Warum unsere Gesellschaft so polarisiert ist wie seit Langem nicht mehr und was die Politik dagegen unternehmen kann: Diese und andere Themen standen im Mittelpunkt, als vergangene Woche Omid Nouripour und andere Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen in der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern zu Besuch waren.
Neben Nouripour waren auch Gabriele Triebel aus der Grünen-Landtagsfraktion, Münchens zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden sowie der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Münchner Stadtrat, Dominik Krause, gekommen.
Beim Treffen mit Mitgliedern des Gemeindevorstandes schlug der Bundesvorsitzende selbstkritische Töne an: »Vielleicht diskutieren wir in Berlin so laut, dass der Rest nicht mehr gehört wird.« Gleichzeitig betonte er, dass es mit dem Auflegen von Antisemitismus-Programmen allein nicht getan sei: »Das ist Symptombekämpfung, damit wird der Sumpf nicht trockengelegt.«
»Mein Traum wäre«, hatte Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Kultusgemeinde, das einstündige Gespräch eröffnet, »dass sich Vertreter aller demokratischen Parteien gemeinsam gegen Judenhass positionieren.« An »Sonntagsreden«, die der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland Loyalität zusichern, herrsche kein Mangel. Aber auf diese Reden folgten eben »keine Handlungen«.
sicherheit Für Omid Nouripour, seit 2006 Mitglied des Bundestags und seit 2022 neben Ricarda Lang Grünen-Bundesvorsitzender, markierte der Besuch am Jakobsplatz den Schlusspunkt einer fünftägigen Sommerreise durch Deutschland, bei der auch das Thema Sicherheit im Fokus stand. Er hatte in Frauenhäusern Station gemacht, sich mit Vertretern von Polizei, Feuerwehr und GSG 9 ausgetauscht. Er sagte, auch bei der Antisemitismus-Bekämpfung gehe es natürlich darum, die Betroffenen zu schützen: »Aus Hetze werden schnell Taten.«
Nouripour beschrieb, wie er selbst mit einer der verschiedenen Ausprägungen des Antisemitismus groß geworden sei. Kinder und Jugendliche in Syrien, im Libanon und in seinem Geburtsland Iran würden in den Schulunterricht gehen, mit dem Vorsatz, Israel müsse zerstört werden: »Auch ich bin so aufgewachsen.« Erst in Deutschland habe er begriffen, dass der »Wahrheitsgehalt im Geschichtsunterricht im Iran gegen null geht«.
IKG-Präsidentin Knobloch unterstrich, Erziehung zu Toleranz beginne immer mit politischer Bildung: »Das ist das A und O.« Sie habe den Eindruck, Jugendliche seien im Gegensatz zu früheren Generationen heute aufgeschlossener dafür, sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Zugleich bestünden große Wissenslücken.
»Die Politik erklärt sich nicht klar und überlässt das Feld den Medien.«
IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch
Dass Judenfeindlichkeit nicht nur bei der alten und neuen Rechten, Teilen der Linken und im ausländischen Staatsterrorismus zu finden ist, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft, hob IKG-Vorstandsmitglied Slava Satanovsky hervor. Er selbst habe bereits beruflich mit Kunden zu tun gehabt, die den Holocaust leugneten, und aufgrund seiner Kippa sei er auf das Verhalten orthodoxer Juden in Israel angesprochen worden.
Derweil bemerkte Anita Kaminski, Berlin müsse deutlicher darauf hinweisen, dass Zuwanderung für Deutschland einen »Benefit« bedeute. Hier stimmte Gabriele Triebel ein. Zu lange habe man gehört, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei: »Das Narrativ dreht sich erst langsam.« In Bezug auf die Kommunikation bestätigte auch Charlotte Knobloch: »Die Politik erklärt sich nicht klar und überlässt das Feld den Medien.«
initiativen Weder klare Abgrenzung von der AfD noch neue Initiativen gegen Antisemitismus lösen die Probleme allein: Darin war man sich einig. »Wir haben so viele Antisemitismusbeauftragte wie noch nie, die gute Arbeit machen und großartige Initiativen anstoßen, aber der Antisemitismus geht trotzdem nicht zurück«, so Steven Guttmann, Geschäftsführer der Kultusgemeinde. Er vermisse angesichts dieser Entwicklung eine Fehleranalyse. Inakzeptabel sei auch, dass jüdische Gemeinden teilweise selbst für ihre Sicherheitskosten aufkommen müssten.
Zur Leistung der Regierungskoalition bemerkte Omid Nouripour, die Ampel-Koalition habe seit der Wahl »so viele Gesetze auf den Weg gebracht wie Adenauer in 15 Jahren«. Letztlich scheitere man jedoch daran, Projekte wie das Heizungsgesetz einfach zu erklären. Die Regierung in Berlin, so der Tenor, verkaufe sich einfach nicht gut genug.
Vera Szackamer, Therapeutin von Beruf, betonte schließlich, angesichts wachsender Verunsicherung müsse man den Menschen im Land vor allem das Gefühl vermitteln, »sich angenommen zu fühlen«.
Ehe die Gruppe noch zu einer kurzen Besichtigung in die Hauptsynagoge »Ohel Jakob« aufbrach, betonte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch abschließend die Bedeutung des Zusammenhalts in der Gesellschaft: »Wir brauchen Gemeinsamkeiten.«