Vier Jahre nach ihrer Gründung muss die Informationsstelle Antisemitismus Kassel (ISAK) ihre Arbeit einstellen. Seit 2016 hatte die Einrichtung des Sara-Nussbaum-Zentrums für jüdisches Leben Informationen über antisemitische Vorfälle in Nordhessen gesammelt und Betroffene beraten. Was zunächst über Spenden sowie eine ergänzende Förderung der Amadeu Antonio Stiftung finanziert worden war, konnte bereits im vergangenen Jahr nur noch ehrenamtlich aufrechterhalten werden. Nachdem nun der Antrag auf Förderung durch das Land Hessen abgelehnt worden war, hatte die ISAK entschieden, dass Ende 2019 Schluss ist.
Dauerhaft, erklärte die ISAK, könnten die Aufgaben rein ehrenamtlich nicht mit der nötigen Zuverlässigkeit erfüllt werden. »Es schmerzt uns, dass wir die konkrete Tätigkeit für Betroffene von antisemitischen Vorfällen einstellen müssen – wenige Wochen nach dem Terroranschlag in Halle und im Angesicht der Tatsache, dass der mutmaßliche Mörder von Regierungspräsident Walter Lübcke laut LKA auch Daten über die Jüdische Gemeinde gesammelt hat«, sagte ISAK-Leiter Martin Sehmisch. Rund 70 Fälle von Antisemitismus in der Region habe die Meldestelle im Laufe ihres Bestehens öffentlich dokumentiert. Die Zahl der Betroffenen, die beraten wurden, liege noch deutlich höher.
Landesprogramm Beworben hatte sich die ISAK auf Gelder aus dem Landesprogramm »Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus« und sich dabei gute Chancen ausrechnen dürfen: Nach den Förderrichtlinien des Programms soll der Kampf gegen Antisemitismus einer von fünf Schwerpunkten für die Zeit von 2020 bis 2024 sein, auch von der Einrichtung einer – allerdings landesweiten – Meldestelle für antisemitische Vorfälle ist in den Richtlinien die Rede. Warum die Kasseler Informationsstelle trotz ihrer mehrjährigen Erfahrung und ihrer großen Akzeptanz in der nordhessischen jüdischen Gemeinschaft leer ausging, beantwortete das Innenministerium in Wiesbaden auf Anfrage dieser Zeitung nicht.
Ein Argument lautet, dass die Kasseler Meldestelle bislang nicht vom Land gefördert wurde.
Ministeriumssprecher Marcus Gerngroß teilte lediglich mit, dass man sich für das ISAK-Aus nicht verantwortlich fühle. Die Kasseler Meldestelle sei bislang ja auch nicht vom Land gefördert worden, insofern könne ihre Schließung »nicht im Zusammenhang mit einer Förderung durch das Landesprogramm stehen«. Welche Institution den Zuschlag bekommen soll, als die ausgeschriebene landesweite Meldestelle künftig auch die Aufgaben der ISAK zu übernehmen, ließ der Sprecher ebenfalls offen. »Eine Entscheidung darüber, wo diese Stelle eingerichtet wird, wird zeitnah getroffen.«
Initiative Die folgenreiche Entscheidung des Landes gegen die Informationsstelle Antisemitismus sorgte für heftige Kritik, auch über Kassel hinaus. »Um es mal vorsichtig auszudrücken: Ich bin irritiert«, schrieb Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) in einem Facebook-Kommentar. Gegen Antisemitismus reichten bloße Verlautbarungen nicht aus. »Das muss sich in einer verlässlichen Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen beweisen.«
Das Mobile Beratungsteam gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Hessen (MBT), das bei seiner Tätigkeit eng mit der Kasseler Meldestelle kooperiert hat, nannte es »völlig unverständlich«, dass die ISAK ihre bewährte Arbeit nicht fortsetzen solle und stattdessen ein anderer Träger gesucht werde.
DIG-Vorsitzender Markus Hartmann spricht von einem »Glaubwürdigkeitsdefizit« der Landesregierung.
Markus Hartmann, Vorsitzender der Kasseler Arbeitsgemeinschaft der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sprach von einem »Glaubwürdigkeitsdefizit«, wenn die Landesregierung einerseits den Kampf gegen Antisemitismus und demokratiefeindliche Strukturen ausrufe und andererseits »den Menschen vor Ort, die diese Arbeit, teils unter Gefahr für Leib und Leben, im Bereich der Zivilgesellschaft leisten, den Boden unter den Füßen wegzieht«.
DIG Kassel Mit dem Ende der ISAK verliere die Deutsch-Israelische Gesellschaft in Kassel einen ihrer wichtigsten Kooperationspartner. So hatte man bei der Europawahl in diesem Jahr gemeinsam mit einer Plakataktion auf antisemitische Wahlplakate der neonazistischen Kleinstpartei »Die Rechte« reagiert.
Weitere bereits geplante Projekte, so Hartmann, könnten jetzt wohl nicht mehr realisiert werden. Nach der 2015 gegründeten Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Berlin war die ISAK die zweitälteste Meldestelle für antisemitische Vorfälle bundesweit. Jetzt ist sie die erste, die wieder aufgeben muss.