Für die letzte Veranstaltung vor der Sommerpause hatte die Literaturhandlung den Schriftsteller Tilman Röhrig eingeladen. Mitveranstalter waren die B’nai B’rith Loge und das Jüdische Museum, in dessen Räumen die Veranstaltung stattfand. Röhrig las aus seinem neuesten historischen Roman »Caravaggios Geheimnis«, erschienen bei Pendo. Aktualität zeigte die Lesung in mehrfacher Hinsicht:
Zum einen lag der gewählte Termin nur knapp eine Woche vor dem 400. Todestag des Malers Michelangelo Merisi da Caravaggio am 18. Juli 1610. Zum anderen hatte erst wenige Wochen zuvor der Maler die Kunstwelt bewegt, als in Berlin Ende Juni sein millionenschweres Gemälde »Die Festnahme Christi« sichergestellt werden konnte. Dieses war knapp zwei Jahre zuvor, im Sommer 2008, aus dem »Museum für westeuropäische und orientalische Kunst« in Odessa gestohlen worden.
recherchen Auch das Leben von Caravaggio selbst trägt krimihafte Züge. Tilman Röhrig ist seinen Spuren von Mailand bis Rom, von Neapel bis Palermo gefolgt. Zu seinen Recherchen gehörte auch der Blick in die Polizeiprotokolle des barocken Rom. Entstanden ist aus alledem ein fesselnder Roman, der das Bild einer Zeit voller Intrigen und ganz handfesten Kämpfen um Aufstieg und Anerkennung, um Macht und sozialen Rang ebenso anschaulich schildert wie Maltechniken und das Entstehen von Bildern.
Der Vortrag des Autors, der nicht nur für seine Bücher zahlreiche Preise erhalten, sondern sich auch als Schauspieler einen Namen gemacht hat, führte die Besucher auch in die Abgründe des Frühbarock. Es ist die Zeit der Inquisition. Röhrig bindet in seinen Roman auch Giordano Bruno in diese Szenerie mit ein. Sein Protagonist Michele Caravaggio wird dem Eingekerkerten zwar nicht persönlich begegnen. Doch Gespräche über diesen illustrieren dessen Schicksal und den damaligen Zeitgeist.
Zu diesem Zeitbild gehört auch das Schicksl der Juden im damaligen Rom. Sie leben im Ghetto, das abends hermetisch abgeriegelt wird. Tilman Röhrig hat die Akten genau studiert und gibt seinen Lesern berührende, aber auch erschreckende Einblicke in das Schicksal der Juden, die sich hartnäckig dem Christentum verweigern.
spurensuche Die aufmerksame Stille, die im Foyer des Museums während der gesamten Lesung herrschte, wandelte sich in Erstarren, als Röhrig seine Zuhörer mit Caravaggio und dessen Geliebter und Freundin aus Kindertagen an einem Samstag in das Ghetto von Rom führt. Auf dem Markt wollen die beiden wieder einmal nach Stoffen suchen und haben dabei ganz vergessen, dass der Schabbat der Ruhetag der Juden ist. Schon wollen sie das Quartier verlassen, als sie miterleben, wie brutale Horden mit Amtsgewalt die Menschen zusammentreiben. Auch hier ist bereits von gelben Hüten und gelben Tüchern in der Kleidung der Juden die Rede. »Schlimmer als Vieh behandelt er sie«, lässt Röhrig Paola sagen.
Sie und Michele werden von einem Pulk gaffender Römer vor dem Friedhofstor mitgetrieben bis in eine Kirche, in der die zusammengetriebenen Juden gedemütigt und geschlagen werden. Stellvertretend für die Menschheit lässt Röhrig in seinem Roman Paola und Michele sich für das schämen, was Christen den Juden angetan haben. Auf Fragen nach seiner Lesung weist der Autor ausdrücklich noch einmal darauf hin, dass er sich bei seinem Situationsbeschreibungen auf Prozessakten und Polizeiakten stützte, die jetzt zugänglich sind. Caravaggio ist für ihn ein Protagonist der Epoche der Gegenreformation.
Im Herbst startet Rachel Salamander ihre Vortragsreihe am Dienstag, 14. September, mit einer Veranstaltung zu Simon Wiesenthal.