Wenn die letzten Töne verhallt sind, schließt Roni Valensi ihre Augen, beugt langsam den Kopf nach vorn und streicht die dunklen Locken aus ihrem Gesicht. Dann greift sie nach den Kopfhörern und setzt sie ab. Denn laute Musik ist für die Friedenauer Wohnung des israelischen Duos »Angellate« manchmal eben einfach zu laut.
Auch Boris Molotsky zieht die Stecker der Kopfhörer aus seinem Keyboard. »Berlin ist so leise«, sagt der 36-jährige Musiker, der mit Roni seit drei Monaten hier lebt. Selbst am Potsdamer Platz, wo hupende Autos noch zu den dezenten Geräuschen zählen, empfinden die beiden Tel Aviver Berlin als angenehm. »Sonntags ist es hier manchmal wie an Jom Kippur in Israel«, stellte Roni nach den ersten beiden Wochenenden in der Metropole fest. Die Straßen seien leer, und wenn die Menschen rausgingen, dann auch nur kurz.
Planung Nicht nur das war für die beiden überraschend. »Die Berliner Musikszene ist einfach offener als die in Tel Aviv«, sagt Roni. So sehr sie ihre Heimatstadt mag und auch vermisst, das »kosmopolitische Gefühl dieser Stadt« sei einfach toll. »Außerdem ist das Leben hier günstiger als irgendwo anders, man bekommt relativ unkompliziert ein Künstlervisum.« Trotzdem geht nichts über gute Planung: »Wir haben uns fast ein halbes Jahr auf unseren Auslandsaufenthalt vorbereitet, haben gespart und bereits von Tel Aviv aus nach einer Wohnung gesucht.« Die Suche führte sie direkt in den Wedding. »Ein sehr intensives Erlebnis«, beschreibt Boris die erste Begegnung mit dem Bezirk. »Es war so interessant, die verschiedenen kulturellen Einflüsse zu sehen.«
Im Vergleich zu Friedenau, wo die beiden zurzeit leben, waren die beiden Monate im Wedding sehr exotisch. Bald müssen sie wieder aus der Wohnung, denn das Pärchen, das an Roni und Boris vermietet hatte, kommt aus seinem Urlaub zurück. »Irgendwie hat das was. Vielleicht machen wir das zu einer Tradition, während wir in Berlin sind – Bezirke-Hopping«, überlegt Boris, der als Kind mit seinen Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel kam und die ersten Wochen als Schock empfand. »Es war so kalt, und das nicht nur klimatisch.«
Denn so beschreiben es die beiden: »Die israelische Community in der Stadt ist zwar sehr groß, aber nicht gerade sehr nett.« Es gäbe viel Zynismus, jeder Neue würde erst einmal kritisch beäugt. »Das hat mich umgehauen. Ich dachte immer, Israelis müssten zusammenhalten, gerade im Ausland und gerade in Deutschland«, bekennt Roni schweren Herzens. »Die Einzigen, die uns in irgendeiner Weise geholfen haben, wenn wir Fragen hatten, waren Deutsche.«
Stand-up Und da in Berlin vieles passieren kann, womit man vielleicht nicht immer rechnet, begegneten die beiden Musiker nach einem Auftritt zwei Menschen, denen sie zu Hause in Tel Aviv ganz sicher auch nicht über den Weg gelaufen wären. »Wir waren bei einer Open Mike Session, und eine Comedian, die aus dem Libanon kam, fragte einige Leute im Publikum nach ihrer Herkunft.« Sie kam auf Roni zu, hielt ihr das große Mikrofon in das Gesicht und fragte: »Und du?« In Roni zitterte es vor Aufregung. »Ich überlegte, sage ich es laut oder leise, dass ich aus Israel bin?« Sie sagte es laut. Unweit von ihr saß ein Syrer, der sich ebenfalls vorstellte. »So etwas Außergewöhnliches würde uns in Tel Aviv nicht passieren«, staunen Boris und Roni noch heute.
Seit sechs Jahren arbeiten die 32-jährige Roni und Boris zusammen. Sie singt und textet, er komponiert. Klingt harmonisch, dabei kommen die beiden Israelis aus komplett verschiedenen Musikrichtungen. »Ich mag Rock, Hip-Hop, Metal; Roni steht auf Soul, Jazz und Soft-Pop«, erzählt Boris. Dass das gut zusammenpasst, hatte Roni schon vor Jahren im Gefühl, als sie durch das abendliche Tel Aviv ging und überlegte, mit wem sie gemeinsam Musik machen könnte. »Mir fiel sofort Boris ein, obwohl – oder gerade weil wir musikalisch so verschieden sind.«
Facebook Daraus entsteht Musik, bei der das Publikum bei kleineren Auftritten der beiden in Berlin, aber auch eine stetig wachsende Fangemeinde in sozialen Netzwerken gern zuhört. »Wir lassen uns von der Stadt inspirieren und können hier konzentriert arbeiten – schließlich gibt es keine Ablenkung durch den Strand«, sagt Roni mit einem Bedauern in der Stimme.
Denn oft fehlt ihr auch das Zuhause. Dann erinnert sie sich an den schweren Abschied von ihren Freunden, ihrer Familie. »Besonders für meine Großmutter war es schwer. Kurz bevor ich gegangen bin, fuhr ich noch einmal zu ihr. Sie ignorierte mich und war schlecht gelaunt.« »Denkst du, dass das einfach für mich ist?« Roni rannte weinend davon. »Bei unserem nächsten Treffen war sie ruhiger, heute ruft sie mich einmal die Woche an.« Die Verbindung nicht zu verlieren, ist wichtig. Musik sei doch wie die Familie: immer im Herzen.
Mehr über Angellate
http://angellate.bandcamp.com
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