Wenn es einen gemeinsamen Nenner der Veranstaltung gab, zu der sich am Mittwoch im Otto-Suhr-Institut (OSI) in einem übervollen Hörsaal etwa 300 Studenten, Dozenten und wenige externe Besucher versammelt hatten, dann die Floskel: Wir müssen reden.
Gesprächsbedarf besteht, seit gegen eine Lehrbeauftragte des renommierten politikwissenschaftlichen Instituts der Freien Universität Berlin der Vorwurf erhoben wurde, zumindest außerhalb des Fachbereichs Judenhass zu verbreiten. Eine studentische Initiative, die sich »Gegen jeden Antisemitismus an der FU« nennt, hatte Material über die Dozentin Eleonora Roldán Mendívil gesammelt und öffentlich gemacht.
reaktionen Zu den Reaktionen des Fachbereichs gehörte, dass Mendívil für das kommende Semester kein Lehrauftrag erteilt wurde, dass ein unabhängiger Gutachter, der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Wolfgang Benz, die Vorwürfe prüft und dass eine Podiumsdiskussion zum Thema anberaumt wurde.
Ebendiese fand am Mittwochabend statt. Wie deutlich die Lager in diesem Streit zu definieren sind, offenbarte sich schon zu Beginn der Veranstaltung. Vertreter der Gruppe »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« sprachen auf einem Flugblatt von einer »Hexenjagd«, einer »rechtsgerichteten pro-israelischen Kampagne« und von der Einschüchterung einer »jungen weiblichen Migrantin«. Die Gruppe »Gegen jeden Antisemitismus« hingegen verteilte eine »Chronik des Antisemitismus am OSI«, in der die Vorwürfe gegen Roldán Mendívil sowie einige frühere Vorfälle nachgezeichnet wurden.
Das Podium selbst war überwiegend professoral, zumindest hochkarätig wissenschaftlich besetzt. Mit Cilja Harders war die Lehrstuhlinhaberin, die zur Politik des Nahen Ostens forscht, anwesend. Shelley Harten war als Expertin der israelischen Innenpolitik geladen, hinzu kamen mit Carsten Koschmieder und Mirko Niehoff zwei ausgewiesene Antisemitismusexperten. Bernd Ladwig, Professor für Politische Theorie, sprach über wissenschaftliche Sorgfalt sowie Grenzen und Grauzonen von Diskursen.
suspendierung Ladwig war bereits als Sprecher der OSI-Geschäftsführung in die Kritik geraten, weil er die schnelle Suspendierung Roldán Mendívils zu verantworten hatte. Den Vorwurf, dass dies der Verhängung eines Berufsverbots gleichkomme, wies Ladwig deutlich zurück. Einwände, dass hier eine junge Wissenschaftlerin am Anfang ihrer Karriere »gelabelt« (Harders) sei oder bei den ohnehin schlecht bezahlten Lehraufträgen einer »weiteren Exklusion« (Koschmieder) Vorschub geleistet werde, blieben jedoch bestehen.
Gleichwohl wies Carsten Koschmieder, der für die Nicht-Professoren, den sogenannten Mittelbau, sprach, darauf hin, dass es bei den Vorwürfen gegen Roldán Mendívil nicht um das Verbannen einer unliebsamen Meinung gehe. »Es geht nicht um eine politische Ansicht, sondern um Antisemitismus«, sagte er und fügte in Anbetracht der vielfältigen Unterstützung für die umstrittene Lehrbeauftragte hinzu: »Ich weiß nicht, ob es bei Rassismusvorwürfen eine ähnliche Solidarisierung mit der Betroffenen gegeben hätte.«
Koschmieders Frage blieb weitgehend unbeantwortet, auch wenn das Wort »Rassismus« oft in der Diskussion auftauchte. Als etwa Mirko Niehoff, der auch in der politischen Bildung tätig ist und dort häufig mit dem Problem des Antisemitismus in migrantischen Communitys zu tun hat, ausführte, dass es nach seiner Erfahrung dort, konkret bei Menschen mit arabischem und türkischem Hintergrund, keinesfalls einheitliche Betrachtungen des Nahostkonflikts gebe – »alltagsweltliche Diskurse sind divers« – schallte ihm ein drohendes »Das ist rassistisch!« entgegen.
vorwürfe Um Roldán Mendívil ging es an diesem Abend kaum. Dass die Aussagen, die ihr vorgeworfen werden – unter anderem hatte sie den Zionismus als »ein durch und durch Ashkenazim-Kolonialprojekt« bezeichnet, als antisemitisch gelten können, darüber dürfte auf dem Podium weitgehend Einigkeit bestanden haben. Keine Einigkeit aber herrschte in Bezug darauf, wie mit Äußerungen umzugehen ist, die außerhalb der Universität und des Lehrbetriebs getätigt werden.
Ladwig konstruierte ein Beispiel, das zumindest für Nachdenklichkeit sorgte: Wenn ein Dozent ein Seminar zur »Politischen Theorie bei Carl Schmitt« anböte, würde das gewiss wohlwollend geprüft. Schmitt gehörte als politischer und staatsrechtlicher Denker zu den Wegbereitern des NS-Regimes, seine Relevanz in sozialwissenschaftlichen Diskursen ist gleichwohl unbestritten. Was aber, so Ladwig weiter, wenn man durch einfaches Googeln herausfände, dass dieser Dozent in außeruniversitären Zusammenhängen Positionen verträte, die etwa denen der Reichsbürger ähnelten?
existenzrecht Ladwig beharrte darauf – und wurde dafür von Teilen des Publikums massiv angefeindet –, dass es sich bei der Bestreitung des Existenzrechts Israels um eine Fehlleistung vergleichbarer Qualität handele. Man könne zwar über Zusammenhänge von Zionismus und Kolonialismus forschen und diskutieren, das Recht Israels auf eine sichere Existenz dürfe aber nie infrage gestellt werden.
Zu einer Einigung kam es am Mittwochabend im OSI nicht, und Redebedarf besteht weiterhin. Man kam aber immerhin in dem Punkt überein, wieder zur Diskussion einladen zu wollen, sobald das Gutachten von Wolfgang Benz vorliege. Auch über die Einschätzung Israels und die Situation im Nahen Osten will man sich bald verständigen.