Zur jüdischen Frage» hat das IKG-Kulturzentrum in diesem Jahr eine Vortragsreihe gestartet. Nach der Situation in den Anfangsjahren der Bundesrepublik und einer zweiten Veranstaltung zum Heute führte der dritte Vortrag mit Guy Stern in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. «Efraim Frisch und Der Neue Merkur» lautete diesmal das Thema. Dabei machte die Freundschaft zwischen dem Publizisten Efraim Frisch (1873-1942) und Thomas Mann einen wesentlichen Punkt aus.
Der Germanist Guy Stern, 1922 in Hildesheim geboren und 1937 in die USA emigriert, referierte auf Einladung des IKG-Kulturzentrums, des Thomas-Mann-Förder- kreises München sowie des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur.
Der aus einer ostjüdischen und orthodoxen Familie stammende Frisch hatte als Herausgeber der Zeitschrift Der Neue Merkur (1914-1916/1919-1925) in München schon früh freundschaftliche Begegnungen mit Thomas Mann. Eine besondere Bedeutung erhielt die Verbindung im Hinblick auf die Stellung Thomas Manns zur jüdischen Frage. Für ein Sonderheft zu diesem Thema schrieb Thomas Mann 1921 einen Beitrag, den er nach einem Einspruch seiner Frau allerdings wieder zurückzog – der offene Brief erschien erst 1966 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Vortrag Mit Efraim Frisch hat sich Guy Stern befasst. Zum 60. Jahrestag der Reichspogromnacht hielt Stern einen Vortrag im Deutschen Bundestag. Der vormalige Direktor eines Instituts des Holocaust-Museums in Detroit veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Emigranten- und Immigrantenliteratur. So hörten die Besucher nach der Vorstellung des Referenten durch die Leiterin des IKG-Kulturzentrums, Ellen Presser und Dirk Heißerer vom Thomas-Mann-Förderkreis einen spannenden Vortrag. Mit viel Humor schilderte Stern eingangs seine Begegnung mit Thomas Mann im Jahr 1939 in St. Louis, wo der berühmte und als Nazigegner in den USA gefeierte Schriftsteller Vorträge hielt.
Der damals 17-jährige Schüler besuchte diese Veranstaltung. Bei der anschließenden Pressekonferenz nutzte er die Gunst der Stunde und stellte Thomas Mann einige Fragen auf Deutsch. Es war, wie Stern sagte, die «erste und letzte direkte Begegnung mit dem Schriftsteller». Zwei indirekte sollten noch folgen: 1951, als er über Efraim Frisch und den Neuen Merkur forschte, und 30 Jahre später. Damals forderte ihn der Mann-Forscher Helmut Koopmann auf, einen Beitrag über «Thomas Mann und die jüdische Welt» für ein Handbuch zu schreiben.
Redaktion War das Verhältnis von Mann, wie es viele Forscher beschrieben, zunächst nicht frei von Vorurteilen gegenüber Juden, so stellte Stern für die Zeit nach dem Zusammenbruch seiner «relativ heilen Welt» einen Einbruch im Denken und Fühlen fest: «Nach seiner Absage an das nationalsozialistische Deutschland und seinem Bekenntnis zum Exil besiegt bei allen öffentlichen Statements der Humanist Thomas Mann seine Vorbehalte und Vorurteile gegenüber den Juden.» Bei seinen Arbeiten zu Efraim Frisch sollte Guy Stern Thomas Mann noch einmal – und auch diesmal wieder indirekt – begegnen.
Von 1914 bis 1916 und von 1919 bis 1925 arbeitete Frisch als Herausgeber der Zeitschrift Der Neue Merkur. Diese Zeitschrift beschrieb Stern als geistiges Aushängeschild, das unter anderem angehenden deutschen Dichtern und Schrift stel- lern Türen öffnete. Diese trafen sich regelmäßig in der Redaktion in der Münchner Theresienstraße. 1921 wollte Frisch eine jüdische Sondernummer herausbringen, für die er auch Thomas Mann gewinnen konnte. Doch dieser Artikel erschien nicht in dem Band. Das wäre weiter nicht allzu bemerkenswert, hätte nicht Guy Stern zunächst mehr oder weniger zufällig den Artikel in einem Sonderdruck gefunden – und das Geheimnis darum lüften können.
Bei dem Vortrag schilderte er die Umstände: In einem Antiquariat tauchte einer von 35 Sonderdrucken auf, eindeutig in der Typografie des Neuen Merkur. Ein Gespräch mit Frischs Witwe Fega ergab, dass er sich über Manns Artikel sehr aufgeregt habe. 1961 erklärte der Schriftsteller und Librettist Ferdinand Lion, dass die Herausgeber den Beitrag Manns noch während der Drucklegung storniert hatten.
Der Artikel soll, so der frühere Redaktionsassistent Frischs und spätere Militärhistoriker Albert Vogts, nach der Korrektur so «verstümmelt» zurückgekommen sein, dass er nicht gedruckt wurde. Dem Hörensagen sei Manns Frau für die Zusammenstreichung verantwortlich gewesen. Die Auseinandersetzung, betonte Stern, habe aber nicht zu einem Bruch zwischen Mann und Frisch geführt. Nachdem beide in der Schweiz Asyl gefunden hatten, kam es zu einer Art «erneuter Annäherung». In der Schweiz, wo Frisch 1942 starb, bildete sich neben dem Freundeskreis aus dem Neuen Merkur ein weiterer. «Diese Rolle des Kulturvermittlers an die junge Generation», schloss Guy Stern, «hätte man ihm auch für die Nachkriegsjahre gewünscht.»