Religiöse Überzeugung und Arbeitsalltag: Das lässt sich nicht immer einfach unter einen Hut bringen. Denn obwohl der Glaube auch in einem weithin säkularisierten Land wie Deutschland für viele Menschen nach wie vor eine wichtige Rolle im Leben einnimmt, hat er in der modernen Arbeitswelt oftmals keinen Platz. Die Religion gilt als reine Privatsache.
Wo der Glaube allerdings selbst zum Beruf wird, ist die Religionsausübung kein Problem. »Rabbiner zu sein, ist für mich eine innere Berufung und kein Beruf, mit dem ich möglichst viel Geld verdienen möchte«, sagte Isak Aasvestad, Absolvent des Rabbinatsstudiums am Abraham-Geiger-Kolleg an der Universität Potsdam.
Er war einer der insgesamt vier jüdischen und muslimischen Geistlichen und Gemeindemitarbeiter, die am Mittwochabend vergangener Woche von ihren Erfahrungen mit dem Glauben am Arbeitsplatz berichteten.
Diskussion Im Rahmen des Zentralratsprojekts »Schalom Aleikum. Jüdisch-muslimischer Dialog« waren Ita Afanasev, Rebbetzin und Direktorin der JAcademy in Berlin, Meho Travljanin vom Islamischen Kulturzentrum der Bosniaken in Berlin, Dua Zeitun, islamische Theologin und Streetworkerin in Osnabrück, mit Jung-Rabbiner Aasvestad zur Diskussion zusammengekommen.
Durch den Abend führte Katrin Visse von der Katholischen Akademie in Berlin als Moderatorin. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten nicht alle Teilnehmer physisch zum Gespräch zusammenkommen. Per Videoschaltung waren sie aber miteinander verbunden. Zuschauer konnten die Veranstaltung unter dem Titel »Faith works. Jüdisch-muslimischer Dialog über Glauben als Beruf« zudem über einen Livestream auf Facebook und YouTube verfolgen.
Menschen müssen gerade in diesen Zeiten zusammenarbeiten.
Ran Ronen, Mitglied im Präsidium des Zentralrats der Juden und im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, betonte zur Einleitung, dass die Corona-Krise wieder einmal verdeutlicht habe, »dass Menschen unabhängig von ihrer Religion, Herkunft und Hautfarbe zusammenarbeiten müssen«, um gemeinsam und solidarisch die Gesellschaft voranzubringen.
Mit dem in der Corona-Pandemie vorerst digital stattfindenden religionsübergreifenden Dialogformat »Schalom Aleikum«, das von der Staatsministerin und Bundesintegrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz (CDU) unterstützt wird, sollen Menschen verschiedener Herkunft durch einen offenen Austausch zusammengebracht und somit auch antisemitischen und antimuslimischen Ressentiments entgegengewirkt werden.
Identität »Der Glaube gehört zu meiner Identität«, sagte die Islam-Theologin Zeitun auf die Frage, welche Rolle die Religion in ihrem Alltag einnimmt. »Für mich ist es etwas sehr Positives, dass es zu meinen täglichen Aufgaben gehört, über meinen Glauben und Religion allgemein sprechen zu können.« Zeitun ist Tochter eines Imams und hat islamische Theologie in Osnabrück studiert. Derzeit arbeitet sie für eine katholische Bildungseinrichtung und den von ihr gegründeten muslimischen Jugendverein »Mujos«.
In ihrer Arbeit als Streetworkerin engagiert sich Zeitun gegen die Radikalisierung von Jugendlichen. Mit ihren Jugendgruppen besuche sie regelmäßig Synagogen und jüdische Kultureinrichtungen. »Dabei arbeite ich auch eng und gut mit der Jüdischen Gemeinde in Osnabrück zusammen«, erzählte die Theologin. »Der Dialog miteinander schafft den notwendigen Raum zum Kennenlernen.«
Rebbetzin Afanasev konnte dem nur zustimmen. »Es muss eine Selbstverständlichkeit werden, dass wir uns trotz aller Unterschiede miteinander austauschen«, sagte Afanasev, die sich in der Kahal-Adass-Jisroel-Gemeinde in Berlin engagiert. Ihr eigener Glaube helfe ihr dabei, auf andere zuzugehen, wie sie erzählte. »Ich glaube, je selbstbewusster man mit der eigenen religiösen Überzeugung umgeht, desto besser kann man auch in den interreligiösen Dialog treten.«
Austausch An diesem Punkt hakte Moderatorin Visse nach. Wie die Diskussionsteilnehmer den Austausch mit anderen Menschen wahrnehmen, wenn diese sie als Repräsentanten ihrer jeweiligen Gemeinden wahrnehmen, wollte sie von den vier Teilnehmern wissen.
»Eine religiöse Gemeinde erfüllt keinen Selbstzweck, sondern existiert um Gottes Willen«, antwortete der gebürtig aus Norwegen stammende Aasvestad. »Als Rabbiner, Imame, Priester und Gemeindemitarbeiter haben wir alle gemeinsam, diesen Zweck auch als Repräsentanten unserer Gemeinden zu erfüllen.«
Für Meho Travljanin bedeutet das Engagement in seiner Gemeinde auch, über drängende Probleme zu sprechen. »Wir müssen sowohl innerhalb der Gemeinden als auch mit Vertretern anderer Religionen über die Herausforderungen sprechen, die wir grundsätzlich als religiöse Menschen in der Gesellschaft haben«, meinte der Vorsitzende des Kulturzentrums der Bosniaken in Berlin.
Dazu zählt für ihn der kritische Diskurs über die mediale Darstellung von Religionsgemeinschaften. »Viele Jugendliche kommen zu mir und sagen, dass sie sich öffentlich lieber nicht zu ihrem Glauben und zu ihrer Gemeinde bekennen wollen«, sagte Travljanin. Zu groß sei die Furcht vor Stigmatisierung.
Keine Angst vor Verschiedenheit zu haben, ist der Schlüssel zum Dialog.
Travljanin kam Anfang der 90er-Jahre mit seiner Familie als Flüchtling aus Bosnien nach Berlin und arbeitet neben seiner Gemeindetätigkeit als Controller in einer Immobilienfirma. »Leider ist Islamophobie ebenso wie Antisemitismus ein Problem, das unsere ganze Gesellschaft betrifft«, sagte er. Um Diskriminierung entgegenzuwirken, sei die offene Debatte entscheidend.
Selbstverständnis »Wir müssen in Berlin und Deutschland ein Selbstverständnis dafür schaffen, dass der Glaube sichtbar gelebt werden kann.« Das wünschte sich auch Rabbiner Aasvestad. »Der Schlüssel zum Dialog liegt darin, keine Angst vor Verschiedenheit zu haben«, sagte er.
Diese Angst vor dem vermeintlich anderen sei auch in einer multikulturellen Metropole wie Berlin immer noch viel zu oft präsent. Der Angst Aufklärung und Begegnung entgegenzusetzen, hält der Rabbiner für eine der zentralen Aufgabe religiöser Führungspersönlichkeiten.