Schalom Aleikum

Auf Herz und Nieren

In schwierigen Zeiten zusammenstehen, Gemeinsamkeiten den Vorzug vor Unterschieden geben und mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie umgehen – darüber tauschten sich in der vergangenen Woche vier Medizinerinnen und Mediziner im Rahmen des Projekts »Schalom Aleikum« aus, das der Zentralrat der Juden in Deutschland 2019 ins Leben gerufen hat.

Schalom Aleikum will den Dialog zwischen Juden und Muslimen fördern. Zielgruppe sind jedoch weniger die Verantwortlichen der muslimischen Organisationen, sondern »ganz normale Menschen«, wie es Dmitrij Belkin, der Projektleiter, vor Kurzem in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen sagte.

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Am Donnerstag vergangener Woche kamen vier Berliner Ärzte zu einem Gespräch zusammen – zwei muslimische Frauen und zwei jüdische Männer. Moderiert wurde die Runde von der Fernsehmoderatorin und Medizinjournalistin Susanne Kluge-Paustian.

RITUALE Meryam Schouler-Ocaks Eltern stammen aus der Türkei. Sie ist Leitende Oberärztin in der Psychiatrie des St.-Hedwig-Krankenhauses in Berlin, ihr Mann ist jüdisch. Schouler-Ocak sagt, sie sei immer wieder aufs Neue überrascht, wie sehr sich Bräuche und Rituale im Islam und im Judentum ähnelten. »Händewaschen, Beschneidungsrituale, Beerdigungen: Je mehr ich in diese Materie einsteige, desto überraschter bin ich, wie ähnlich sie sich tatsächlich sind«, sagt sie.

Aber in den Medien würden oft nur die Unterschiede betont. »Dabei gibt es doch viel mehr Gemeinsamkeiten, auch im privaten Kreis«, fügt sie an. Dies schaffe Nähe, Verständnis und Empathie, so die Medizinerin – und das baue Vorurteile über die Religion des jeweils anderen ab, die unbewusst oft noch da seien.

Auch am Schabbat brauchen Menschen Hilfe.

Boris Hoz stammt aus Russland. 1992 kam er nach Berlin. »Ich bin traditioneller Jude, gehe gern in die Synagoge und tanke dort Spiritualität und Kraft«, sagt er von sich. Von der Moderatorin gefragt, ob er auch am Schabbat arbeitet, antwortet er mit »Ja«. »Den Menschen muss geholfen werden. Die Menschen müssen gerettet werden.«

GESPRÄCHE Hoz verbindet eine langjährige Freundschaft mit seiner muslimischen Kollegin Yüksel König. Beide sind als Oberärzte für Viszeralchirurgie am Berliner Vivantes-Klinikum tätig. Hoz überzeugte König, nach Israel zu reisen – was deren Sicht auf das Land und die Menschen dort völlig veränderte. Zuvor, so König, sei ihre Vorstellung von Israel durch die Medienberichterstattung geprägt gewesen. Darin habe sich fast alles um Anschläge, Terror und Gewalt gedreht. Durch Gespräche mit ihrem Facharztkollegen Hoz sei sie aber neugierig geworden.

»Ich bin dann mit meinem jetzigen Mann 2012 dorthin gereist, um einen eigenen Eindruck zu gewinnen. Wir haben uns in Jaffo mit Boris und seiner Mutter getroffen. Es war sehr spannend. Auch in Jerusalem gibt es eine ganz besondere Atmosphäre. Das muss man einfangen. Man muss da gewesen sein.«

Ihr Bild von Israel habe sich völlig gewandelt. Im vergangenen Jahr fuhr Yüksel König wieder nach Israel – diesmal mit ihren Kindern. Einige ihrer Arbeitskollegen hätten skeptisch bis ablehnend reagiert, sie aber nicht von dem Vorhaben abhalten können. »Die Israelis sind sehr offen, kinderfreundlich und hilfsbereit,« findet König.

Mehr das Gemeinsame und weniger das Trennende betonen.

