Energie

Auf viele Szenarien vorbereitet

Wie sich die Energiekrise auswirken wird, lässt sich nicht vorhersehen. Die ZWST unternimmt alles, um vor allem in Seniorenheimen zu helfen. Foto: Getty Images/iStockphoto

Bei Temperaturen von fast 40 Grad ist es kaum vorstellbar, dass man in nur drei oder vier Monaten bibbernd zu Hause oder im Büro sitzen könnte. Allerdings weiß auch niemand im Moment genau zu sagen, wie sich die drohende Energiekrise im Einzelnen auswirken wird. Gleichwohl bereiten sich nicht nur die Politiker schon jetzt auf mögliche Szenarien vor.

Die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege und damit auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) »befinden sich derzeit im engen Austausch nicht nur untereinander, sondern auch mit der Politik«, berichtet ZWST-Direktor Aron Schuster.

Ein Thema ist der Wunsch nach mehr bedarfsorientiertem Handeln. »Die bisherigen Lösungsansätze waren Pauschallösungen nach dem Gießkannenprinzip«, sagt Schuster. Damit würden pauschal alle bedient. »Wir brauchen aber jetzt nicht zuletzt angesichts der Inflation finanzielle Hilfen, die dort wirken, wo der Bedarf am größten ist, also bei den Schwächsten der Gesellschaft«, stellt er klar.

Bürgergeld Gerade die armutsgefährdeten Bevölkerungsgruppen litten überproportional unter der steigenden Inflationsrate, weiß Aron Schuster. »Und dabei sind die Mehrkosten für Energie noch nicht berücksichtigt.« Immerhin gebe es verheißungsvolle Ansätze, wie die Transformation von Hartz IV zum Bürgergeld. »Die Politik hat das Problem ja auch erkannt«, erklärt Schuster, »es ist allen bewusst, dass man nun klug handeln muss, um in dieser brisanten Situation den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden.«

»Die bisherigen Lösungsansätze waren Pauschallösungen nach dem Gießkannenprinzip.«

Aron Schuster, ZWST-Direktor

Eine Reform hin zum Bürgergeld wäre auch für die älteren Zugewanderten aus den Ländern der ehemaligen Sowjet­union hilfreich, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland kamen. Weil Studium und Ausbildung meistens nicht anerkannt wurden, konnten sie ihre früheren beruflichen Karrieren in Deutschland nicht fortsetzen.

»Viele ältere Zugewanderte im Transferleistungsbezug leiden besonders unter den inflationsbedingten Preissteigerungen. Umso wichtiger ist die Anpassung armutsfester Regelsätze.«

nachhaltigkeit Was aber kann die Zentralwohlfahrtsstelle konkret tun, um zu helfen? »Wir sind sowieso regelmäßig mit den Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen der Gemeinden im Austausch«, sagt Aron Schuster, »und wir werden sicherlich verstärkt Module in unser umfangreiches Fortbildungsportfolio aufnehmen.« Neu sei die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit und Energieeffizienz für die ZWST ohnehin nicht. »Wir haben diesen Themen schon in der Vergangenheit immer wieder in unseren Fortbildungen Platz eingeräumt.«

Außerdem dürfe man sich angesichts von Trockenheit und Hitzewellen nicht in Sicherheit wiegen. Denn so viel Zeit sei nicht mehr, bis die Energiekrise sich bemerkbar mache. »Der Herbst kommt schneller, als wir denken.«

Bei der ZWST sei man es im Übrigen gewohnt, Nachrichten nicht nur zu konsumieren, sondern gleichzeitig auch immer zu überlegen, ob und welche Auswirkungen sie haben könnten. »In den letzten Jahren haben wir regelmäßig erleben müssen, dass Krisen schnell und umfassend eintreten können«, resümiert Schuster und nennt als Beispiele unter anderem die Corona-Pandemie, die Hochwasserkatastrophe 2021 an der Ahr und den Rheinnebenflüssen sowie den Krieg in der Ukraine.

prozesse »Wir mussten in jedem Fall schnell reagieren, und das ist uns immer gut gelungen.« Auch wenn nichts langfristig vorausplanbar war, »entwickelt man gewisse Prozesse, auf die man zurückgreifen kann, und weiß, wie man reagieren kann«.

