Seit einigen Wochen wohne ich jetzt wieder in Hannover, meinem Geburtsort. Zwischenzeitlich habe ich an der Hochschule Bremen »Public Administration« studiert und das Studium in diesem Sommer mit dem Bachelor abgeschlossen. Mein Interesse für die öffentliche Verwaltung fing schon sehr früh an. Bereits während meiner Schulzeit habe ich Praktika in der Stadtverwaltung von Hannover gemacht. In der achten Klasse hatten wir zuvor im Fach Wirtschaft über Anträge gesprochen und darüber, was genau eine Behörde ist. Auch Fragen nach dem Stellenwert des Staates und dessen Aufgaben in unserer Gesellschaft wurden erörtert.
Dabei habe ich festgestellt, dass dies ein Bereich ist, der mir Spaß machen könnte.
Nach meiner Schulzeit habe ich dann bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft in Hannover eine Lehre zur Sozialversicherungs-Fachangestellten gemacht. Am Ende dieser dreijährigen Ausbildung war ich gerade einmal 19 Jahre alt, und ich beschloss, die Fachhochschulreife nachzuholen. Um zusätzlich noch ein wenig Geld zu verdienen, bin ich verschiedenen Minijobs nachgegangen. Schließlich habe ich in Bremen ein duales Studium begonnen. Dabei war Bremen für mich von vornherein immer nur als eine vorläufige Station gedacht, eben für die Zeit des Studiums. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass ich so schnell würde nach Hannover zurückkehren können.
Mit Beginn des Studiums war ich ja Beamtin auf Widerruf geworden und als solche zunächst in Bremen. Ich war wirklich überrascht, dass der Wechsel in ein anderes Bundesland so unkompliziert vonstattenging. Aktuell arbeite ich in meiner Heimatstadt beim Bundessortenamt im Bereich Personalwesen. Das ist eine Bundesbehörde, die dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft untersteht.
Auch nach einem antisemitischen Übergriff trage ich die Kette mit der Chamsa.
Meine Eltern kommen aus einer ukrainischen Kleinstadt. 1993 emigrierten sie nach Deutschland. Sie lebten also schon acht Jahre hier, als ich im Jahr 2001 in Hannover geboren wurde. Mit dem Namen Goldschmidt wurde man in der Ukraine von vornherein mit einer deutsch-jüdischen Herkunft identifiziert. Es gab auch eine jüdische Gemeinde in der Stadt meiner Eltern, aber jüdisches Leben war in der Sowjetunion öffentlich nicht möglich. Das wurde, wie sie mir später erzählten, im Verborgenen gelebt.
In irgendwelchen Kammern wurden die Feiertage begangen, wie es die Generation zuvor heimlich überliefert hatte. Die Mutter meines Vaters sprach noch Jiddisch. Aber die Tiefe der jüdischen Religion hat die Generation meiner Eltern erst später hier in Deutschland kennengelernt. Als ich zur Welt kam, wurde ich quasi in eine gut integrierte jüdische Familie hineingeboren. Damals gehörte sie der zentralen orthodoxen Gemeinde in Hannover an. Kurz darauf kam Rabbiner Benjamin Wolff mit seiner Frau in die Stadt und gründete das Jüdische Bildungszentrum Chabad Lubawitsch. Seitdem gehört auch meine Familie zu dieser Chabad-Gemeinde.
Dort besuchte ich die Sonntagsschule, die von Frau Wolff geleitet wurde, und ich ging regelmäßig in deren Jugendzentrum. Meine Freunde in der Kindheit und Jugend hatte ich nicht ausschließlich in jüdischen Kreisen. Manche der nichtjüdischen Freunde wussten gar nicht, dass ich jüdisch bin. Meine Eltern hatten mir immer eingeschärft, ich solle darauf achten, wem ich etwas davon erzähle und wie ich das sage. Andere wiederum, wie eine gute Freundin, mit der ich seit der ersten Klasse bis heute befreundet bin, wussten es von Anfang an. Wir haben sie manchmal an Chanukka zu uns eingeladen, und umgekehrt war ich bei ihrer Familie am Weihnachtsabend zu Gast. So haben wir als Kinder die religiösen Feste der jeweils anderen kennengelernt.
