Gestern noch ein unreligiöser Jude, heute schon ein Orthodoxer mit langem Bart? Das alles geht für Küf Kaufmann zu schnell. »Bis dahin ist es ein langer Weg«, sagt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Leipzig. Um seine persönliche jüdische Identität zu finden, sind 20 Jahre eine kurze Zeit. »Da braucht man nicht nur Geduld, sondern auch die Möglichkeiten, diese jüdische Identität zu förden«, sagt der Kabarettist mit ernstem Blick.
Zum jüdischen Selbstverständnis hat der Jerusalemer L.A. Pincus Fund for Jewish Education in the Diaspora die Studie »Juden und jüdische Bildung im heutigen Deutschland« veröffentlicht, die am vergangenen Montag im Berliner Centrum Judaicum vorgestellt wurde. Unter der Schirmherrschaft des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums und der Universität Potsdam untersuchte der Tel Aviver Professor Eliizer Ben-Rafael, mit welchen Herausforderungen Juden und jüdische Bildungseinrichtungen zu kämpfen haben.
Statistik Von 2008 bis 2009 sind dafür 1.200 in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden befragt worden. Dabei wurden Daten wie Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprachkenntnis, Religiosität oder Verbindung zu Israel befragt und wissenschaftlich ausgewertet. »Die Teilnehmer zu finden, war gar nicht so einfach«, sagt Eliezer Ben-Rafael. Eine solche Umfrage wäre in Israel, wo es eine deutliche Mehrheit jüdischer Bevölkerung gibt, einfacher gewesen.« In Deutschland seien zwar viele Juden in Gemeinden registriert, aber nicht alle. Und deshalb habe man sich neben den Gemeinden auch darüber hinaus umgehört, wer jüdisch sei, sagt Ben-Rafael.
Entstanden ist eine dreibändige Studie, die neben dem ersten beschreibenden Teil einen zweiten mit 23 Interviews mit Führungspersönlichkeiten umfasst. Darunter der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, die Kölner Autorin Adriana Stern oder der Berliner Publizist Sergey Lagodinsky. Sie sprechen über Probleme, die Juden im Gemeindealltag haben: Sind sie halachisch jüdisch oder ist »nur« der Vater Jude, wird in den Gemeinden genug für die Kindereziehung getan und wie stark ist die Bindung der Juden an Israel. Den dritten Teil der Studie bildet ein statistischer Katalog, in dem Fragebögen, Tabellen und Auswertungen zu finden sind.
Der Direktor der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland, Abi Lehrer, betrachtet die vergangenen 20 Jahre, in denen mehr als 200.000 Juden nach Deutschland gekommen sind, als eine »problembehaftete Erfolgsgeschichte«. Erfolgreich deswegen, weil viele Gemeinden, gerade in Ostdeutschland, erst durch die Zuwanderer wieder zu neuem Leben erwacht sind. Problematisch deshalb, weil viele, gerade ältere Zuwanderer, von staatlichen Leistungen abhängig sind und hochqualifizierte sogenannte Kontingentflüchtlinge nur mit großer Mühe auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben.
infrastruktur Dennoch war für viele die Auswanderung nach Deutschland ein bedeutender Schritt in ein neues Leben, denn hier kamen sie wieder mit ihrer Religion in Berührung. Mit Kindergärten, jüdischen Grundschulen oder Jugendzentren entwickelte sich eine Infrastruktur, die seit den 90er-Jahren nach und nach ausgebaut wurde. »Jüdische Bildung in Deutschland ist im Wachstum begriffen«, stellt die Studie fest. Einen immer wichtiger werdenden Teil nehmen dabei Studierendenorganisationen ein, die sich bemühen, junge Juden mit »Podiumsdiskussionen und Freizeitaktivtäten« zu begeistern.
Klar wird, dass, um ein noch besseres jüdisches Bildungsnetz in Deutschland – auch in kleinen Gemeinden – aufzubauen, es noch mehr Teilnehmer bedarf. Zwar sei das Interesse an jüdischer Bildung sowohl bei »Neuankömmlingen als auch bei Alteingesessenen groß, doch richte sich dieses Interesse eher auf nichtreligiöse Themen. Ein großer Unterschied besteht zwischen jüdischen Zentren in Großstädten und Kleinstädten. Allein der Berliner Gemeinde sei es laut Studie gelungen, »ein Netzwerk jüdischer Bildungsinstitutionen aufzubauen. Nur wenige Gemeinden wie in München, Düsseldorf und Frankfurt kommen diesem Ziel nahe.« Als besonders herausragend wird das Touro College in Berlin genannt, »das akademische Studien mit Engagement in der jüdischen Welt kombiniert«.
Einstellung Aber auch die Berliner stehen vor Herausforderungen. Eine Lehrerin der Jüdischen Oberschule wünscht sich etwa eine engere Zusammenarbeit unter den Pädagogen und eine bessere Ausstattung. Diese fange bei der Fortbildung der Lehrer an und ende bei Computern für die Schüler. Vielen Gemeinden fehlten dazu jedoch die finanziellen Mittel. Küf Kaufmann ist sicher, dass man diese Probleme mit lösen kann. »In unserer Gemeinde gibt es junge Leute, die arbeiten als Mechaniker oder haben studiert. Das ist gut.« Denn sie seien motiviert. Manchmal, so gibt er lachend zu bedenken, fehlt auch nur ein »Tritt von hinten«.