Laurel Kratochvila kann sich derzeit vor Arbeit kaum retten. Die 36-Jährige backt Bagel in den unterschiedlichsten Variationen. Ihr Ehemann und Mitinhaber Roman Kratochvila fährt mit ihnen quer durch Berlin und beliefert die hungrige Kundschaft. Sechs Stunden am Tag, 30 bis 40 Lieferstopps.
»Das ist wirklich eine verrückte Zeit«, sagt Laurel Kratochvila. Die Corona-Pandemie habe ihren Laden »Fine Bagels« auf den Kopf gestellt. »Normalerweise haben wir 20 Mitarbeiter – seit Corona sind wir zu fünft.«
Viele hätten das Café bei Ausbruch der Krise verlassen. »Wir haben es unserem Personal freigestellt, ob es weiterarbeiten möchte – viele kommen gebürtig nicht aus Berlin; sie wollten nach Hause«, sagt die Inhaberin. »Das konnten und wollten wir ihnen natürlich nicht verbieten. Jetzt heißt es für uns: Ärmel hochkrempeln.«
HEFE Dass sie die Krise meistern werden, davon ist die gebürtige Amerikanerin überzeugt. »Wir müssen uns den neuen Bedingungen eben anpassen«, meint sie. Resignation komme nicht infrage, vielmehr habe die Not sie erfinderisch gemacht. »Aufgrund der stadtweiten Hamsterkäufe ist uns recht schnell die Hefe ausgegangen. Wir sind deshalb auf Sauerteig umgestiegen«, sagt Laurel Kratochvila. Das neue Konzept komme gut an. »Ich habe deshalb beschlossen, auch zukünftig 50 Prozent mit Sauerteig zu backen.«
2013 eröffneten Laurel und Roman Kratochvila ihr Café, zu dem auch die Buchhandlung »Shakespeare and Sons« gehört. Erst hatten sie ihre Räume im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, seit 2016 sind sie in Friedrichshain. Normalerweise legen die Inhaber Wert auf eine gemütliche Atmosphäre in ihrem Laden.
Doch derzeit ist natürlich alles anders: Während die meterlangen Bücherregale geblieben sind, stehen statt der Sitzecken gestapelte Stühle und Tische im Raum. Trotz der ungewöhnlichen Umstände sind die Kunden geblieben – sie blättern in Büchern, bestellen Kaffee, Kuchen und Bagels zum Mitnehmen.
Trotz der ungewöhnlichen Umstände sind die Kunden geblieben – sie blättern in Büchern, bestellen Kaffee, Kuchen und Bagels zum Mitnehmen.
»Teilweise fühlt sich die jetzige Situation wie unsere Gründungsphase vor sieben Jahren an«, sagt Laurel Kratochvila. Auch damals hatten sie nicht viel Personal, mussten selbst anpacken. »Ich erinnere mich noch, wie ich in unserer kleinen Küche, die nicht größer war als eine Kammer, gebacken habe.« Sie wundere sich noch heute, dass das Gesundheitsamt das damals zugelassen habe. »Aber es hat alle Bestimmungen erfüllt.«
Zufall Mit etwas Zufall hatte das Ehepaar Berlin für sich und seine Geschäftsidee entdeckt. Anfang der 2000er-Jahre lernten sich die beiden in Prag kennen. Roman, gebürtiger Tscheche, war bereits Inhaber einer Buchhandlung. Laurel hatte lediglich vor, ein paar Wochen in der Stadt zu bleiben und in einer Kneipe auszuhelfen.
»Ich sprach kein Wort Tschechisch, sagte immer nur ›dvazet osm‹, wenn die Gäste ein Bier bei mir bestellten – 28 Kronen waren damit gemeint«, erinnert sie sich. Eines Abends begegneten sich die beiden in seiner Buchhandlung, in der es neben englischsprachigen Büchern auch eine Bar gab. »Seitdem sind wir zusammen«, sagt die 36-Jährige.
Recht schnell entschloss sich das Paar zu heiraten, lebte die erste gemeinsame Zeit weiterhin in Prag, eröffnete eine zweite Buchhandlung. »Irgendwann dachten wir, es ist Zeit für eine Veränderung«, sagt Laurel. »Wir setzten uns in den Zug und fuhren nach Berlin.« Das war 2011.
Die Tage sind strenger getaktet, viel läuft jetzt über den Lieferservice.
Seitdem pendelten sie zwischen den Städten. »Prag und Berlin liegen so nah beieinander«, sagt die Inhaberin. Wann die nächste Reise an die Donau ansteht, sei derzeit ungewiss. »Dass sie die Grenzen einmal dichtmachen, das hätte ich nie für möglich gehalten.« So hoffen beide, dass sich die Situation bald ändert. »Auch meinen Besuch in die USA musste ich wegen Corona streichen, darauf hatte ich mich sehr gefreut.«
Geboren und aufgewachsen ist Laurel in Boston. Während sie in Europa lebt, ist ihre Familie größtenteils dort beheimatet. »Nur ein Cousin ist kürzlich nach Amsterdam gezogen, der Arbeit wegen«, sagt die Wahl-Berlinerin. »Ich vermisse sie natürlich sehr, besonders meine Großmutter.«
GROSSMUTTER Die ist im Café immer dabei – denn der Name »Fine Bagels« ist ihr gewidmet. »Fine ist nicht als Adjektiv gedacht, es ist ihr Familienname«, sagt Laurel Kratochvila. Dass sie einmal Bäckerin werden würde, habe sie nach dem Highschool-Abschluss – vergleichbar mit dem deutschen Abitur – nicht gedacht. »Ich habe erst einmal Physik studiert, später sollte noch Medizin dazukommen.« Doch dann kam das Leben dazwischen, »A midlife surprise«, sagt Laurel Kratochvila.
Aus Medizin wurde eine Bäckerausbildung in Paris, noch so eine Stadt, die das Paar verbindet. Laurel lernte dort zwei Jahre lang den Umgang mit Mehl und Backwaren, Roman verguckte sich in das Buchhandelswesen. Für einen Freund half er im »Shakespeare and Company« aus, einer legendären Adresse für Literatur und Schriftstellerei. Aus dem Aushilfsjob wurde eine Profession.
Nun leben beide ihren Traum von Bagels und Büchern auf mehr als 100 Quadratmetern aus.
Ost-Berlin Die weitläufige Ladenzeile in Berlin-Friedrichshain ist seit 1962 als Buchhandlung konzipiert. »Wir sind sehr froh, dass unser Vermieter diese Tradition beibehalten wollte«, sagt Laurel Kratochvila. Der Laden mit seiner breiten Fensterfront sei ihr schon früh aufgefallen.
»Ich bewunderte dieses Geschäft. Immer wenn ich daran vorbeiging, blickte ich sehnsüchtig durchs Fenster.« Als die Räume frei standen, war klar, dass sich das Paar darauf bewerben würde. »Es klappte, wir hatten Glück«, sagt die Meister-Bäckerin.
Auch in der jetzigen Krise seien sie zwei glückliche Menschen. »Wir haben zu tun, mehr denn je.« Die Tage seien streng getaktet. Wenn sie nach Hause kommen, wartet ihre Katze auf sie. Dann heißt es: ausruhen und eine Mütze Schlaf bekommen, bevor die nächsten Bagels gebacken und in der Stadt verteilt werden. Der Lieferservice ist übrigens kostenlos.