Wie Boris Hoz kam auch Evgeni Zorin in Russland zur Welt. Im Gegensatz zu Hoz sieht er sich aber als säkularen Juden. »Ich gehöre zum Judentum, weil meine Mutter Jüdin ist – ob ich auch so fühle, ist eine andere Frage«, meint er. Mit fünf Jahren kam Zorin nach Israel. Im Moment ist er Arzt in der Weiterbildung in einer Hausarztpraxis in Berlin.

In seiner Jugend in Haifa habe er das Zusammenleben von Juden und Muslimen ganz praktisch erlebt. Dort sei das Zusammenleben einfacher als in anderen israelischen Städten. Auch Zorin findet es »eher komisch, dass wir uns immer wieder auf die Unterschiede fokussieren und ich mich erklären muss, warum es sie gibt«.

MUSLIME Boris Hoz hält die zwischenmenschlichen Eigenschaften einer Person für wichtiger als ihre Religionszugehörigkeit. Er habe bereits während seiner Studienzeit positive Erfahrungen mit Muslimen gemacht. »Mein Doktorvater war Perser, und er war ein faszinierender Professor.« Andere Professoren hätten Ausländer wie ihn dagegen nicht als Doktoranden haben wollen, sagt Hoz.

Ein Element, das beide Religionen verbindet, ist die Beschneidung. Evgeni Zorin sieht die aber mit gemischten Gefühlen: »Es ist etwas grausam. Gott sei Dank wurde ich, als ich nach Israel eingewandert bin, mit fünf, beschnitten. Sonst wird man dort als Outsider angesehen. Ich finde es trotzdem etwas altmodisch und bin dagegen«, sagt er.

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Boris Hoz ist anderer Meinung. Er führt selbst Beschneidungen durch. »Das ist ein absolut zentraler Akt im Judentum. Und im Endeffekt entscheiden die Eltern. Das ist ein großer Teil der Diskussion, die in Europa und auch in Israel geführt wird. Auch dort gibt es ein oder zwei Prozent der Eltern, die ihre Kinder nicht beschneiden lassen.« Das müsse man respektieren. Er sei sich bewusst, dass es um das Thema eine große Debatte gebe, und dass sein Standpunkt auch unter Kollegen zum Teil schwer vermittelbar sei.

WEDDING Im Berliner Stadtteil Wedding gebe es aber auch Muslime, die ihre Kinder im dortigen jüdischen Krankenhaus beschneiden ließen. »Als Arzt unterscheidet man nicht, ob eine türkische, arabische oder jüdische Familie zur Beschneidung kommt. Unabhängig von der Religion werden da alle Menschen absolut gleich behandelt. Das ist etwas, was uns verbindet.«

Hoz’ Kollegin Yüksel König sagt, auch sie würde ihr Kind beschneiden lassen, allerdings – wie im Judentum üblich – im Alter von wenigen Tagen, um mögliche Komplikationen zu verhindern.

CORONA Auch die Corona-Pandemie kommt in der Podiumsdiskussion zur Sprache. Es sei anstrengend für Ärzte, wenn man »ständig neue Verfahrensanweisungen« von den Behörden bekomme, kritisiert König. Einig ist sich die Runde, dass keine gesellschaftliche Gruppe vor dem Virus gefeit sei. »Es ist eine neue Erfahrung für uns alle. Ich weiß oft nicht, welche Unterstützung ich einem Patienten anbieten kann«, sagt Evgeni Zorin.

»Mein Doktorvater war Perser, und er war ein faszinierender Professor.«

Boris Hoz

Oberärztin Meryam Schouler-Ocak fordert mehr Aufklärung gerade für Menschen mit Migrationshintergrund, um so zu verhindern, dass sich Menschen bei großen Feiern und Familienfesten anstecken. Boris Hoz gewinnt der Pandemie auch etwas Positives ab: »Angehörige verschiedener Religionen finden hier zusammen, um gemeinsam diese Zeit zu überstehen.«

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