Die Anzeige des jüdischen Elternheims in Köln klingt dringend: »Examinierte Pflegekräfte und Pflegehilfskräfte in Voll- und Teilzeit sowie Auszubildende gesucht«. Die Annonce in der Zeitung der Synagogen-Gemeinde Köln ist Folge einer Entwicklung, die derzeit allen Altenheimen und Pflegediensten zu schaffen macht: Es gibt schlichtweg zu wenig Personal.
71 Senioren werden zur Zeit im Elternheim betreut. »Der Personalschlüssel hängt von der Pflegestufe ab«, erklärt Dalia Rado, Leiterin der Einrichtung. »Ein Patient der höchsten Pflegestufe 1, benötigt vier Vollzeitkräfte, einer der Pflegestufe 2 immerhin noch zweieinhalb.«
Theoretisch könne sie selbst Personal ausbilden, sagt Rado, »das werden wir auch ab diesem Sommer wieder tun, aber es ist natürlich ein langwieriger Prozess.« Stellen neu zu besetzen sei derzeit schwierig, sagt Rado, denn nicht jede Fachkraft sei auch automatisch als Mitarbeiter oder Mitarbeiterin im Elternheim geeignet. »Uns sind die menschlichen Komponenten sehr wichtig. Wir achten bei Bewerbern sehr darauf, dass sie empathisch sind und dass ihnen das Wohl der Bewohner am Herzen liegt – ich betone das Wort ›Herz‹.«
Aber sollte man Mitgefühl und Liebe zu anderen Menschen nicht als eine Grundvorausetzung annehmen, einen sozialen Beruf zu ergreifen? »Ach«, seufzt Rado, »mein Vater hat immer gesagt, dass nichts auf der Welt selbstverständlich ist. Früher wollte ich ihm das nicht glauben, aber mittlerweile bin ich zur selben Erkenntnis gekommen.«
Einstellung Auch Ilona Katz, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Kassel und Inhaberin eines privaten Pflegedienstes, hat die Erfahrung gemacht, dass nicht jeder ausgebildete Kranken- oder Altenpfleger automatisch die nötigen sozialen Fähigkeiten für den Beruf mitbringt. Und manche sogar ausgewiesene Antisemiten sind: »Als wir einen Pflegedienstleiter suchten, haben wir 18 Vorstellungsgespräche geführt, und immer gleich gefragt, ob sich die Bewerber vorstellen könnten, mit Juden zu arbeiten. Zwei haben gleich nein gesagt – naja, es ist immerhin besser, das sofort zu wissen als es erst später mitzubekommen.«
Es würden viel mehr Fachkräfte benötigt, sagt Katz nachdrücklich. Ihr vor acht Jahren gestartetes Pflegeunternehmen betreut mittlerweile fast 200 Menschen. »Aber wir haben eine Warteliste. Um die Wartenden aufnehmen zu können, müssen wir mehr Personal anstellen.« Ungelernten Kräften bezahle man die Ausbildung zum Alten- oder Krankenpfleger, außerdem werden examinierte Kräfte weitergebildet, zum Beispiel zum Wund- oder Dekubitus-Beauftragten. Dazu kommen Schulungen für die Mitarbeiter, die speziell auf die Arbeit mit Holocaust-Überlebenden oder den Angehörigen der zweiten Generation ausgelegt sind.
