Immer wieder einmal ist der Hubert-Burda-Saal im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Treffpunkt für eine Matinee. In der Regel ist ein künstlerischer Aspekt Anlass für solche Veranstaltungen, aber es gibt auch Ausnahmen.
Diesmal, unmittelbar vor der Kommunalwahl am kommenden Sonntag, stand die Politik ganz oben auf der Agenda. Fünf Kandidaten und Kandidatinnen für das Amt des Oberbürgermeisters, der ebenfalls neu gewählt wird, stellten sich, ihre Pläne, Ideen und Wünsche vor – und nicht zuletzt auch ihre Beziehung zur jüdischen Gemeinde.
vielfalt Die Ansprüche, die die ehemalige »Hauptstadt der Bewegung« 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhebt, sind mit Begriffen wie Toleranz, Vielfalt und gegenseitigem Respekt verbunden. Bei der Matinee, die von den beiden IKG-Vorstandsmitgliedern Anita Kaminski und Peter Guttmann fachkundig moderiert wurde, waren diese Parameter unter den Teilnehmern eine Selbstverständlichkeit.
Hinzu kam ein hohes Maß an Sachlichkeit, die die Gesprächsteilnehmer bei den kontrovers diskutierten Themen an den Tag legten, wie beide Moderatoren am Ende der Veranstaltung feststellen konnten.
kandidaten Kaminski und Guttmann stellten die Gäste zu Beginn kurz vor: Kristina Frank (CSU) ist seit 2014 im Stadtrat vertreten und wurde 2018 Kommunalreferentin der Stadt. Bis dahin war sie Staatsanwältin und Richterin.
Katrin Habenschaden (Bündnis 90/Die Grünen) sitzt ebenfalls seit 2014 im Stadtrat und ist dort Fraktionsvorsitzende ihrer Partei. Sie ist Diplombetriebswirtin, Bankkauffrau sowie Wald- und Wildnispädagogin. Jörg Hoffmann (FDP), Betriebswirt, Steuerberater und Professor für Unternehmenssteuern und Wirtschaftsprüfung, war bereits von 2008 bis 2014 Mitglied des Stadtrats und ist es seit 2018 wieder.
Hans-Peter Mehling (Freie Wähler) ist pensionierter Berufssoldat und unternimmt nach 2014 einen erneuten Versuch, in den Stadtrat zu kommen. Der Rechtsanwalt Christian Vorländer, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion, gehört dem Gremium seit 2014 an und kam in Vertretung von Amtsinhaber Dieter Reiter, an dessen klarer Positionierung gegen Antisemitismus und Rassismus ohnehin kein Zweifel besteht.
bedeutung Bevor Anita Kaminski und Peter Guttmann, in der Gemeinde und gesellschaftlich auf unterschiedliche Weise bestens vernetzt, die OB-Kandidaten in die Zange nehmen konnten, hatte Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und damit Gastgeberin des Polit-Talks, in ihrer Begrüßungsrede auf die besondere Bedeutung der bevorstehenden Kommunalwahl hingewiesen.
»Ich wünsche mir, dass unsere Stadt in den kommenden sechs Jahren eine Weltstadt mit Herz bleibt«, nannte sie einen der Gründe, um bei der Wahl die Stimme abzugeben. »Mit Herz«, fügte sie als Erklärung hinzu, »das bedeutet auch, beherzt gegen Hass, gegen Intoleranz und gegen all diejenigen, die uns in eine längst überwundene dunkle Vergangenheit zurückführen wollen.«
Entwicklungen im rechten Teil des politischen Spektrums, die mit Namen wie Pegida oder AfD verbunden sind und schon weit in die Gesellschaft hineinreichen, beobachtet die IKG-Präsidenten seit Jahren mit Sorge. Nach der Matinee kann sie insofern zufrieden sein, mit dieser Einschätzung nicht alleine dazustehen, vor allem nicht hinsichtlich ihrer konsequenten Ablehnung gegenüber der AfD, die sie immer wieder zum Ausdruck bringt.
solidarität Alle fünf OB-Kandidaten ließen keine Zweifel daran, dass die AfD einen maßgeblichen Anteil an bedenklichen politischen Entwicklungen habe und entschiedener als bisher bekämpft werden müsse. »Da gab es keinerlei Abstriche, keinen Platz für Spekulationen, keinen der OB-Kandidaten, der das anders sah«, beschrieben die Moderatoren Anita Kaminski und Peter Guttmann die geschlossene Solidarität, die diese über Parteigrenzen hinweg im Jüdischen Gemeindezentrum unter Beweis stellten.
Für die zahlreichen Gemeindemitglieder, die sich die politische Debatte nicht entgehen ließen, bedeutete die eindeutige Positionierung der Politiker nach der Häufung antisemitischer Gewalttaten und Übergriffe und dem politischen Eklat im Thüringer Landtag zumindest ein wenig »Balsam für die Seele«. Präsent, wie es IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch zum Ausdruck gebracht hatte, sei jedoch auch die Angst vor der Renaissance längst überwunden geglaubter Prozesse. Hier sei die Politik ganz besonders gefordert.
Die Angst vor einer Renaissance längst überwunden geglaubter Prozesse ist sehr präsent.
Knobloch sprach zudem einen Aspekt an, der in der anschließenden Diskussion thematisiert wurde und von der jüdischen Gemeinde als schmerzhaft empfunden wurde: eine antisemitisch geprägte Demonstration, die Ende Januar in Sichtweite von Jakobsplatz und Gemeindezentrum stattfinden sollte.
zustimmung Hier müsse die Stadt Flagge zeigen, anstatt zu kapitulieren, weil befürchtet werde, dass Verwaltungsgerichte zugunsten der Versammlungsfreiheit entscheiden würden. Guttmann sprach im Podiumsgespräch von einem Missbrauch der Meinungsfreiheit und stieß bei den Teilnehmern auf uneingeschränkte Zustimmung.
Ein gemeinsamer Nenner bei anderen politischen Themen, die bei den Münchnern auf lebhaftes Interesse stoßen und bei der Matinee diskutiert wurden, war wesentlich schwerer zu finden.
Allenfalls der Punkt, vorrangig den Bürger bei zukunftsweisenden Projektplanungen im Auge zu haben, war ein gemeinsam versprochener Nenner, als es um die Themen Verkehr und Wohnen ging, zwei Brennpunkte in der bayerischen Landeshauptstadt.
zukunft Wie der Verkehr in München in Zukunft konkret aussehen soll, war unter den Gesprächsteilnehmern von weitaus weniger Einigkeit geprägt. SPD-Mann Christian Vorländer und Grünen-Vorzeigefrau Katrin Habenschaden plädierten für eine Verbannung des Individualverkehrs aus der Stadt, Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU) und die beiden Vertreter der kleineren Parteien wollen den Individualverkehr erhalten, angepasst an zeitgemäße Erfordernisse.
Die unterschiedlichen Denkansätze zur Bewältigung der hochkomplexen Wohnproblematik in München und Umland waren von den OB-Kandidaten im begrenzten Rahmen einer Matinee nur in Ansätzen darstellbar. Wie vielschichtig das Problem ist, machte allein schon die Frage von Anita Kaminski an die Gesprächsrunde deutlich, die durchaus provokant klang: Mehr Grün in der Stadt durch höhere Häuser?
Der Diskussionsbedarf unter den Teilnehmern war auch nach dem offiziellen Teil nicht vorbei. »Bei einem kleinen Stehempfang ging es munter weiter«, stellte die IKG-Präsidentin zufrieden fest. Sie hofft, dass Münchens Wähler dem rechten Lager die Grenzen aufzeigen.