Berlin

Antisemitismus-Streit am OSI

Podium bei der Veranstaltung am Mittwochabend mit Moderator Alexander Görke (5.v.l.) Foto: Martin Krauß

Wenn es einen gemeinsamen Nenner der Veranstaltung gab, zu der sich am Mittwoch im Otto-Suhr-Institut (OSI) in einem übervollen Hörsaal etwa 300 Studenten, Dozenten und wenige externe Besucher versammelt hatten, dann die Floskel: Wir müssen reden.

Gesprächsbedarf besteht, seit gegen eine Lehrbeauftragte des renommierten politikwissenschaftlichen Instituts der Freien Universität Berlin der Vorwurf erhoben wurde, zumindest außerhalb des Fachbereichs Judenhass zu verbreiten. Eine studentische Initiative, die sich »Gegen jeden Antisemitismus an der FU« nennt, hatte Material über die Dozentin Eleonora Roldán Mendívil gesammelt und öffentlich gemacht.

reaktionen Zu den Reaktionen des Fachbereichs gehörte, dass Mendívil für das kommende Semester kein Lehrauftrag erteilt wurde, dass ein unabhängiger Gutachter, der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Wolfgang Benz, die Vorwürfe prüft und dass eine Podiumsdiskussion zum Thema anberaumt wurde.

Ebendiese fand am Mittwochabend statt. Wie deutlich die Lager in diesem Streit zu definieren sind, offenbarte sich schon zu Beginn der Veranstaltung. Vertreter der Gruppe »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« sprachen auf einem Flugblatt von einer »Hexenjagd«, einer »rechtsgerichteten pro-israelischen Kampagne« und von der Einschüchterung einer »jungen weiblichen Migrantin«. Die Gruppe »Gegen jeden Antisemitismus« hingegen verteilte eine »Chronik des Antisemitismus am OSI«, in der die Vorwürfe gegen Roldán Mendívil sowie einige frühere Vorfälle nachgezeichnet wurden.

Das Podium selbst war überwiegend professoral, zumindest hochkarätig wissenschaftlich besetzt. Mit Cilja Harders war die Lehrstuhlinhaberin, die zur Politik des Nahen Ostens forscht, anwesend. Shelley Harten war als Expertin der israelischen Innenpolitik geladen, hinzu kamen mit Carsten Koschmieder und Mirko Niehoff zwei ausgewiesene Antisemitismusexperten. Bernd Ladwig, Professor für Politische Theorie, sprach über wissenschaftliche Sorgfalt sowie Grenzen und Grauzonen von Diskursen.

suspendierung Ladwig war bereits als Sprecher der OSI-Geschäftsführung in die Kritik geraten, weil er die schnelle Suspendierung Roldán Mendívils zu verantworten hatte. Den Vorwurf, dass dies der Verhängung eines Berufsverbots gleichkomme, wies Ladwig deutlich zurück. Einwände, dass hier eine junge Wissenschaftlerin am Anfang ihrer Karriere »gelabelt« (Harders) sei oder bei den ohnehin schlecht bezahlten Lehraufträgen einer »weiteren Exklusion« (Koschmieder) Vorschub geleistet werde, blieben jedoch bestehen.

Gleichwohl wies Carsten Koschmieder, der für die Nicht-Professoren, den sogenannten Mittelbau, sprach, darauf hin, dass es bei den Vorwürfen gegen Roldán Mendívil nicht um das Verbannen einer unliebsamen Meinung gehe. »Es geht nicht um eine politische Ansicht, sondern um Antisemitismus«, sagte er und fügte in Anbetracht der vielfältigen Unterstützung für die umstrittene Lehrbeauftragte hinzu: »Ich weiß nicht, ob es bei Rassismusvorwürfen eine ähnliche Solidarisierung mit der Betroffenen gegeben hätte.«

Koschmieders Frage blieb weitgehend unbeantwortet, auch wenn das Wort »Rassismus« oft in der Diskussion auftauchte. Als etwa Mirko Niehoff, der auch in der politischen Bildung tätig ist und dort häufig mit dem Problem des Antisemitismus in migrantischen Communitys zu tun hat, ausführte, dass es nach seiner Erfahrung dort, konkret bei Menschen mit arabischem und türkischem Hintergrund, keinesfalls einheitliche Betrachtungen des Nahostkonflikts gebe – »alltagsweltliche Diskurse sind divers« – schallte ihm ein drohendes »Das ist rassistisch!« entgegen.

