Es muss 1999 gewesen sein. Ich war Neuntklässler an der Henry-Harnischfeger-Gesamtschule in Bad Soden-Salmünster. Zwei Jahre zuvor war ich mit meiner Familie als Kontingentflüchtling in dieses osthessische Kurstädtchen gekommen.
1999, der Kosovo-Krieg machte gerade Schlagzeilen, tauchte in meinem Mathematikkurs eine neue russischsprachige Schülerin auf. Ihr Nachname sorgte angesichts der damaligen Schlagzeilen für Verwirrung. Vera Kosova war eine strebsame, gleichwohl etwas kühl wirkende Mitschülerin. 2000 hatten wir unseren Realschulabschluss in der Tasche, und ich verlor Vera aus den Augen.
Bürgerlichkeit Es war am vergangenen Sonntag, als ich Vera Kosova wiedersah. Die frisch gewählte Vorsitzende der Vereinigung »Juden in der AfD« (JAfD) lächelte süffisant und auch ein bisschen triumphierend auf einem Agenturfoto. Ich traute meinen Augen nicht. Ausgerechnet Vera! Ich habe ihre Entwicklung in den vergangenen 18 Jahren nicht verfolgen können. Sie hat Abitur gemacht, studiert, promoviert, beruflich wahrscheinlich Fuß gefasst. So weit, so bürgerlich.
Jetzt steht sie einer Vereinigung vor, die einer zunehmend rechtsextremen Partei als Feigenblatt dienen könnte. In der Grundsatzerklärung der JAfD finden sich die üblichen populistischen Schlagworte: »unkontrollierte Masseneinwanderung« oder »Zerstörung der traditionellen, monogamen Familie«.
Pluralitiät Auch Vera Kosova stammt aus einer Kontingentflüchtlingsfamilie. Unsere Eltern haben die Nachfolgestaaten der Sowjetunion verlassen, um in einer liberalen, offenen und pluralen Gesellschaft zu leben. Wir, die zweite Generation, sollten dieser deutschen Gesellschaft, die uns so vieles ermöglicht hat, etwas zurückgeben. Indem wir uns für die liberale Demokratie engagieren. Indem wir »Nie wieder« sagen – und damit nicht nur den Nationalsozialismus meinen, sondern auch Nationalismus und Populismus, den wir in unseren Herkunftsländern erleben mussten.
Es schockiert mich daher, dass Vera Kosova den entgegengesetzten Weg eingeschlagen hat und an der Zerstörung dessen arbeiten möchte, was diese Gesellschaft ausmacht.