»See the other side« und »Mutige Entdecker bleiben« – unter diesen Mottos hatte »Schalom Aleikum« am Dienstag in die Jüdische Gemeinde Osnabrück eingeladen. Durch das Dialogprojekt pflegt der Zentralrat der Juden in Deutschland einen offenen Austausch zwischen jüdischen und muslimischen Akteuren der Zivilgesellschaft.
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In Osnabrück nahmen daran etwa 90 Personen teil – die meisten von ihnen ältere Menschen, passend zum Thema des Abends: »Jüdische und muslimische Senioren im Gespräch«.
Dabei ging es um biografische Erzählungen der Protagonisten, ihre Migrations- und Diskriminierungserfahrungen, die gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Muslimen sowie um die Potenziale von interreligiösem Dialog. Moderiert wurde das Gespräch mit den jeweils zwei jüdischen und muslimischen Podiumsteilnehmenden von Jannis Panagiotidis, Historiker und Migrationsforscher an der Universität Osnabrück.
Für die deutschlandweit in verschiedenen Städten veranstalteten Gesprächsrunden sucht sich Schalom Aleikum unterschiedliche, stets jüdisch-muslimisch zusammengesetzte Teilnehmergruppen – von Start-up-Unternehmen über Frauen bis hin zu Senioren.
AUGENHÖHE In Osnabrück gehöre der interreligiöse Dialog zum Alltag, betonte der Vorsitzende der Osnabrücker Gemeinde, Michael Grünberg, in seinem Grußwort. »Wir haben es in der Hand, uns zu begegnen, miteinander zu reden und einander zuzuhören«, fasste Grünberg die Idee von Schalom Aleikum zusammen. Auf dem Podium in Osnabrück saßen neben Inessa Goldmann und Semen Vassermann der Historiker und Publizist Firouz Vladi sowie Abdul-Jalil Zeitun, Imam der Osnabrücker Moscheegemeinde am Goethering.
Schalom Aleikum hat sich zum Ziel gesetzt, die Funktionärsebene zu verlassen und Begegnungen von Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe zu ermöglichen. Die Gesprächspartner bemühten sich, Aspekte der eigenen Biografie und privaten Lebensrealität in den Vordergrund zu rücken und größere politische Fragen auszuklammern.
Firouz Vladi ließ sich früher von seinem Bruder koschere Salami aus Wien mitbringen.
Zunächst gab es Einblicke der Teilnehmer in ihre ersten Begegnungen mit der jeweils anderen Religionsgruppe und deren kulturellen Traditionen. So erzählte Abdul-Jalil Zeitun, dass er und seine Familie in Damaskus regelmäßig in jüdischen Geschäften eingekauft hatten, ähnlich wie Firouz Vladi, der über seinen in Wien studierenden Bruder regelmäßig in den Genuss von koscherer Salami kam. In Hamburg, wo Vladi in den 50er-Jahren aufwuchs, hatte es das damals nicht gegeben. Vladis Vater gehörte zu der in der Weimarer Republik nach Hamburg eingewanderten iranischen Kaufmannsschicht, seine Mutter war Deutsche.
KLISCHEES Inessa Goldmann hingegen berichtete davon, wie sie, als sie in den 90er-Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland eingewandert war, zwar durchaus mit Berührungsängsten seitens ihrer muslimischen Nachbarn konfrontiert war, gleichzeitig aber von diesen herzlich und durchaus solidarisch mit kleinen Gesten im Alltag unterstützt wurde.
Heute engagiert sich Goldmann in der Flüchtlingshilfe. Dabei setzt sie darauf, durch alltägliche Begegnungen den Vorurteilen, Klischees oder gar dem manifesten Antisemitismus, den viele Neueingewanderte aus ihren Herkunftsländern mitgebracht haben, entgegenzutreten. »Die meisten Flüchtlinge haben viele Gerüchte gehört, einem Juden begegnet sind allerdings nur die wenigsten«, erzählt Goldmann.
Kollegen Auch die Bedeutung und Ausprägung der eigenen Religiosität spielte zuweilen eine Rolle. So erzählte Semen Wassermann davon, wie er, der aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kam, erst in Osnabrück und durch seine eigenen Kinder stärker ins Judentum eingetaucht sei. Enge Kontakte zu Muslimen habe er bis heute nicht. Zwar gebe es in seinem Job türkische Kollegen, von denen er ausgehe, dass sie Muslime sind.
Doch Austausch über die Bedeutung von Religion im eigenen Leben und andere Fragen religiöser Identität findet kaum statt. »Wenn es um Geld geht, spielt das alles keine Rolle. Und der Chef muss ja zufrieden sein«, scherzte Wassermann. Moderator Panagiotidis nahm den Ball auf und erwähnte in diesem Zusammenhang die »heilenden Kräfte des Marktes«.
Als Inessa Goldmann nach Deutschland kam, halfen ihr muslimische Nachbarn.
In der für das Publikum geöffneten Diskussion war die Gefahr, die von Rechtsextremen und Rechtsterroristen für Juden wie auch für Muslime ausgeht, ein weiteres Thema. Außerdem wurde kontrovers über das Für und Wider von gemeinsamem Religionsunterricht diskutiert.
KOEXISTENZ Immer wieder wurde verschiedentlich auf das friedliche Zusammenleben von Juden und Muslimen an verschiedenen Orten verwiesen. »Beispiele für friedliche Koexistenz, die es überall gibt, sollen den Hetzern, die einen Keil zwischen uns treiben wollen, etwas entgegensetzen«, sagte Michael Grünberg.
Insofern haben die Gesprächsrunden von Schalom Aleikum nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine symbolische Dimension.