Nur wenn explizit nachgefragt wurde, habe ich gesagt, dass wir Juden sind
Ansonsten aber ging ich zeitweilig nicht sehr offen mit meinem Jüdischsein um. Natürlich gab es immer Situationen, in denen man sich irgendwie verhalten musste. Wenn meine Mitschülerinnen zum Beispiel von ihren Weihnachtsgeschenken erzählten und mich fragten, was ich bekommen habe, sagte ich: »Wir feiern kein Weihnachten.« Aber nur, wenn explizit nachgefragt wurde, habe ich gesagt, dass wir Juden sind. Denn ein Geheimnis wollte ich daraus auch nicht mache
Für meine eigene Wahrnehmung aber war das Judentum damals nicht entscheidend. Dennoch habe ich die Sommerferien auf Machanot in Italien verbracht, später auch als Madricha. Es hat mir Spaß gemacht, in einem Team die Programme zu entwickeln und dann mit den Kindern durchzuführen und zu beobachten, wie die Kinder sich entwickeln, also die Kombination aus dem, was man ihnen vom Judentum beibringen konnte, aber auch der Spaß, der dabei vermittelt wurde.
Heute ist mir das Judentum durchaus wichtig, wenngleich ich mich nicht an alle Gebote halte. Ich gehe in die Gemeinde, aber ich bin nicht an jedem Schabbat im Gottesdienst. An manchen Feiertagen gehe ich in die Synagoge an anderen nicht. Schließlich lebe ich in einer Umgebung, die nicht jüdisch ist – und die nur wenig Rücksicht auf jüdische Feiertage nimmt. Das war bei den Prüfungsterminen an der Hochschule so, und das wird auch bei meinem Arbeitgeber oft so sein. Jedenfalls kann ich nicht in jedem Fall damit rechnen, an jüdischen Feiertagen Urlaub zu bekommen.
Mein Vorname Diana stammt aus der römischen Mythologie und hat mit dem Judentum überhaupt nichts zu tun. Anders ist das bei Goldschmidt, meinem Familiennamen, der durchaus von manchen mit dem Judentum assoziiert wird. Das sind Leute, die sich mit der Geschichte auskennen. Doch immer weniger Menschen setzen sich mit der Geschichte auseinander. Ich kann mir vorstellen, dass fast nur noch ältere Leute – wenn überhaupt – darüber nachdenken, ob Frau Goldschmidt jüdisch ist. Bedenken habe ich da aber keine. Antisemitismus ist mir in ganz anderen Zusammenhängen begegnet.
Natürlich hätte ich mich mit ihr richtig anlegen können, aber die Situation kam für mich so überraschend
So bin ich beispielsweise einmal mit der Bahn gefahren und saß an einem dieser Vierersitze an einem Tisch. Ich trug eine recht kleine goldene Kette mit einer Chamsa. Vor mir lief der Laptop, und ich trug Kopfhörer. So habe ich nicht mitbekommen, dass eine Frau auf dem Sitz neben mir Platz nehmen wollte, auf dem mein Rucksack stand. Sie sprach mich nicht an, möglicherweise wegen mangelnder deutscher Sprachkenntnisse. Vielmehr wartete sie darauf, dass ich von mir aus reagiere. Die Frau mir gegenüber tippte mich an und forderte mich auf, meinen Rucksack wegzunehmen.
Das habe ich dann auch gemacht, und damit wäre alles gut gewesen. Sie aber sagte: »Unsere jüdischen Mitbürger hatten ja schon immer Schwierigkeiten sich anzupassen!« Ich war völlig konsterniert, wusste zunächst gar nicht, woher sie wusste, dass ich jüdisch bin. Dann aber fiel mir die Chamsa ein. Ich sagte in einem ernsten Ton: »Überlegen Sie sich sehr genau, was Sie sagen!« Natürlich hätte ich mich mit ihr richtig anlegen können, aber die Situation kam für mich so überraschend, dass ich weder Kraft noch Lust dazu hatte.
Gott sei Dank, musste ich an der nächsten Station aussteigen. Ich nahm also meine Sachen und entfernte mich. Ein merkwürdiges Gefühl angesichts dieses antisemitischen Übergriffs aber blieb natürlich. Trotzdem trage ich die Kette mit dem Anhänger nach wie vor, auch wenn es immer wieder Situationen gibt, in denen ich sie unter den Kragen des Pullovers schiebe oder einen Schal umlege. Allerdings kenne ich mich in Hannover ziemlich gut aus und meide Gebiete, in denen solche Situationen entstehen könnten.
Derzeit bin ich Single, aber für meine Zukunft schwebt mir vor, eine Familie zu gründen. Dabei wäre es einerseits natürlich schön, wenn der Partner auch jüdisch wäre, der jüdischen Werte und der Religionsgemeinschaft wegen. Da aber meine Kinder halachisch ja auf jeden Fall jüdisch wären, würde ich bei einem möglichen nichtjüdischen Partner sehr genau darauf achten, wie er zu unserer Religion und unseren Traditionen steht. Von einem Partner erwarte ich nämlich, dass er nicht nur meine Religion toleriert, sondern auch eine jüdische Erziehung der Kinder akzeptiert.
Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg