zahl noch bei 143, insgesamt registrierten die Behörden damals 347 antisemitische Straftaten. 2022 gab es insgesamt 107 Fälle. Bei dem Großteil der Straftaten handelte es sich um Volksverhetzung oder die Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen. Der Anteil der Gewaltdelikte erhöhte sich von drei auf elf. 

Auch das Frankfurter Jüdische Museum selbst bekam den Anstieg der Straftaten im vergangenen Jahr zu spüren. Wurden 2023 noch insgesamt drei Vorfälle angezeigt, so stieg die Zahl im vergangenen Jahr bereits auf zehn. Allein in diesem Jahr wurden bis Anfang Februar bereits vier Straftaten registriert - darunter fielen Vandalismus und Schmierereien wie gemalte Hakenkreuze im und am Museum. dpa

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