Am Leben schätze ich die kniffligen Aufgaben und ich mag Herausforderungen. Was mich interessiert, lässt mich nicht mehr los und, ich arbeite so lange daran, bis ich die Lösung gefunden habe. So wie eben jetzt in meinem Studium. Wirtschaftsingenieurwesen, Fachrichtung Maschinenbau – nicht gerade ein Spaziergang.
Seit der zehnten Klasse war mir jedoch klar, dass ich Maschinenbauer werden möchte. Vor allem die Autos und ganz besonders die Rennwagen der Formel 1 begeistern mich. Da wusste ich, dass es ein Traum wäre, als Ingenieur im Rennbetrieb zu arbeiten – oder Autos mit zu entwickeln, um sie umweltfreundlicher und sicherer hinzubekommen.
Technik Wie schafft man es, aus drei Zylindern 600 PS zu ziehen? Das fasziniert mich. Auch ingenieurstechnisch sind die Rennwagen beeindruckend. Vor Kurzem gab es bei einem Wettkampf einen schrecklichen Unfall, bei dem sich ein Rennwagen überschlug und in Flammen aufging, aber dem Formel-1-Piloten war nichts Nennenswertes passiert. Man konnte sehen, wie das Material standhält. Die Fahrer sind in ihrer Kabine sicher. Toll ist auch, was die Motoren für Leistungen an den Tag legen, beispielsweise bei der sekundenschnellen Beschleunigung.
Ich hatte mich nach meinem Abitur an mehreren Universitäten beworben und war dann sehr glücklich, dass ich in meiner Heimatstadt Aachen tatsächlich einen Platz bekam. In diesem Sommer muss ich lernen, lernen und lernen, denn es ist Klausurphase. Für andere Interessen bleibt dann kaum Zeit. Auf meinem Lernplan stehen Themen wie Schienenfahrzeugtechnik, Informatik, Mathe und andere Grundlagenfächer.
Jewrovision Was ich allerdings noch mitmachen konnte, war die Jewrovision im Mai. Dort war ich bei der Staff eingeteilt. Es war total cool, dass 1200 Jugendliche in der Halle standen und wieder mit Schlachtenrufen battleten. Ich ertappte mich sofort dabei, dass ich mitgerufen habe. Zwei Jahre hatte der Song Contest gefehlt, und nun war die Stimmung wieder top. Ich hatte richtige Glücksgefühle und genoss die Stimmung, Schlafen wurde zur Nebensache, denn das kann ich auch zu Hause. Mittlerweile leben meine Eltern, meine 13-jährige Schwester und ich in einem Haus in Belgien, wenige Kilometer von Aachen entfernt. Wenn wir zum Fenster hinausschauen, haben wir freie Sicht auf weite Felder, was ich sehr mag. Dennoch bin ich mit dem Auto in 15 Minuten im Aachener Stadtzentrum.
Mein gesellschaftliches und kreatives Leben steht jetzt komplett im Hintergrund. Dadurch verpasste ich das Machane und die Maccabiah in Israel. Leider ist mein Alltag derzeit etwas monoton. Ich stehe auf, frühstücke, lerne, esse, lerne, mache Sport und gehe irgendwann wieder ins Bett. Ende September ist endlich die Klausurenphase vorbei. Aber wenn ein Formel-1-Rennen übertragen wird, dann bin ich dabei und treffe mich mit anderen in einer Kneipe, um es gemeinsam zu sehen.
Studio Eine andere Leidenschaft ist das Fotografieren. So faszinierend ich Maschinen finde: Fast genauso gerne fotografiere ich Menschen. Meistens bin ich mit einer digitalen Kamera unterwegs, aber immer öfter greife ich zu einer herkömmlichen, bei der ich die Filme entwickeln lasse. Aber bald möchte ich diesen Part auch selbst übernehmen. Zuletzt habe ich viele Leute bei Makkabi-Veranstaltungen festgehalten. Bei der Makkabi-Jugend Deutschland bin ich auch im Vorstand, eigentlich nur Rechnungsprüfer, aber wenn ich gebraucht werde, dann unterstütze ich auch die anderen bei Organisationsaufgaben, die bei Veranstaltungen anfallen.
