Der Tag beginnt recht früh. Meine Frau und ich stehen morgens um fünf Uhr auf, trinken Kaffee, und dann fährt sie zur Arbeit. Petra ist Hauswirtschaftsleiterin in einer neurologischen Klinik. Bevor ich losgehe, erledige ich manchmal noch ein paar Hausarbeiten.
Die Tage verlaufen unterschiedlich, da sich meine Termine von Woche zu Woche ändern – bis auf zwei: Am Dienstag habe ich das Ausbildungsmodul und am Donnerstag meine eigenen Unterrichtsstunden. Es gibt auch sehr viele Fortbildungen und Konferenzen, an denen ich teilnehmen muss, weil sich an der Lehrerausbildung vieles ändert.
Ich bin Ausbilder im Studienseminar Hanau, zuständig für das Fach Kunst und für verschiedene pädagogische Module, und ich bin selbst auch Kunstlehrer an einer integrierten Gesamtschule in Langenselbold. Dort unterrichte ich schon seit 1977. Inzwischen sitzen in meinen Klassen die Kinder meiner ersten Schüler. Lehrer bin ich seit 1971, Ausbilder erst seit 1999. Bald gehe ich in Pension. In bin 64 Jahre alt, zehn Tage jünger als Israel.
kurse Nach meiner Pensionierung werde ich meine Tage ganz anders gestalten können. Ich überlege, ob ich nicht in der Seniorenwohnanlage der Budge-Stiftung mit den alten Leuten etwas mache. Aber was sage ich da, ich bin ja selbst auch nicht mehr jung! Vielleicht kann ich auch einmal in der Woche an meiner Schule Kurse anbieten. Das wird sich alles ergeben.
Noch ist der Montag reserviert für Unterrichtsbesuche bei den Referendaren. Die Uhrzeiten ändern sich, je nachdem, in welcher Stunde die Referendare unterrichten. Ich fahre an unterschiedliche Orte, bin als Ausbilder für den ganzen Main-Kinzig-Kreis zuständig.
Wenn ich dann wieder zu Hause bin, koche ich. Manchmal tut es auch meine Frau. Kochen ist mein Hobby. Ich backe auch gerne. Nachmittags sitze ich oft am Schreibtisch, gehe unter anderem die E-Mails der Referendare durch. Sie schicken mir ein paar Tage vor meinem Besuch ihre Planungen für den Unterricht, den ich zu begutachten habe. Und dann muss ich auch meine eigenen Stunden vorbereiten. Wenn ich noch Zeit habe, male ich. Auf dem Dachboden unseres Hauses habe ich mir ein Atelier eingerichtet.
In den vergangenen Jahren kam das Malen leider viel zu kurz, wegen gesundheitlicher Probleme und auch, weil ich durch meinen Beruf wenig Luft für anderes hatte. Jetzt habe ich wieder angefangen und bereite mich auf diese Weise langsam auf den Ruhestand vor. Ich habe auch begonnen, mich um Ausstellungen zu bewerben. Das braucht einen langen Vorlauf.
Meine Bilder habe ich mehrmals ausgestellt, zuletzt vor vier Jahren in Hanau, aber auch auf Sylt und Amrum, und ich habe sogar verkauft. Gemalt habe ich schon als kleines Kind. Meine Mutter muss Probleme gehabt haben, Papier für mich zu organisieren. Das hat sie später immer wieder erzählt. Als ich in Hanau zur Oberstufe wechselte, suchte ich mir ganz bewusst eine Schule mit einem musischen Zweig aus und hatte Kunst als Hauptfach. Das war sehr gut, super tolle Lehrer hatte ich!
umgraben Wir wohnen in Nidderau, in dem Gehöft, in dem schon meine Großeltern gelebt haben. Im Laufe der Jahre haben wir immer wieder renoviert, umgebaut, ausgebaut – aber immer versucht, so viel wie möglich vom Originalzustand zu erhalten. Wenn ich in freien Stunden nicht male, dann bin ich draußen im Garten. Unser Garten ist nicht perfekt gepflegt, die Natur soll zu ihrem Recht kommen. Wir haben Brombeeren und Himbeeren, auch Gemüse. Das Umgraben ist mein Job, meine Frau macht das nicht so gerne.
