Sie ist berühmt. Sie ist so etwas wie eine Vorzeigesynagoge Berlins. Prominente und nicht so bekannte Besucher der Stadt sind dort immer wieder zu sehen, bei Beiträgen über jüdisches Leben in Berlin ist sie immer mit dabei: die Synagoge Pestalozzistraße. Das Gotteshaus hat nicht nur eine ganz besondere Ausstrahlung sondern auch eine lange Geschichte.
Genau die hat die Autorin und Historikerin Esther Slevogt in dem Buch Die Synagoge Pestalozzistraße aus der Reihe »Jüdische Miniaturen« des Verlags Hentrich & Hentrich aufgeschrieben. Beginnend mit dem Gründungsjahr des Gotteshauses 1912 erzählt Slevogt über die kurze Zeit als Privatsynagoge, bis sie 1915 von der Jüdischen Gemeinde übernommen wurde. Über die Weimarer Republik, die Pogromnacht und die Zeit des Aufbaus nach 1945 berichtet die Autorin mit vielen Details. Besonders der berühmte Oberkantor Estrongo Nachama sel. A. prägte die Synagoge, in der 2010 drei Rabbiner, die in Deutschland ausgebildet wurden, ordiniert wurden.
Renovierung Am vergangenen Mittwoch stellte Slevogt ihr Buch im Kidduschraum der Synagoge vor. Etwa 120 Zuhörer waren gekommen, um den Vortrag zu hören. Mit einem launigen Kommentar hatte sie die Zuhörer sofort auf ihrer Seite: Eigentlich hätte die Miniatur, so Slevogt, pünktlich zur Fertigstellung der Renovierungsarbeiten in der Synagoge erscheinen sollen – doch in Berlin ticken die Uhren bekanntlich anders.
Slevogt ging in ihrem Vortrag ausführlich auf die über 100-jährige Geschichte des Gotteshauses ein. Während der Beschäftigung mit der Synagoge habe sie festgestellt, dass es kaum ein erhaltenes Bauwerk in der Stadt gebe, anhand dessen sich jüdische Geschichte besser und eindrücklicher erzählen ließe als an der Synagoge Pestalozzistraße. Im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit stehe dennoch oft die Oranienburger Straße als Zentrum jüdischen Lebens in Berlin.
Mit ihrem Buch wolle sie in gewisser Weise der ungleich weniger bekannten Synagoge zu ihrem Recht verhelfen. Zumal das Gotteshaus in der Pestalozzistraße das einzige weltweit ist, in dem die Beter mit Orgel und gemischtem Chor noch dem liberalen Ritus des deutschen Judentums folgen. Slevogt kommt es dabei aber auch darauf an, nicht nur von jüdischen sondern auch von nichtjüdischen Lesern verstanden zu werden. Ein ausführliches Glossar erklärt wichtige religiöse Begriffe, Fußnoten verdeutlichen darüber hinaus andere für das Verständnis des Judentums wichtige Zusammenhänge.
Liturgie Slevogt ist selbst Beterin in der Pestalozzistraße und hat viele Erinnerungen wie zum Beispiel die an den Oberkantor Estrongo Nachama, der 1988 bei ihrer Hochzeit sang. Ein Highlight der Buchpräsentation waren vor allem auch die Aufnahmen mit liturgischer Musik aus der Synagoge Pestalozzistraße, die Slevogts Miniatur als CD beiliegen. So still und gebannt waren die Besucher beim Gesang der Oberkantoren Leo Gollanin und Estrongo Nachama, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Durch die seltenen Tonaufnahmen in die Vergangenheit versetzt fühlten sich an diesem Abend einige ältere Besucher und erinnerten sich an längst vergessen geglaubte Erlebnisse in der Pestalozzistraße. Gerührt erzählte ein älterer Mann davon, wie er als Junge nach dem Holocaust Schabbat für Schabbat begeistert dem Gesang des jungen Kantors Estrongo Nachama lauschte – und dass dabei draußen vor dem Fenster der Synagoge stets zahlreiche Nichtjuden standen, um ebenfalls gebannt zuzuhören. kat/ppe