Erfurt

Bescheidener Neuanfang

Die Synagoge von Erfurt: In der DDR sollten auch Sakralbauten möglichst dezent und schlicht gehalten werden. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Die ursprüngliche Erfurter Synagoge, 1884 eingeweiht, muss ein prachtvoller Bau gewesen sein. Leider existieren nur noch wenige Fotos aus dieser Zeit, die das Portal mit den beiden hohen Säulen am Eingang, die hohen, halbrunden Fenster und die Kugeln auf dem Dach zeigen. Denn im November 1938 war Schluss mit dem jüdischen Leben in der Stadt, Bauwerke, Kultur und Menschenleben wurden gleichermaßen vernichtet.

Nur 15 Juden kehrten nach 1945 in ihre Heimatstadt zurück. Hinzu kamen aber viele geflüchtete Juden aus dem östlichen Europa. So entstand bald der Wunsch, ein neues Bethaus zu errichten. Denn auch in Gotha, Arnstadt und den anderen Städten in der Region waren die Synagogen zerstört.

DDR Wie sich Otto Nuschke gefühlt hat, als er im August 1952 eine neue Synagoge in Erfurt einweihte, das ist nicht überliefert. Fest steht, dem Christdemokraten und damaligen stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten war es angeblich wichtig, dass die Stadt Erfurt diesen Schritt geht. Exakt das Grundstück, auf dem die alte Synagoge gestanden hatte, wurde der Gemeinde zurückgegeben und ein neuer Bau geplant.

Jüdische Gebäude sollten sich in den Rahmen der sozialistischen Architektur einfügen.

»Man kannte sich auch aus den Konzentrationslagern«, vermutet Reinhard Schramm, der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Ob Kommunist, Widerstandskämpfer oder Jude – viele hatten gleichermaßen unter den Repressalien zu leiden. Daraus entstand der Wunsch, die neue Zeit besser zu gestalten. Vielleicht war auch Mitleid mit den wenigen jüdischen Überlebenden im Spiel.

Repressionen Zugleich nahm der Antisemitismus – bedingt durch die Maßnahmen Stalins – bereits wieder neue Formen an. Dennoch errichteten Handwerker 1951/52 die neue Synagoge in Erfurt. Damals hieß die Straße noch Mao-Tse-Tung-Ring, heute ist es der Juri-Gagarin-Ring.
Eigentlich wollte der Erfurter Architekt Willy Nöckel eine Synagoge, die dem Vorgängerbau – zumindest mit einer kleinen Kuppel auf dem Dach – nahekommt. Die Behörden blockten jedoch ab. Es war die Zeit, in der man in der DDR den Städtebau neu definierte. Auch ein jüdisches Gebäude sollte sich in den Rahmen der sozialistischen Architektur einfügen. Eine repräsentative Synagoge war deshalb nicht gewünscht.

Der Bau mit seinen zwei Stockwerken, schlicht gehalten, funktional und mit Satteldach, wurde 1952 eingeweiht und war damit die erste neu errichtete Synagoge auf deutschem Boden nach 1945 und die erste und einzige der DDR. Nuschke betonte in seiner Rede zur Einweihung, dass die »Wiedergutmachung an den Juden« für die DDR-Regierung »oberstes Gebot« sei.

Fakt aber ist auch, dass das von den Nationalsozialisten geraubte jüdische Eigentum nahtlos in sozialistischen Besitz überging. Eine Restitution gab es kaum. Zumindest, so Schramm, ist dieses Thema sehr unterschiedlich behandelt worden. Großer Besitz, wie Unternehmen und Geschäfte, wurden dem sozialistischen Gemeinwohl untergeordnet.

Auch eine konkrete Aufarbeitung und Bewahrung des jüdischen Erbes hat kaum stattgefunden. Das neue jüdische Leben begann eher zurückhaltend. Wenig ist überliefert, wie sich beispielsweise Max Cars gefühlt haben muss. Nur so viel: Der erste Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen war ein disziplinierter und sehr gläubiger Mann, der alles tat, um das Judentum, so gut es ging, wieder anzusiedeln. Und vermutlich wusste er auch um die Spannungen, die jederzeit wieder aufbrechen konnten.