Zu Makkabi kam ich vor zig Jahren, weil ich Tennis spielte. Heute ziehe ich das Fitnessstudio dem Tennisschläger vor. Ein Ereignis war für mich ausschlaggebend dafür, dass ich mich weiter ehrenamtlich in der jüdischen Jugendarbeit engagieren wollte: der Besuch der European Maccabi Games 2015 in Berlin – ein europaweites sportliches Großevent, bei dem alle vier Jahre mehr als 3000 Jüdinnen und Juden aus allen europäischen Nationen in verschiedensten Disziplinen gegeneinander antreten. Die Eröffnungsfeier im Olympiastadion war ein absolut umwerfender Moment. Der Augenblick, in dem alle deutschen Politiker sowohl für die deutsche als auch die israelische Hymne aufstehen, das war für mich ein Wow-Moment – so etwas will ich wieder erleben.
Zugehörigkeit Meine Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Minsk nach Aachen, wo auch meine Großeltern leben. Sie hatten sich bei einem Machane in Weißrussland kennengelernt. Mein Vater war in Belarus so aktiv wie möglich in der Gemeinde. Ich wuchs mit einigen wenigen jüdischen Traditionen auf. Wir feiern eigentlich nur die Feste, die wir mögen, wie beispielsweise Chanukka. Eigentlich identifiziere ich mich mehr mit der jüdischen Philosophie als mit der Religion. Ich fühle mich als deutsch-weißrussischer Jude – ich bin in Deutschland geboren, in der russischen Kultur aufgewachsen, aber das Judentum hatte immer den größten Stellenwert.
2010 war ich das erste Mal auf Machane in Bad Sobernheim – und da war ich so begeistert, dass ich mich immer mehr fürs Judentum interessierte und ab 2015 sowohl im Winter als auch im Sommer mitfuhr. In Bad Sobernheim beginnt gefühlt jede jüdische Kindheit in Deutschland. Spielerisch lernen alle Kinder das Judentum kennen, denn das ist vor allem das Ziel der Freizeiten. Aber auch Freundschaften entstehen. Ich glaube, es gibt keine deutsche Stadt, in der ich nicht irgendwelche Leute kenne.
Engagement Heute engagiere ich mich bei »Meet a Jew«, übernehme Führungen in der Aachener Synagoge, bin Übersetzer für die ukrainischen Flüchtlinge bei Arztbesuchen, wobei ich feststellen musste, dass das in der Theorie weitaus leichter war, da mir die medizinischen Ausdrücke fehlen.
Ich war lange im JuZe als Rosch aktiv, bin Leiter der Studentischen Initiative der Jüdischen Gemeinde Aachen und bin bei der Jüdischen Studierendenunion Deutschland.
Wenn man als junger jüdischer Mensch eine politische Vertretung sucht, dann ist das die jüdische Studierendenunion, und dabei steht die jüdische Vielfalt im Mittelpunkt: von der liberalen Rabbinerin bis hin zum streng orthodoxen Juden. Außerdem bin ich noch Mitarbeiter der Gemeinde-Sicherheit. Auch haben wir in Aachen Studententreffs eingerichtet, sodass wir zusammen Schabbes feiern.
Ambitionen Darüber hinaus fand ich es immer sehr peinlich, dass wir als größter jüdischer Landesverband keinen eigenen Studentenverband haben. Nun gibt es ihn. Er heißt Jüdischer Studierendenverband Nord-
rhein-Westfalen, und man findet ihn auf Instagram. Aber jetzt müssen wir auch ein Programm auf die Beine stellen. Was möchten wir? Schabbat feiern? Vorträge anbieten? Was für Themen wollen wir aufnehmen? Es ist nicht so einfach, haben wir festgestellt. Auf jeden Fall möchten wir auch Netzwerke entstehen lassen. Meistens treffen wir uns in Düsseldorf oder in Essen. Dann fahr ich da auch gerne mal hin.
»Meet a Jew« ist ein tolles Projekt des Zentralrats der Juden in Deutschland. Mir gefällt die Idee dahinter, dass wir auch zu anderen Menschen gehen, damit sie das aktuelle jüdische Leben durch in Deutschland lebende jüdische Menschen kennenlernen. Ich war in Bildungseinrichtungen, Schulen oder Vereinen und habe dort über meinen Alltag gesprochen. Meistens stellen sie Fragen und so kommen wir ins Gespräch.
Ich hoffe, dass ich bald wieder genügend Zeit habe für meine Aktivitäten, und dass das Studium mir nicht mehr dazwischenfunkt. Eines steht für mich auch schon fest: Wenn ich meinen Master in der Tasche habe, dann möchte ich Aachen definitiv verlassen. Neue Herausforderungen locken. Aber viele meiner ehrenamtlichen Aktivitäten nehme ich mit.