Ein sportliches Programm, das die orthodoxe Gemeinde in Freiburg für ihre ersten Jüdischen Kulturtage auf die Beine gestellt hat: Konzerte und Lesungen, Filme und Vorträge, Führungen durch die Synagoge samt Gottesdienst und Kiddusch. 14 Tage lang bringen Künstler, Musiker und Intellektuelle die Fülle jüdischer Kultur in den Breisgau. Dabei wirbt die rund 750 Mitglieder starke Gemeinde nicht nur für ein neues Miteinander zwischen Juden und Nichtjuden jenseits bloßen Gedenkens – auch die Gemeinde selbst muss sich noch finden.
»Ohne Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion gäbe es praktisch keine jüdische Gemeinde in Freiburg«, sagt ihre Vorsitzende Irina Katz, die wie die meisten Mitglieder in den 90er-Jahren aus der Ukraine nach Deutschland kam. Andere stammen aus Russland, Litauen oder Weißrussland, aber auch aus Lateinamerika und dem Nahen Osten. »Bei all den kulturellen Unterschieden ist das Zusammenleben in der Gemeinde nicht immer einfach«, sagt die 54-Jährige, »und wir hoffen, dass unsere Kulturtage den inneren Zusammenhalt stärken.«
Interesse Aber natürlich will sich die Gemeinde auch nach außen darstellen und das nichtjüdische Publikum in Freiburg anziehen. »Bis vor wenigen Jahren hat sich die Öffentlichkeit nur an Holocaust-Gedenktagen für uns interessiert«, erzählt Katz. Inzwischen verspürt die ehemalige Lehrerin auch großes Interesse an der jüdischen Gegenwart in Deutschland: »Unsere Kurse über jüdische Kultur an der Volkshochschule sind immer restlos ausgebucht, und auch die Presse kommt inzwischen nicht mehr nur zu den traurigen Anlässen.«
Das gewandelte Verhältnis soll sich auch in den Veranstaltungen der Kulturtage widerspiegeln, der Titel. »Dem Leben zugewandt« ist Programm. »Wir haben das Thema Holocaust bewusst nicht in den Mittelpunkt gestellt«, sagt Irina Katz, »es wird natürlich nicht ausgeklammert, aber wir möchten gerade den jungen Menschen die Befangenheit nehmen.« Die nähmen das Judentum häufig nur über die Verbrechen der Nazis wahr.
Lebenswelten So wird die Schoa explizit nur im Vortrag des Historikers Heinrich Schwendemann von der Uni Freiburg thematisiert, der über den Umgang mit der Judenverfolgung in Südbaden nach 1945 sprechen wird. Der inhaltliche Schwerpunkt des Festivals ist die Lebenswelt post-sowjetischer Emigranten in Deutschland. Die wird mal humoristisch verarbeitet, wie im Kabarett-Programm »Schwarz, Rot, Koscher« von Alexej Boris, mal literarisch, wie in der Lesung »Der Russe ist einer, der Birken« liebt von Olga Grjasnowa. Auch mit Filmen wie Die Wohnung von Arnon Goldfinger, zwei »Nächten der Offenen Synagoge« und vielen musikalischen Einlagen soll der Spagat zwischen Öffentlichkeit und Gemeinde geschafft werden.
Wie das gelingen kann, zeigte am vergangenen Samstag die russisch-amerikanische Sängerin Svetlana Portnyanski bei ihrem Eröffnungskonzert. Man kennt sie in der gesamten jüdischen Welt für ihre jiddischen, russischen und ukrainischen Volksweisen, ihre traditionellen hebräischen Gebete, aber auch ihre Tango-Einlagen. Und selbst wer von ihren Texten kein Wort versteht, kann einfach ihrer hinreißenden Stimme folgen.
In der Biografie der »russischen Streisand« dürften sich viele jüdische Emigranten wiedererkennen. 1965 in Moskau geboren, unter kommunistischer Herrschaft von ihren religiösen und kulturellen Wurzeln entfremdet, entdeckt Svetlana Portnyanski ihre jüdische Identität über die Musik. Nach ihrer Ausbildung an der Gnessin-Musikakademie kommt sie 1989 an das gerade wiedereröffnete »Shalom«-Theater in Moskau. »Die Lieder, die ich dort kennenlernte, machten mir erst bewusst, wer ich wirklich war: ein jüdisches Mädchen in Russland.«
Amerika Doch mit wachsender Bekanntheit erfährt sie auch mehr und mehr Ablehnung: »Ich bekam immer häufiger Drohbriefe. Ich solle doch nach Israel verschwinden, war noch die harmlosere Verwünschung.« Die junge Frau ging tatsächlich, entschied sich aber für Amerika. Nach einer Reise 1991 bleibt sie einfach in den Vereinigten Staaten und lässt sich am Jewish Theological Seminary in New York ausbilden.
Inzwischen ist sie Kantorin an der Conservative Synagogue of Los Angeles, einer liberalen Gemeinde. 15-mal war die Mutter von zwei Söhnen schon in Deutschland zu Besuch. Gerade hat sie wieder eine zweiwöchige Tournee absolviert, und es dürfte nicht ihr letzter Aufenthalt gewesen sein. »Ich weiß nicht, woran es liegt, aber in den Gemeinden hier fühle ich mich immer besonders willkommen.«
Jubiläum Mehr als ein Jahr lang hat die Freiburger Gemeinde auf ihre Kulturtage hingearbeitet, die am 5. November in die Feiern zum 25-jährigen Bestehen der neuen Synagoge münden. Der Stolz ist den Veranstaltern anzumerken, dass sie mit den Möglichkeiten einer mittelgroßen Gemeinde ein Festival gestemmt haben, das es mit Köln, Frankfurt oder Berlin aufnehmen kann. Nicht nur dank der umtriebigen Kulturreferentin Myri Turkenich. Auch etliche freiwillige Helfer aus der Bürgerschaft haben sich engagiert, lobt Irina Katz: »Die großen Gemeinden haben vielleicht die Budgets, wir bekommen dafür alle moralische Unterstützung, die wir brauchen.«
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