Angst Das Judentum an sich blieb – und der Bau der Neuen Synagoge erscheint geradezu symbolisch dafür – untergeordnet, eher am Rande, mehr geduldet als wertgeschätzt und hervorgehoben. Vielleicht war unterschwellig auch immer eine gewisse Angst vorhanden, die zur Vorsicht mahnte und ein öffentliches Selbstbewusstsein blockierte. Denn man nahm sehr wohl wahr, dass Stalin in der Sowjetunion bereits eine nächste große Verfolgungswelle ausgelöst hatte, die sogenannte Ärzteverschwörung, die sich nicht nur gegen jüdische Mediziner richtete.

Auch in anderen Ländern drohte neues Ungemach. So wurde der jüdischstämmige Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, Rudolf Slán­skí, des Hochverrats bezichtigt und zum Tode verurteilt. Eine Tat, die sicherlich auch in der DDR nicht folgenlos blieb und manch einen Parteigenossen beeinflusst haben dürfte. Die Angst vor Spionage war überall groß.

Nur die Davidsterne im Fenster und dem Eingang des Gebäudes verweisen auf seine Funktion.

Nur wenige Dokumente zeugen vom zaghaften Neubeginn des jüdischen Lebens in Erfurt in der Zeit des Synagogenbaus. Wie haben sich die Menschen damals gefühlt? Womit wurden sie konfrontiert? Nur so viel weiß man: Viele flohen, manche blieben. Es waren unsichere Zeiten in der sowjetischen Besatzungszone, obwohl es gerade dorthin nach 1945 etliche jüdische Heimkehrer zog, um ein vermeintlich besseres Deutschland aufzubauen, beispielsweise die SED-Politbüromitglieder Albert Norden oder Hermann Axen.

Raum Und das Gebäude selbst? Einzig die Davidsterne im Rundfenster am Giebel und über dem Eingang verweisen auf seine Funktion. Wer die Synagoge betritt, erlebt einen hellen, schnörkellosen, betont sachlichen Raum. Die Frauenempore in der oberen Etage bietet den Blick zum Toraschrein. Helle Farben dominieren das Bild – ein Blau, das an den Erfurter Waid erinnert. Rötliche und helle Töne, die man für den Stein, den Außenputz und den Innenraum verwendete, und die man im Rahmen einer Sanierung für so wesentlich hielt, dass man sie bewahrte.

Ob das Gebäude und damit auch die Gemeinde seit Mitte der 50er-Jahre von der Staatssicherheit beobachtet wurden, kann man heute nicht genau sagen, sehr wohl aber vermuten – auch hier besteht noch Forschungsbedarf. »Es hat keinen Zweck, darüber zu spekulieren, es fehlt einfach die gründliche Aufarbeitung«, betont Schramm. Doch jetzt soll erst einmal das Jubiläum würdig begangen werden, und zwar mit Respekt, Freude und Verantwortung – wohl wissend, dass es noch eine Menge Fragen gibt rund um den Bau und die Geschichte der Juden in Thüringen nach 1945.

Wer heute die Neue Synagoge in Erfurt besucht, läuft über das seit 2014 in Max-Cars-Platz umbenannte Areal. Wer die ehemalige Große Synagoge auch aus der Ferne bewundern will, kann dies mithilfe eines 3-D-Modells und einer VR-Brille tun. Das ist das Resultat eines Projekts verschiedener Wissenschaftler, die zeigen wollten, wie jüdisches Leben und jüdische Architektur in der Stadt vor 1938 aussahen.

Heute gibt es nahe der Synagoge ein Kulturzentrum. Museal genutzt werden in Erfurt sowohl die Alte als auch die Kleine Synagoge. Jüdisches Leben mit all seinen steinernen Zeitzeugen ist übrigens ebenfalls ein Thema, mit dem die Stadt Erfurt im Rahmen ihrer Bemühungen, den Titel »UNESCO Weltkulturerbe« zu erhalten, ins Rennen geht.

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