»Im Andenken der 467 Söhne unserer Gemeinde, die im Weltkrieg 1914–1918 ihr Leben für das Vaterland hingegeben haben.« Diese Inschrift ziert das Ehrenmal für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs auf dem Alten Jüdischen Friedhof an der Rat-Beil-Straße in Frankfurt am Main.
Am vergangenen Donnerstag, 103 Jahre nach Kriegsende, gedachte die Jüdische Gemeinde gemeinsam mit der Bundeswehr, der Stadt Frankfurt und dem Land Hessen der jüdischen Gefallenen. Erstmals richtete die Frankfurter Gemeinde die Gedenkstunde aus, die seit 2008 auf Initiative der Bundeswehr stattfindet.
kaiserreich Nach einer gemeinsamen Kranzniederlegung am Ehrenmal rief Gemeindevorstands- und Zentralratspräsidiumsmitglied Harry Schnabel in Erinnerung, dass fast 100.000 jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg im Heer des deutschen Kaiserreichs dienten und etwa 12.000 von ihnen fielen. »All das erfuhr keine Würdigung«, sagte Schnabel.
Jüdische Soldaten hätten damals als Drückeberger gegolten, jüdische Unternehmer wie Walther Rathenau seien als Kriegsgewinnler verschmäht worden. Der Erste Weltkrieg habe sich wie ein »Brandbeschleuniger für den Antisemitismus« ausgewirkt. »Am Ende schlug die Hoffnung, mit der viele Juden in den Ersten Weltkrieg gegangen sind, in bittere Enttäuschung um«, so Schnabel.
Dass an dem 1925 eingeweihten, 1938 beschädigten und später in Vergessenheit geratenen Ehrenmal wieder erinnert wird, sei der Bundeswehr zu verdanken. Darin sieht Schnabel eine »klare Kampfansage« gegen antijüdische Strömungen in Zivilgesellschaft und Armee. Er hob den 2019 zwischen dem Bundesverteidigungsministerium und dem Zentralrat der Juden in Deutschland geschlossenen Staatsvertrag hervor, der die Einführung jüdischer Militärseelsorge und die Einrichtung eines Militärrabbinats in der Bundeswehr vorsieht.
loyalität Frankfurts Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass viele Juden sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst meldeten. Sie hätten den Krieg als Chance begriffen, Loyalität zu ihrem Land unter Beweis zu stellen. Ihr Einsatz sei jedoch nicht gewürdigt worden. Die Tragik dieser Geschichte dürfe, so Eskandari-Grünberg, niemals in Vergessenheit geraten.
Auch Uwe Becker, Hessens Landesbeauftragter für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, betonte die Ambivalenz des Orts, an dem »Vaterlandsliebe, Hoffnung, Enttäuschung und die Vorboten des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte« zusammenkämen. Es sei gut und auch wichtig, gemeinsam zu gedenken, sagte Becker, ebenso müsse man aber für das heutige jüdische Leben einstehen.
Als »besonderes Zeichen« wertete auch er die Einrichtung eines Militärrabbinats. Brigadegeneral Olaf von Roeder, Kommandeur des Landeskommandos Hessen, bezeichnete das Militärrabbinat als »sehr gutes Signal« und hob hervor, dass heute viele Juden in der Bundeswehr dienten.
gleichberechtigung Zugleich erinnerte er an die Hoffnung auf Gleichberechtigung, die jüdische Soldaten mit ihrem Einsatz im Ersten Weltkrieg verbanden. Die 1916 angestoßene »Judenzählung« im deutschen Heer bezeichnete der Brigadegeneral als eine »schwerwiegende Diskriminierung und Beleidigung« für die deutschen Juden und »eine schockierende Demütigung und Enttäuschung« für die jüdischen Frontsoldaten.
In der NS-Zeit hätten ihre Tapferkeit und ihr Patriotismus nicht vor Entrechtung und Ermordung geschützt. »Die Bundeswehr ist sich dieses Teils der deutschen Geschichte bewusst«, resümierte Olaf von Roeder und betonte den Wert der Erinnerung an gefallene jüdische Soldaten.
Mit dem Verlesen der Namen der auf dem Ehrenfriedhof beerdigten jüdischen Gefallenen durch zwei Schülerinnen der I. E. Lichtigfeld-Schule sowie dem Vortrag eines Psalms durch Gemeinderabbiner Avichai Apel und des »El Male Rachamim« durch Kantor Yoni Rose klang die Gedenkstunde würdig aus.