Darmstadt

Anwälte einer Erinnerungskultur

Der Anblick erinnert an Ausgrabungen aus dem Nahen Osten, Israel oder Mesopotamien. Fundamente sind zu erkennen, ein paar Mauern, Ansätze einer Wendeltreppe, die abrupt im Nichts endet, der Bodenbelag. Ein Bild, das der Betrachter von Hunderten archäologischer Fundplätze zu kennen glaubt.

Die Präsentation in einem lichtdurchfluteten Glaspavillon gleicht der in einem Museum. Kleine Stege führen über den Fundort hinweg, damit Interessierte sich auch aus der Vogelperspektive ein Bild von den Trümmern unter ihnen machen können. Dabei haben die Gebäudeüberreste zu Füßen der Besucher nicht Jahrtausende, sondern nur wenige Jahrzehnte unter der Erde verbracht. Zeugnis einer untergegangenen Kultur sind sie dennoch – die letzten Überbleibsel der nach der Abspaltung von der orthodoxen Gemeinde nach einem Entwurf von Edmund Köhler 1875/1876 errichteten Liberalen Synagoge von Darmstadt. 1938 wurde sie zerstört.

NS-Geschichte 2003 hatten Bauarbeiter das wenige, was vom Gotteshaus geblieben ist, bei der Erweiterung des angrenzenden Klinikums Darmstadt entdeckt. Die geschichtsträchtige Bedeutung dieses Fundes löste eine intensive Debatte über den Umgang der Stadt mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit aus. So veranlassten die Stadtoberen die Planungen für die Gedenkstätte. Für Martin Frenzel sind solche Orte der Erinnerung notwendig. Doch damit allein ist es nicht getan. »Wir begreifen Erinnerungsarbeit als dauernde Zukunftsaufgabe«, erklärt der Journalist und Politikwissenschaftler. Deshalb haben er und ein Handvoll Mitstreiter einen Verein gegründet, den »Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt«.

Der zerstörte Sakralbau hat es Frenzel angetan. Ein Buch über das liberale Gotteshaus, das am 23. Februar dieses Jahres den 135. Jahrestag seiner Einweihung gefeiert hätte, hat er bereits verfasst. Eine Zierde unserer Stadt lautet der Titel. Und tatsächlich zählte der opulente Bau, der sich an den Stil evangelischer Kirchen jener Zeit anlehnte, sechs Jahrzehnte lang zu den städtebaulichen Landmarken Darmstadts.

Zierde »Es war ein offenes Haus«, berichtet Frenzel. Ein Konzept, das vom Rabbiner und Orientologen Julius Landsberger, forciert wurde. 62 Jahre lang »zierte« die liberale Synagoge die Stadt, dann zerstörten SA-Schergen das Gotteshaus, sprengten und verschütteten die Überreste. »Darmstadt war eine braune Hochburg«, sagt Frenzel. Die Stadt des Gestapo-Cheforganisators Werner Best, der für die Aufstellung der berüchtigten Einsatzgruppen verantwortlich zeichnete.

Auch dieses Kapitel will der Verein aufarbeiten, in Vorträgen, durch Öffentlichkeitsarbeit und multimediale Präsentation. »Im Endeffekt wollen wir Anwalt einer aktiven Erinnerungskultur sein«, betont Frenzel. Gleichzeitig wolle der Verein sich gegen Rechtsextremismus und für ein »buntes, und tolerantes Darmstadt« einsetzen.

»Bei der jüdischen Gemeinde Darmstadt betrachtet man das Projekt mit Wohlwollen«, sagt Daniel Neumann, Geschäftsführer des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen und Gemeindemitglied in Darmstadt. In einem Kuratorium, das demnächst gegründet werden soll, werde sich die Gemeinde möglicherweise auch mit einem Vertreter engagieren. Sie wolle aber weder im Vorstand noch in der direkten Vereinsarbeit mitwirken. »Wir halten Erinnerungsarbeit für eine Aufgabe der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft«, so Neumann.

Oldenburg

Judenfeindliche Schmierereien nahe der Oldenburger Synagoge   

Im vergangenen Jahr wurde die Oldenburger Synagoge Ziel eines Anschlags. Nun meldet eine Passantin eine antisemitische Parole ganz in der Nähe. Die Polizei findet darauf noch mehr Schmierereien

 21.02.2025

Berlin

Wladimir Kaminer verkauft Wohnung über Facebook

Mit seiner Partyreihe »Russendisko« und vielen Büchern wurde Wladimir Kaminer bekannt. Für den Verkauf einer früheren Wohnung braucht er keinen Makler

 20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

Thüringen

Antisemitismus-Beauftragter soll »zeitnah« ernannt werden

Seit Dezember ist der Posten unbesetzt. Dem Gemeindevorsitzenden Schramm ist es wichtig, dass der Nachfolger Zeit mitbringt

 19.02.2025

Weimar

Erlebtes Wissen

Eine Fortbildung für Leiter jüdischer Jugendzentren befasste sich mit der Frage des zeitgemäßen Erinnerns. Unsere Autorin war vor Ort dabei

von Alicia Rust  18.02.2025

Bundestagswahl

Scharfe Worte

Über junge politische Perspektiven diskutierten Vertreter der Jugendorganisation der demokratischen Parteien in der Reihe »Tachles Pur«

von Pascal Beck  18.02.2025

Justiz

Vorbild und Zionist

Eine neue Gedenktafel erinnert an den Richter Joseph Schäler, der bis 1943 stellvertretender IKG-Vorsitzender war

von Luis Gruhler  18.02.2025

Emanzipation

»Die neu erlangte Freiheit währte nur kurz«

Im Münchner Wirtschaftsreferat ist eine Ausstellung über »Jüdische Juristinnen« zu sehen

von Luis Gruhler  18.02.2025

Portät der Woche

Magische Momente

German Nemirovski lehrt Informatik und erforscht den Einsatz Künstlicher Intelligenz

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.02.2025