Nach den Erfahrungen aus Pandemie und Hochwasser hält die ZWST Notfallpläne bereit.

Reagieren und helfen zu können, sei im Übrigen auch deshalb wichtig, »weil es zum Beispiel Ziel der russischen Kriegsführung ist, Instabilität herbeizuführen – ein starker gesellschaftlicher Zusammenhalt ist nun einmal das Wichtigste gegen imperialistische Zerstörungswut«, analysiert Schuster.

Wie aber bereitet man sich konkret an Orten auf die drohende Energiekrise vor, an denen die Schwächeren der Gesellschaft leben? »Wir wollen keine Panik verbreiten«, konstatiert Sandro Huberman, Leiter des Altenzentrums der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.

Gleichwohl wolle man sich, so gut es eben geht, auf »eine möglicherweise ab dem Herbst drohende Energieproblematik vorbereiten, und dazu gehört eben auch, dass man bereits jetzt darüber nachdenkt, was wir tun können, damit unsere Bewohner und Bewohnerinnen nicht frieren«. Ältere Menschen seien nun einmal besonders vulnerabel, »wir und die Jüdische Gemeinde Frankfurt/Main werden alles tun, damit sie hier im Warmen sind«.

Vorrat In einem ersten Schritt hatte das Altenzentrum die Angehörigen und Betreuer angeschrieben – primär ging es in dem Schreiben allerdings um das Impfen, also die bald wieder anstehende Grippe-Schutzimpfung sowie die vierte Corona-Vakzination. »Dazu haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass für den Winter ein Vorrat an warmer Kleidung vorbereitet werden sollte«, berichtet Huberman.

Ältere Menschen frieren einfach schneller, weiß er, »das sieht man jetzt im Sommer auch gut daran, dass sie oft ein Jäckchen tragen, während Jüngere im T-Shirt herumlaufen«. Mitten in der derzeitigen Hitzewelle sei der Gedanke an warme Winterkleidung durchaus etwas apart, gibt Huberman zu, »aber das gehört zu einer guten Vorbereitung eben dazu«.

Im Fall, dass die Raumtemperaturen gesenkt werden müssen, sollen Wohn- und Aufenthaltsbereiche als Wärmeräume zur Verfügung stehen.

Wie sich auch auf Situationen vorzubereiten, von denen man nicht weiß, ob sie tatsächlich eintreten. »Falls es wirklich einen immensen Engpass gibt, gehen wir trotzdem nicht davon aus, dass zum Beispiel eine allgemeine Drosselung der Raumtemperaturen auch uns und alle anderen Pflegeheime betreffen würde«, sagt Sandro Huberman.

krise Aber natürlich könne man im Falle einer wirklichen Krise nichts ausschließen, »und dann würden wir Wohn-Aufenthaltsräume als Wärmeräume anbieten«. Das sei allerdings, so betont er, wirklich nur eine theoretische Überlegung. »Aber solche Gedankenspiele gehören dazu in diesen Zeiten«, weiß Huberman.

Unter den Bewohnern und Bewohnerinnen des Jüdischen Altenzentrums ist die mögliche Energiekrise kein Thema, habe er bemerkt, sagt der Leiter des Altenzentrums. »Sie fühlen sich bei uns aufgehoben und sicher – und wir wollen mögliche Sorgen auch nicht schüren, denn die Corona-Pandemie war bisher schon belastend genug.«

Und noch eines ist ihm wichtig: »Alle unsere Bewohner, insbesondere unsere Hochbetagten und Schoa-Überlebenden, die in ihrem Leben erfahren haben, was Kälte bedeutet, sollen wissen, dass wir alles tun, damit sie nicht frieren und sich keine Sorgen machen müssen.«

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