Fast ein Jahr ist es her, dass Barbara Staudinger die Leitung des Jüdischen Museums Augsburg übernahm. Im September 2018 trat die 45-jährige Wienerin die Nachfolge von Benigna Schönhagen an, die sich nach 17 Jahren in den Ruhestand verabschiedet hatte. Seitdem hat sie einiges angestoßen. Die aktuelle Ausstellung zum Beispiel.
Seit Mitte Juli zeigt das Museum die Schau Über die Grenzen. Kinder auf der Flucht 1939/2015 anlässlich von 80 Jahren Kindertransporten – mit Gegenwartsbezug zu den minderjährigen Geflüchteten, die sich nach Deutschland gerettet haben. Die Ausstellung fokussiere sich nicht auf den dem menschlichen Verlangen nach einem Happy End geschuldeten Moment des Gerettetseins.
Stattdessen werde auf Grenzüberschreitungen hingewiesen, auf »Überschreitungen des emotional Ertragbaren, wenn man von den Eltern getrennt, abgeschnitten wird, auf Überschreitungen von sprachlichen Grenzen, von nationalen Grenzen«.
»Ich habe das Gefühl, in Augsburg ist gerade etwas im Aufbruch«, stellt Staudinger fest. Parallel zu ihrer Amtsübernahme seien auch andere Stellen im Kulturbereich neu besetzt worden, »und da war relativ viel Mut mit im Spiel«. Dass man sie, die doch »eher ein lauteres Programm« vorgeschlagen habe, zur neuen Direktorin gemacht hat, sei auch ein Zeichen dafür, »dass man will, dass sich etwas ändert«.
vernetzung In den ersten Tagen als Museumschefin hat sich Barbara Staudinger einfach einmal auf den Weg gemacht, ist in die Stadt, deren »melancholischer Charme« ihr liegt, gegangen, hat die Leute angesprochen und gefragt, wo denn hier das Jüdische Museum zu finden sei. »Die meisten haben das nicht gewusst«, sagt die Direktorin.
Um den Museumsbesuch attraktiver zu machen, hat sie den eintrittsfreien Sonntag eingeführt.
Das Jüdische Museum in Augsburg liegt zwar zentral – nur wenige Schritte von Hauptbahnhof und Königsplatz entfernt –, prominent sichtbar ist es nicht. In der Halderstraße locken keine Geschäfte, stattdessen liegt das Museum eingebettet zwischen Parkhaus, Augsburger Verkehrs- und Tarifverbund und Stadtsparkasse. Anders steht es um den Bekanntheitsgrad der prächtigen, vom Jugendstil geprägten Synagoge, die 1917 eingeweiht und nie zerstört wurde – was man vor zwei Jahren gebührend gefeiert hat.
Bemerkenswert ist, dass diese Synagoge ebenfalls an der Halderstraße steht, in ihren ausladenden Räumlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg ein Zuhause gibt und eben auch, in einem Seitentrakt, dem von einer Stiftung getragenen »Jüdischen Kulturmuseum Augsburg Schwaben«. Es wurde 1985 gegründet und ist damit eines der ältesten jüdischen Museen der Bundesrepublik.
Knapp ein Jahr später kennen immer mehr Augsburger und Besucher aus ganz Deutschland und aller Welt das Museum. Barbara Staudinger hat es inzwischen umbenannt. Das hatte vor allem pragmatische Gründe. Denn Barbara Staudinger ist ein Mensch, der sich gern vernetzt: mit dem Augsburger Staatstheater, der Uni, dem Textil- und Industriemuseum vor Ort, mit anderen jüdischen Museen auf der ganzen Welt.
Und so heißt ihr Museum also jetzt verknappt nur noch »Jüdisches Museum Augsburg Schwaben«, um als »Marke« besser in die Association of European Jewish Museums zu passen. Außerdem hat Staudinger den eintrittsfreien Sonntag im Haus eingeführt. Und ja, sie glaube schon, »dass sich da bereits etwas verändert hat im ersten Jahr«.
LANDGEMEINDEN Barbara Staudinger hat in Wien Theaterwissenschaft und Judaistik studiert. Sie spricht Hebräisch, hat 2005 bis 2007 am Jüdischen Museum in München gearbeitet und war viel als freie Kuratorin unterwegs. Ihr Herz gehört dem »Landjudentum«, über das sie promoviert hat.