vorwürfe Um Roldán Mendívil ging es an diesem Abend kaum. Dass die Aussagen, die ihr vorgeworfen werden – unter anderem hatte sie den Zionismus als »ein durch und durch Ashkenazim-Kolonialprojekt« bezeichnet, als antisemitisch gelten können, darüber dürfte auf dem Podium weitgehend Einigkeit bestanden haben. Keine Einigkeit aber herrschte in Bezug darauf, wie mit Äußerungen umzugehen ist, die außerhalb der Universität und des Lehrbetriebs getätigt werden.

Ladwig konstruierte ein Beispiel, das zumindest für Nachdenklichkeit sorgte: Wenn ein Dozent ein Seminar zur »Politischen Theorie bei Carl Schmitt« anböte, würde das gewiss wohlwollend geprüft. Schmitt gehörte als politischer und staatsrechtlicher Denker zu den Wegbereitern des NS-Regimes, seine Relevanz in sozialwissenschaftlichen Diskursen ist gleichwohl unbestritten. Was aber, so Ladwig weiter, wenn man durch einfaches Googeln herausfände, dass dieser Dozent in außeruniversitären Zusammenhängen Positionen verträte, die etwa denen der Reichsbürger ähnelten?

existenzrecht Ladwig beharrte darauf – und wurde dafür von Teilen des Publikums massiv angefeindet –, dass es sich bei der Bestreitung des Existenzrechts Israels um eine Fehlleistung vergleichbarer Qualität handele. Man könne zwar über Zusammenhänge von Zionismus und Kolonialismus forschen und diskutieren, das Recht Israels auf eine sichere Existenz dürfe aber nie infrage gestellt werden.

Zu einer Einigung kam es am Mittwochabend im OSI nicht, und Redebedarf besteht weiterhin. Man kam aber immerhin in dem Punkt überein, wieder zur Diskussion einladen zu wollen, sobald das Gutachten von Wolfgang Benz vorliege. Auch über die Einschätzung Israels und die Situation im Nahen Osten will man sich bald verständigen.

Vorsätze

Alles neu macht der Januar

Vier Wochen Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Süßes? Oder alles wie immer? Wir haben Jüdinnen und Juden gefragt, wie sie ihr Jahr begonnen haben und ob sie auf etwas verzichten

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Katrin Richter  09.01.2025

Würdigung

»Vom Engagement erzählen«

Am 10. Januar laden Bundespräsident Steinmeier und seine Frau zum Neujahrsempfang. Auch die JSUD-Inklusionsbeauftragte Jana Kelerman ist dabei

von Katrin Richter  09.01.2025

Gedenktag

Uraufführung mit den »Violins of Hope«

Ein besonderes Konzert anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz hat sich das Rundfunk-Sinfonieorchester vorgenommen. Es interpretiert ein Werk für die Geigen, die die Schoa überstanden haben

von Christine Schmitt  08.01.2025

Universität

Preise der »World Union of Jewish Students« in Berlin vergeben

Die weltweite Vertretung jüdischer Studierender hat ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert und besonders verdienstvolle Personen und Verbände ausgezeichnet

 07.01.2025

München

»Das ganz Andere fremder Welten«

Die Volkshochschule und das IKG-Kulturzentrum gedachten des 130. Geburtstags der Dichterin Gertrud Kolmar

von Helen Richter  05.01.2025

Feier

Dem Herzen folgen

Die IKG München und Oberbayern bedankt sich bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern für ihr Engagement

von Luis Gruhler  05.01.2025

Würzburg

Kreuzfahrer am Main

Die Abiturientin Nele Fackler wird für einen Aufsatz zur Lokalgeschichte des Antisemitismus ausgezeichnet

von Gerhard Haase-Hindenberg  05.01.2025

Buch

Jüdisch im Sauerland

Hans-Ulrich Dillmann aktualisiert seine Studie über die Gemeinde in Lüdenscheid

von Martin Krauß  05.01.2025

Apolda

Schweinekopf vor jüdischem Gedenkort abgelegt

Unbekannte Täter haben einen Schweinekopf vor einem jüdischen Gedenkort im thüringischen Apolda abgelegt – nicht zum ersten Mal

 05.01.2025