Eckhard Witter steht an einem Lattenzaun hinter der schon seit Jahren geschlossenen Dorfgaststätte. Dort, auf dieser Wiese, stand bis zu ihrem Abriss 1943 die Synagoge, erklärt der Ortschronist. Fotos gebe es nicht, aber einen Bauplan und ein Schriftstück vom 6. Januar 1939. Darin schlug der Landrat von Hildburghausen vor, das leer stehende Fachwerkgebäude als Gerätehaus für die Freiwillige Feuerwehr Gleicherwiesen zu nutzen. Auf die Idee des Bürgermeisters, den »ehemaligen Schulraum« für die Hitlerjugend herzurichten, ging er nicht ein.
Ein Rollkommando versuchte in der Pogromnacht, die Synagoge anzuzünden. Das hätten die einheimischen Bauern mit einem Vorwand verhindert, berichtet der pensionierte Lehrer. »Sie haben gesagt, unsere Scheunen sind voll. Funkenflug könnte sie in Brand stecken.« Daraufhin seien Möbel und Ritualgegenstände auf einem Leiterwagen ans Milzufer gebracht und dort verbrannt worden. »Ziehen mussten ihn die jüdischen Männer, die anschließend von den SA-Leuten misshandelt und nach Buchenwald geschafft wurden.«
Deportationen 1942 deportierten die Nazis die letzten noch verbliebenen Juden des Dorfes und besiegelten damit das Ende einer der ältesten jüdischen Landgemeinden in Südthüringen. Geblieben sind der Friedhof außerhalb des Ortes und spärliche Erinnerungen. Eines der wenigen historischen Fotos zeigt Hausangestellte der Firma Bachmann vor dem ehemaligen Schloss zu Bibra um 1900. Die Bachmanns hatten es gekauft und umgebaut. Im Erdgeschoss befanden sich zu DDR-Zeiten der Konsum und das Gemeindebüro. Einen Hinweis auf die jüdische Geschichte des gut erhaltenen Gebäudes an der Lindener Straße gibt es bis heute nicht.
Um 1680 hatten sich unter dem Schutz der fränkischen Reichsritter von Bibra die ersten Juden hier in Südthüringen niedergelassen.
Um 1680 hatten sich die ersten Juden hier niedergelassen, unter dem Schutz der fränkischen Reichsritter von Bibra. »Nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Herren von Bibra einige 1671 aus dem Hochstift Fulda vertriebene Juden aufgenommen haben«, schreibt der Hildburghauser Heimatforscher Karl-Heinz Roß in der von Hans Nothnagel herausgegebenen sechsbändigen Dokumentation des Thüringer Landjudentums (Juden in Südthüringen, geschützt und gejagt, Suhl 1999).
1743 erhielt Gleicherwiesen das Privileg eines Marktfleckens. 1786 vereinigen sich die jüdischen Gemeinden von Gleicherwiesen und dem benachbarten Simmershausen. Sie legen später auch gemeinsam den Friedhof an. Bis 1847 mussten sie ihre Toten noch in Kleinbarndorf bei Bad Königshofen/Grabfeld im Unterfränkischen bestatten.
»Da schaut emol jetzt um: Eine berühmte Handelsstadt / ist Gleicherwiesen – seit es Juden hat«, heißt es in einem Richtfestspruch von 1856. Mehr als 40 Prozent der Dorfbevölkerung waren in dieser Zeit jüdisch. 1865 eröffnete die auf etwa 250 Mitglieder angewachsene Gemeinde ihre neue Synagoge, mitgebaut von den christlichen Nachbarn.
aufschwung Nach Erlangung allgemeiner Bürgerrechte Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die Gemeinde einen großen Aufschwung (ähnlich wie in Franken und Hessen). Dafür stehen neben Gleicherwiesen auch Orte wie Aschenhausen, Berkach, Bauerbach, Dreißigacker, Marisfeld bei Themar oder Vacha in der Rhön. Erhalten geblieben sind die Synagogen von Aschenhausen und Berkach. Letztere wurde restauriert und kann seit 1991 von der Landesgemeinde wieder als Betraum genutzt werden.
Bis in die 20er-Jahre hinein prägten jüdische Geschäftsleute das dörfliche Leben in Gleicherwiesen.
Doch die gewonnenen Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten hatten auch einen Preis für das Landjudentum. Viele junge Leute wanderten in die Städte ab. Dennoch prägten bis in die 20er-Jahre hinein jüdische Geschäftsleute das dörfliche Leben in Gleicherwiesen. »Es gab hier alles zu kaufen, landwirtschaftliche Maschinen, Kunstdünger, Möbel, Kleidung, Modeartikel, Kleinhandel und so weiter.« Nirgends sonst habe es so viele jüdische Handwerker gegeben, berichtet Witter.
»Einen Schneider, eine Bäckerei, die Schächterei von Albert Levy, die Gerberei und Lohmühle Bachmann. Und schon früh einen jüdischen Lehrer, Leo Kahn.« Der auf dem Friedhof beerdigt ist. Nach der Reichsgründung 1871 erkannte die Regierung des Herzogtums Sachsen-Meiningen die jüdische Schule als Volksschule an, als einzige im Land. Volksschullehrer Jacob Mühlfelder unterrichtete christliche und jüdische Kinder gemeinsam.
Gedenktafel Heute finden Besucher den einzigen Hinweis auf die jüdische Geschichte von Gleicherwiesen in der Dorfkirche. Rechts neben dem Altar wurde 60 Jahre nach der Pogromnacht ein Holzbild angebracht: »Im Gedenken an die jüdischen Frauen, Männer und Kinder, die hier lebten 1848–1943«. Über dem Schriftzug sind die Umrisse von Menschen zu sehen, die das Dorf verlassen. Ein einzelner Mann blickt fassungslos ins Leere.
Pfarrer Hans-Michael Buchholz aus Gleichamberg bemerkte, dass langsam die Erinnerung an das jüdische Erbe verloren geht.
Initiator dieser an einen jüdischen Grabstein erinnernden Gedenktafel ist Pfarrer Hans-Michael Buchholz aus Gleichamberg. Er habe gemerkt, dass langsam die Erinnerung verloren geht, gerade unter den Jugendlichen. »Da haben wir überlegt, wie können wir das auffangen? Eine Gedenktafel draußen, am Platz der alten Synagoge? Das ist immer ein bisschen gefährlich. Aber hier in der Kirche ist ein sicherer Platz, zumal es einmal ein gutes dörfliches Zusammenleben zwischen Christen und Juden gegeben hat.«
Von 91 jüdischen Einwohnern lebten nach der Machtübernahme der Nazis 1933 noch 42 in Gleicherwiesen. Einigen, wie Alfred Levy, gelang es zu emigrieren, andere, wie Selma Schloß, Emmanuel Mühlfelder oder Sophie Neumann, wurden in Minsk, Auschwitz oder Theresienstadt ermordet. 1940 gab es die letzte Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof von Gleicherwiesen. Emma Kahns schlichter Grabstein befindet sich gleich rechts neben dem Eingangstor.
Der von einem einfachen Holzzaun umschlossene Gute Ort am Streufdorfer Weg beherbergt rund 200 Gräber. Gepflegt wird er von der Freiwilligen Feuerwehr, betreut und verwaltet von der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.