Der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz, Avadislav Avadiev, nannte es »ein wunderbares Zeichen der Solidarität mit dem jüdischen Volk«. Für ihre erste Konferenz nach den Attentaten in Paris und den vereitelten Anschlägen in Belgien sowie im hessischen Oberursel entschieden sich die Innenminister von Bund und Ländern für diesen symbolträchtigen Ort.
Am Donnerstag vergangener Woche wählten die Politiker die Veranstaltungsräume der Synagoge in Mainz als Ort für ihre internen Gespräche. Nur einen Tag vor einem erneuten An-schlag mit islamistischem Hintergrund in Frankreich berieten sie über den Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Herausforderungen 70 Jahre nach der Schoa und 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland konferierten die Minister und Senatoren erstmals unter dem Dach eines jüdischen Gemeindezentrums. »Das hat eine besondere Symbolik«, betonte der Chef der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz, auf dessen Initiative die Wahl des Tagungsortes zurückgeht. Der rheinland-pfälzische SPD-Politiker lobte die Beziehungen zu der Mainzer Gemeinde als gut und vertrauensvoll. Gemeinsam, so der Innenminister, werde man die Herausforderungen durch Terror und Antisemitismus bewältigen.
Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Stella Schindler-Siegreich, führte die Mi-nister durch die 2010 eröffnete Synagoge und gab einen Überblick über Historie und Bedeutung der SCHUM-Gemeinden Mainz, Worms und Speyer. Der Besuch der Minister sei »für die Gemeinde ein aufregender Moment«. Es sei ein »Zeichen der Wertschätzung und keineswegs selbstverständlich«, sagte die Vorsitzende der Jüdischen Allgemeinen. »Wir fühlen uns geehrt«, betonte auch Aharon Ran Vernikovsky, Rabbiner der Gemeinden Mainz und Worms.
In einer »Mainzer Erklärung« bekannte sich die Innenministerkonferenz demons-trativ zur hohen Priorität des Kampfes gegen Antisemitismus. »Im Bewusstsein der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands und im Gedenken an über sechs Millionen ermordete Juden sowie in Kenntnis der fortdauernden Bedrohung des Staates Israel und der Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens auch in unserem Land« bleibe die Bekämpfung jeder Form von Antisemitismus ständige Herausforderung und Verpflichtung für Staat und Gesellschaft, hieß es.
Statistik Die steigende Zahl von Straftaten und die offene oder versteckte Agitation mit antisemitischem Hintergrund aus dem rechtsextremistischen und islamistischen Spektrum sehen die Minister mit großer Sorge. Laut der Statistik über politisch motivierte Kriminalität ist die Zahl der Straftaten in Deutschland mit antisemitischem Hintergrund um 25,2 Prozent gestiegen. 2013 wurden 1275 dieser Straftaten registriert, ein Jahr später schon 1596.
Die Ängste der Juden nähmen die Mi-nister »ausgesprochen ernst«. Es sei nicht zu verkennen, »dass antisemitische Einstellungen auch in Teile der Gesellschaft im Sinne eines Verbal-Antisemitismus reichen«, hieß es in der Erklärung.
Original Der entschlossene Kampf gegen Antisemitismus und der Schutz von Juden sei Staatsräson und bleibe »wichtige politische Aufgabe für den deutschen Staat und die gesamte Gesellschaft«. Die Erklärung, gerahmt und im Original mit den Unterschriften aller 17 Innenminister, überreichte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) an die Gemeindevorsitzende.
In der Mainzer Synagoge, so Stella Schindler-Siegreich und Rabbiner Vernikovsky, fänden viele öffentliche Veranstaltungen statt, die Räume seien auch außerhalb der Gemeinde sehr beliebt. »Wir sind in der Öffentlichkeit präsent und müssen uns dem Antisemitismus stellen.« Schindler-Siegreich kam 1959 aus Polen mit ihrer Familie nach Deutschland, ihre Mutter hatte Auschwitz überlebt. »Doch ich hatte nie Angst zu sagen, dass ich jüdisch bin.«
Bei den Menschen ihrer Gemeinde, vorwiegend Juden aus der früheren Sowjetunion, habe sich das geändert: »Heute ist es Realität, dass sie Angst haben, als Juden erkannt zu werden. Wir schreiben sogar auf ihre Bitte hin keinen Absender auf Briefe der Gemeinde, damit die Nachbarn das nicht mitbekommen.« Schindler-Siegreich sieht die Gemeinde in der Pflicht, eine öffentliche Rolle zu übernehmen: »Wir wollen nicht nur Zuschauer sein.« Nicht nur Akteur an Gedenktagen oder in einem bestimmten Kontext: »Wir wollen als jüdische Gemeinde einen aktiven Part spielen.«