So sind es auch besonders Ausstellungsstücke der Landgemeinden, die ihr aus der Dauerausstellung des Augsburger jüdischen Museums ans Herz gewachsen sind. Diesen Exponaten möchte sie die Möglichkeit geben, »noch viel mehr zu erzählen, als sie bisher erzählt haben«, kündigt sie an. Denn Staudinger ist auch eine »Interveniererin«, auch eine, die gerne in Sachen Museum in den öffentlichen Raum geht. »Ich glaube, da liegt eine große Chance, auch um eine breite und ganz andere Bevölkerungsschicht für jüdische Themen zu interessieren und zu sensibilisieren.«
Neben der Dauerausstellung, die 2006 das letzte Mal überarbeitet worden ist, liegen Staudinger solche »Interventionen« am Herzen. So hat sie etwa Ende März mit den »Ersten Augsburger Desintegrationstagen« den Museumsraum geöffnet.
Für drei Tage hat sie sich zusammen mit dem Autor Max Czollek und dem Augsburger Comiczeichner Paul Rietzl zu einer »Guerilla-Museumstour« aufgemacht, um die jüdische Geschichte ein wenig »durchzubürsten, auch gegenzubürsten auf die jüdische Perspektive, auf die fehlenden Frauen, auf die Frage, wie erfolgreich Integration eigentlich verlaufen ist oder heute verläuft«. Im Moment seien Zeichnungen von Rietzl »in der Mache« – ein Ausdruck, den Staudinger gern benutzt –, die als erste »Intervention« an die Vitrinen in der Dauerausstellung kommen werden.
auftrag Es sind also einige Neuerungen zu erwarten, einige davon haben für Barbara Staudinger mit der heutigen Rolle eines jüdischen Museums zu tun. »Man muss heraus aus der Komfortzone, muss Stellung beziehen«, ist sie überzeugt. Staudinger möchte nicht alarmistisch verstanden werden, hält aber mit Dringlichkeiten nicht hinterm Berg.
»Die Rolle eines jüdischen Museums hat sich durch die Verschärfung des Antisemitismus in Deutschland, aber auch in ganz Europa, verändert«, betont sie. Dabei findet sie, dass die Unterscheidung zwischen einheimischem und importiertem Antisemitismus nicht sehr sinnvoll ist, spricht dagegen von »altem« und »neuem« Antisemitismus. »Alter Antisemitismus resultiert aus über Jahrhunderte tradierten antisemitischen, judenfeindlichen Vorstellungen; der neue Antisemitismus ist der, der sich vor allem in einer Israelkritik versteckt.«
Barbara Staudinger möchte ihr Museum als Ort einer »historischen Minderheit« verstanden wissen, das auch Fragen angeht, die mit der Gegenwart zu tun haben, zum Beispiel mit der Integrationsdebatte. »Anbindungen ans Heute und die gegenwärtigen Probleme sind mir ganz wichtig«, sagt sie.
zeitzeugen Ebenfalls wichtig ist es ihr, Ausstellungen zu schaffen, die verschiedene Perspektiven, Mehrperspektivität, zulassen – und auch aushalten. »Bei Dauerausstellungen in jüdischen Museen fehlt mir ganz oft die jüdische Perspektive. Ein museales Narrativ erzählt sehr häufig – nicht ausgesprochen, aber zwischen den Zeilen – von einem ›Wir‹ und einem ›Anderen‹. Und es ist doch sehr merkwürdig, wenn in einem jüdischen Museum das ›Wir‹ eine nichtjüdische Gesellschaft ist und die ›Anderen‹, das sind dann die Juden.«
Barbara Staudinger erzählt, dass sie einen »sehr, sehr guten Draht« zur Gemeinde hat. »Wir leben ja sozusagen in einer WG zusammen«, sagt sie und lacht. »Und eine WG funktioniert nur dann gut, wenn jeder vom anderen viel weiß.« Es herrsche ein großes Vertrauensverhältnis untereinander, und man feiere gemeinsam viele Feste.
»Mir fehlt in jüdischen Museen oft die jüdische Perspektive.«
Barbara Staudinger
Auf die Frage, was es bedeute, wenn die Zeitzeugen immer weniger werden, verweist Barbara Staudinger nicht auf neue, technisierte Wege der Geschichtsvermittlung. Sie sagt, dass sie an die heranwachsende Jugend glaubt und an deren Empathiefähigkeit: gegenüber dem, was aus den vielen Akten spricht, gegenüber den vielen schriftlichen Zeugenschaften, gegenüber dem, was von den Gedenkstätten ausgeht.
Geschichte bleibt, und auch Geschichten bleiben, meint die Museumschefin. Am Ende komme es immer darauf an, welche von ihnen wie erzählt werden.