Projekt

Bejubelt, ausgegrenzt und vergessen

Die Münchner Kammerspiele erforschen die Schicksale in der NS-Zeit Verfolgter, die zum Ruhm des Theaters beitrugen

von Ellen Presser  28.04.2022 08:47 Uhr

Schaukasten in den Münchner Kammerspielen Foto: Münchner Kammerspiele

Die Münchner Kammerspiele erforschen die Schicksale in der NS-Zeit Verfolgter, die zum Ruhm des Theaters beitrugen

von Ellen Presser  28.04.2022 08:47 Uhr

Noch unter dem vormaligen Intendanten der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, begann der Dramaturg Martin Valdés-Stauber, die – wie sich schnell herausstellte – dunkle Vergangenheit dieser Theaterhochburg zu erforschen. Erste Vorwürfe gegen den Regisseur und Theaterleiter Otto Falckenberg (1873–1947), dessen Büste im Theaterfoyer thront, wurden bereits im Dezember 1945 laut.

Doch es dauerte mehr als 70 Jahre, bis eine systematische Recherche begann. 2018 startete Valdés-Staubers Forschungsprojekt über Schicksale der am Hause Tätigen, die in der NS-Zeit verfolgt, vertrieben und größtenteils ermordet wurden. Valdés-Stauber fand Unterstützung auch bei der neuen Intendantin Barbara Mundel, vor allem aber bei dem leidenschaftlich recherchierenden pensionierten Lehrer-Ehepaar Janne und Klaus Weinzierl.

erinnerungszeichen Erstes sichtbares Ergebnis war die Anbringung von Erinnerungszeichen am Theaterzugang für fünf einst am Theater Beschäftigte, die dem NS-Unrechtsregime als politisch missliebig oder rassisch verfolgt zum Opfer fielen.

Seit Kurzem wird diese Installation durch einen Schaukasten gegenüber dem Spielplan im Eingangsbereich der Münchner Kammerspiele ergänzt. Er führt die Namen von 28 Männern und Frauen auf, die als Autoren, Dramaturgen, Theaterdirektoren, Schauspieler und Mäzene zum Ruhm des Hauses beitrugen.

Es dauerte mehr als 70 Jahre, bis eine systematische Recherche begann.

Manch einem, wie Benno Bing, erster geschäftsführender Direktor und Theateranwalt, gelang die Flucht nach Frankreich. Dort jedoch wurde Bing 1942 als »juif étranger« verhaftet und über das Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Denselben Weg in den Tod mussten der Schauspieler Hans Tinter, der Autor Ludwig Hirschfeld, der Übersetzer August L. Meyer und der Komponist Eugen Auerbach nehmen. Die Schauspielerinnen Emmy Rowohlt und Eva Kessler gingen infolge systematischen Nahrungsentzugs im sogenannten Hungerhaus in Eglfing-Haar zugrunde. Suizid verübten die Autoren Egon Friedell, Ludwig Fulda und Walter Hasenclever wie auch der Theaterarzt Stephan S. Fuld.

enthüllung Die Liste der Drangsal und des Leids, die bei der offiziellen Enthüllung dieses aus 28 Namenszügen bestehenden Mahnmals vorgetragen wurde, ist kaum zu ertragen. In Vertretung des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter war der ehrenamtliche Stadtrat David Süß von den Grünen – Rosa Liste anwesend. Wie er in seiner Grußadresse ausführte, ist es für ihn »unfassbar, dass nach der Schoa, nach der systematischen Ermordung von sechs Millionen jüdischen Frauen, Männern und Kindern durch Deutsche und ihre Helfershelfer, Antisemitismus in Deutschland immer stärker anwächst«.

Für Süß sei es »ein besonderes Signal, dass es an den Kammerspielen das Projekt ›Erinnerung als Arbeit an der Gegenwart‹ gibt«. Finanziell gefördert wird es durch die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«.

Berlin

»Wir sind bitter enttäuscht«

Nach den höchst umstrittenen Wahlen in der Jüdischen Gemeinde zogen die Kritiker nun vor Gericht. Doch das fühlt sich nicht zuständig – und weist die Klage ab

von Mascha Malburg  15.01.2025

Forschung

Vom »Wandergeist« einer Sprache

Die Wissenschaftlerinnen Efrat Gal-Ed und Daria Vakhrushova stellten in München eine zehnbändige Jiddistik-Reihe vor

von Helen Richter  14.01.2025

Nachruf

Trauer um Liam Rickertsen

Der langjährige Vorsitzende von »Sukkat Schalom« erlag seinem Krebsleiden. Er war ein bescheidener, leiser und detailverliebter Mensch

von Christine Schmitt  14.01.2025

Porträt der Woche

Keine Kompromisse

Rainer R. Mueller lebt für die Lyrik – erst spät erfuhr er von seiner jüdischen Herkunft

von Matthias Messmer  12.01.2025

Familien-Schabbat

Für den Zusammenhalt

In den Synagogen der Stadt können Kinder und Eltern gemeinsam feiern. Unterstützung bekommen sie nun von Madrichim aus dem Jugendzentrum »Olam«

von Christine Schmitt  12.01.2025

Köln

Jüdischer Karnevalsverein freut sich über großen Zulauf

In der vergangenen Session traten 50 Neumitglieder dem 2017 gegründeten Karnevalsverein bei

 11.01.2025

Vorsätze

Alles neu macht der Januar

Vier Wochen Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Süßes? Oder alles wie immer? Wir haben Jüdinnen und Juden gefragt, wie sie ihr Jahr begonnen haben und ob sie auf etwas verzichten

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Katrin Richter  09.01.2025

Würdigung

»Vom Engagement erzählen«

Am 10. Januar laden Bundespräsident Steinmeier und seine Frau zum Neujahrsempfang. Auch die JSUD-Inklusionsbeauftragte Jana Kelerman ist dabei

von Katrin Richter  09.01.2025

Gedenktag

Uraufführung mit den »Violins of Hope«

Ein besonderes Konzert anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz hat sich das Rundfunk-Sinfonieorchester vorgenommen. Es interpretiert ein Werk für die Geigen, die die Schoa überstanden haben

von Christine Schmitt  08.01.2025