In Frankfurt am Main gibt es seit 2015 die »Gemeinde der kaukasischen Juden in Deutschland«. Vorsitzender ist Avi Shefatja, sein Stellvertreter German Djanatliev aus Nürnberg. Beide nahmen im Dezember einen besonderen Termin in München wahr, als dank Firuza Yushvayeva als vierte Niederlassung in Deutschland die Gründung des Vereins »Kaukasische Bergjuden in München« gefeiert wurde.
Zum Fest im Jüdischen Gemeindezentrum kamen Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die IKG-Vizepräsidenten Yehoshua Chmiel und Peter Guttmann, etliche IKG-Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer Steven Guttmann, die Rabbiner Shmuel A. Brodman und Avigdor Bergauz sowie die Rebbetzins Shoshana Brodman, Sarah Bergauz und Maja Zizov.
Zum Fest im Jüdischen Gemeindezentrum kam auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch.
Wie IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch in ihrem Grußwort einleitend sagte, habe sie bei dem Begriff Bergjuden – man sehe ihr das angesichts der Nähe Münchens zu den Alpen nach – zunächst an begeisterte jüdische Alpinisten gedacht. Dank der Zuwanderung aus den ehemaligen Sowjetrepubliken habe dieser Begriff für sie aber eine ganz neue Bedeutung bekommen. Neben der Unterscheidung von Aschkenasim und Sefardim gebe es natürlich weitere Gruppen der jüdischen Gemeinschaft.
heimat Knobloch empfindet es als »historischen Glücksfall«, dass mit der Zuwanderung von Juden aus Aserbaidschan eine Gruppe in München eine neue Heimat gefunden habe, die ein »jahrtausendealtes jüdisches Erbe«, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, »einzigartig auch innerhalb des jüdischen Volkes«, in all seiner Vielfalt auszeichne.
Schon in seiner Begrüßung hatte German Djanatliev, in der bayerischen Hauptstadt als Lehrer für jüdische Religionskunde und Betreuer bereits mehrerer Abiturjahrgänge bestens bekannt, zur Geschichte Maßgebliches berichtet. Er zitierte aus einem Artikel aus dem Jahr 1906: »Die Geschichte des jüdischen Volkes ist seltsam und im Allgemeinen unverständlich, aber die Geschichte der kaukasischen Juden ist noch unverständlicher.« In jedem Fall unterscheidet sie sich in erheblichem Maß von derjenigen anderer Juden aus der ehemaligen Sowjetunion.
Ihre Abstammung führen die Bergjuden auf Juden aus Persien zurück, die sich in den Vorgebirgen des östlichen Kaukasus niederließen. Was man mit dem auf Europa zentrierten Blick heute als abgelegene Gebiete, teils auf armenischem, teils auf aserbaidschanischem Territorium, bezeichnen mag, war einst eine Durchgangszone für Krieg führende Armeen aus Zentralasien Richtung Europa und umgekehrt. Doch auch jetzt ist die Gegend Schauplatz schwelender Konflikte. Erst im September des vergangenen Jahres beschoss Aserbaidschan Stellungen des armenischen Nachbarn inklusive einer Landnahme.
Bevor Bürgerkrieg und russische Revolution dazu führten, dass beide Territorien für sowjetisch erklärt wurden, waren die Menschen den Ritualen ihrer jeweiligen Ethnien gefolgt. Das bedeutete für die Juden, dass sie ihren Glauben nach der Tradition ihrer Vorfahren leben durften, mit Synagogen, jüdischen Friedhöfen, ja, sogar eigenen Weinbergen für die Produktion koscheren Weins, obgleich den Muslimen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Weinkonsum verboten war.
herkunft Wie Djanatliev, der selbst von Bergjuden abstammt und 1998 im Alter von 16 Jahren mit den Eltern und seinen Brüdern nach Deutschland kam, ausführte, unterscheiden sich Bergjuden »herkunftsmäßig, geschichtlich und sprachlich von anderen jüdischen Gemeinden«. Die Bezeichnung resultiere daraus, dass die ersten von ihnen vor circa 1900 Jahren kamen und bis Mitte des 17. Jahrhunderts in Berggebieten wohnten. Sie selbst nennen sich »Juhur« (Juden), andernorts heißen sie »Taten«, weil sie Tatisch sprechen. Das sei ein persisches Idiom des altpersischen »Farsi«, das reich an aramäischen und althebräischen Wörtern ist.
Im Rahmen der Veranstaltung wurde der Dokumentarfilm Lamentations of the Prophet Jeremiah des muslimischen Regisseurs Rufat Asadov aufgeführt, der sich nach eigenem Bekunden seit 40 Jahren mit dem Judentum beschäftigt. Er genießt Vertrauen, denn etliche seiner Gesprächspartner waren im Saal zu Gast. Asadov besuchte einen alten jüdischen Friedhof, zu dem ihm der letzte Jude des Ortes Zutritt gewährt hatte. Nach Beendigung der Dreharbeiten für den Film war dieser 89-jährig verstorben.
Allein in Israel leben heute mehr als 100.000 Bergjuden.
Laut Djanatliev gibt es in fast 98 Prozent der früheren jüdischen Ansiedlungsorte keine Juden mehr. Nur hebräische Inschriften auf Grabsteinen zeugen vom Leben, das teilweise noch bis vor 15 Jahren existierte. Allein in Israel würden heute mehr als 100.000 Bergjuden leben, die manche Wissenschaftler als die letzten Nachfahren eines Zweigs der babylonischen Diaspora ansehen.
ehrengäste Wie wichtig der diesbezüglichen »Community« die Vereinsgründung in München war, ließ sich auch an der beachtlichen Liste von Ehrengästen – von der aserbaidschanischen Botschaft in Berlin bis zu Rabbiner Shmuel Simantov aus Israel – ableiten.
Die Namen der inzwischen in München gut etablierten und damit gar nicht mehr »neuen« Gemeindemitglieder klingen ungewohnt und schön zugleich. Nuriya Mishiyeva, Elmar Mishiyev und Ilhama Buniatzade spielten Klavier, Mehriban Musayeva bezauberte mit einem aserbaidschanischen Volkstanz. Und Vereinschefin Firuza Yushvayeva hatte es sich nicht nehmen lassen, den koscheren Speisen aus dem Restaurant »Einstein«, Kürbissuppe und gefülltem Krautwickel, mit Gewürzen einen köstlichen orientalischen Touch zu verleihen.