Wenn man morgens um fünf Uhr aufsteht, sind die Abende nicht so lang. Ab und zu schalten wir mal den Fernseher ein. Wenn es was Gutes gibt, bleibe ich dran. Mich interessieren Kulturprogramme. Was wir gar nicht gucken, sind Krimis. Das ist nichts für mich. Krimis lese ich lieber – derzeit die von Donna Leon. Davor habe ich viele Bücher von Henning Mankell gelesen, anschauen könnte ich die Verfilmungen aber nicht. Da fließt mir zu viel Blut. Ich lese jeden Abend. Lesen gehört immer dazu. Bis zum Einschlafen.
spinning Ich war 25 Jahre lang Jogger, habe aufgehört wegen der Gelenke. Danach bin ich viele Jahre Spinning gefahren. Das ist Ausdauertraining auf dem Rad, mit verschiedenen Tempi und Widerständen. Jetzt gehe ich ins Fitnessstudio und trainiere an Geräten. Sport brauche ich, danach fühle ich mich viel besser. Das ist ein guter Ausgleich.
Im Sommer sind wir viel mit dem Rad unterwegs. Wir haben ja hier viele schöne Strecken. Meine Frau und ich sind gerne in der Natur; wenn wir nicht radeln, gehen wir im Wald spazieren. Wir haben auch einen Acker mit alten Obstbäumen, das Land haben wir verpachtet, das Obst ernten wir selbst. Da sind viele Apfelbäume und ein Kirschbaum, den hat mein Vater gepflanzt, als unsere Tochter geboren wurde, vor 36 Jahren. Wir kochen Apfelkompott oder auch Gelee, und wir lagern die Äpfel. Das ist eine Sorte, die hält sich lange: Rheinischer Bonapfel. Ist doch toll, ungespritzte Äpfel!
Urlaub machen wir gerne auf Amrum und in Südtirol, mal im Norden, mal im Süden. Nach Amrum fahren wir, seit wir verheiratet sind. Dorthin haben wir unsere Hochzeitsreise gemacht, mit dem Zelt. Inzwischen mieten wir uns eine Wohnung. Nach Südtirol fahren wir mit einem befreundeten Ehepaar zum Bergwandern. Da ist das Klima sehr schön, und es gibt guten Wein. Bisher haben wir uns an die Schulferienzeiten halten müssen. Aber bald, nach meiner Pensionierung, können wir auch zu anderen Zeiten verreisen. Wir haben schon Pläne: Ende November wollen wir nach Lanzarote.
Meine Frau und ich haben Giur gemacht, wir sind übergetreten. Das ist ein Prozess, der bei mir mehr als zwei Jahrzehnte gedauert hat. Ich hatte früher eine Schulfreundin, die Jüdin war. Bei ihnen war ich oft zu Hause. Später hatte ich einen guten Freund, mit dem ich oft in die Synagoge gegangen bin, das erste Mal vor etwa 25 Jahren. Die Neugier hat mich gepackt, ich habe viel gelesen und dann auch begonnen, Hebräisch zu lernen. Vor drei Jahren sind wir dann zum Judentum übergetreten. Meine Familie, meine Schwestern und Neffen, auch unsere Freunde haben das mitgetragen. Sie haben über die Jahre unsere Entwicklung mitbekommen, und als wir die Entscheidung dann gefällt hatten, war das völlig in Ordnung.
Wir halten uns an die Speisevorschriften, essen zwar nicht ganz koscher, aber trennen milchig und fleischig. In die Synagoge fahren wir regelmäßig nach Frankfurt, zum Egalitären Minjan, mal freitags und mal samstags. Danach machen wir gemeinsam Kiddusch. Jeder bringt etwas mit, ich backe meistens einen Kuchen. Am Samstag gibt es oft noch Unterricht. Nachmittags bummeln wir durch Frankfurt, gehen auch mal ins Museum oder fahren, wenn wir faulenzen wollen, nach Hause. Bei schönem Wetter legen wir uns in den Garten.
Wenn wir freitags nicht in die Synagoge fahren, machen wir hier bei uns Kiddusch – immer mit unserer Tochter und dem Schwiegersohn, sie wohnen im Vorderhaus. Wir laden aber auch Freunde aus der Gemeinde ein. Wir kochen immer was Gutes, meistens gibt es Fisch. Der Schabbat ist uns das liebste Ritual – ein wunderbarer Wochenabschluss.
Aufgezeichnet von Canan Topçu