neue Märkte Das alles ändert allerdings nichts am Problem, aktuell dringend qualifizierte Mitarbeiter zu benötigen. Katz setzt nun auf Personal aus dem Ausland: »Wir haben angefangen, in den neuen EU-Ländern Lettland, Estland und Litauen nach geeigneten Mitarbeitern zu suchen.« In Kassel werden nämlich Mitarbeiter gesucht, die idealerweise zweisprachig sind, also Deutsch und Russisch sprechen. »Sonst wird es im Pflegedienst problematisch, denn man muss natürlich im Notfall verstehen, was ein kranker Mensch sagt, und umgekehrt auch Fragen und Anweisungen eines Arztes übersetzen, um helfen zu können.«
»Nein, nein, nein«, sagt Leo Friedman vom Jüdischen Altenheim in Frankfurt mit Nachdruck. »Nein, wir haben keinen Pflegenotstand. Wir haben einen Mangel an Fachpersonal, es sind einfach zu wenig examinierte Kräfte auf dem Arbeitsmarkt. Pflegenotstand würde bedeuten, dass wir in Deutschland eine miese Qualität in der Pflege haben, und das ist nicht der Fall.«
Mögliche Gründe für den Personalmangel sieht Friedman einerseits im für junge Leute nicht sehr attraktiven Image des Berufs sowie in der schlechter gewordenen Bezahlung. »Früher galt der Bundesangestelltentarif (BAT), heute ist es der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst TVöD – nach dem fängt man mit deutlich weniger Geld an als früher.«
Die schlechtere Bezahlung sei auch ein Grund dafür, dass Fachkräfte ihre Arbeitsstellen nicht so gern wechseln würden: »Wenn jemand aus einem Arbeitsplatz mit dem alten BAT rausgeht und an einem neuen mit TVöD anfängt, verdient er ohne Zulagen und so weiter erst einmal 300, 400 Euro weniger. Und das ist schon eine ganze Menge.« Und so sei die Situation schon so angespannt, dass man als Arbeitgeber manchmal sogar misstrauisch werde, »wenn jemand mit erstklassiger Qualifikation auf dem Markt ist, da fragt man sich schon, was denn da los ist«, sagt Friedman und lacht.
Im Frankfurter Senorenheim sind aktuell drei Stellen offen. »Wir haben normalerweise keine große Fluktuation beim Personal und müssen deswegen nicht ständig neue Mitarbeiter akquirieren. Aber wenn jemand in eine andere Stadt zieht, dann muss er natürlich seinen Job hier aufgeben.« Ein gutes Betriebsklima und Vergünstigungen kämen letzlich auch dem Arbeitgeber zugute, findet Friedman, gibt aber auch zu, »dass die aktuelle Situation auf dem Markt für Einrichtungen, die beispielsweise gerade erst ihre Pforten geöffnet haben, schon sehr schwierig sein kann.«
Ausbildung Generell rechne er mit einer Verbesserung der Situation durch eine geplante Gesetzesänderung, nach der die Berufsausbildungen von Zuwanderern zum Beispiel aus dem ehemaligen Ostblock künftig leichter anerkannt werden sollen. »Da die Standards nicht unbedingt so hoch sind wie hier, müssen die Pflegekräfte dann zwar vielleicht nachlernen, aber das ist ja machbar«, zeigt sich der Seniorenheimleiter zuversichtlich.
Andererseits werden durch den Wegfall des Zivildienstes Lücken gerissen, »zumal mancher junge Mann erst durch seine Zeit in einer sozialen Einrichtung überhaupt auf die Idee gekommen ist, danach auch einen sozialen Beruf zu ergreifen«.
Im Bereich der Umschulung sieht Friedman ebenfalls noch Verbesserungsmöglichkeiten. »Das ist alles noch nicht so ganz stimmig. Ein LKW-Fahrer, der in seinem Job berufsunfähig ist, ist ja nicht notwendigerweise dann auch ein guter Altenpfleger, nur weil er sich notgedrungen zu einer Umschulung entschlossen hat – es gibt schließlich einen Unterschied zwischen Beruf und Berufung.«
Jüdische Seniorenheime
berlin: Jeanette Wolff Seniorenzentrum, Dernburgstraße 36, Berlin, Tel.: 0 30/ 32 69 59-11
düsseldorf: Elternzentrum Nelly Sachs, Nelly-Sachs-Straße 5, Düsseldorf, Tel.: 0211/438 43-0
hannover: Jüdisches Seniorenheim, Lola-Fischel-Haus, Haeckelstraße 6, Hannover, Tel.: 0511/288 69 53
köln: Elternheim der Synagogen-Gemeinde, Ottostraße 85/Nußbaumerstraße, Köln-Ehrenfeld, Tel: 0221/716 62-560
frankfurt: Mehrere Einrichtungen, u.a. Altenzentrum der Gemeinde, Bornheimer Landwehr 79b, Frankfurt am Main,
Tel.: 069/40 56 0-197
münchen: Saul-Eisenberg-Seniorenheim, Kaulbachstraße 65, München, Tel.: 089/38 17 30
stuttgart: Jüdische Seniorenwohnanlage der Gemeinde, Firnhaberstraße 9, Stuttgart-Mitte, Tel.: 0711/22 83 6-0