Die seit einem Jahr tätige landesweite Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus in Schleswig-Holstein, LIDA SH, hat eine erste Analyse vorgelegt. Darin listet sie durchschnittlich mehr als ein antisemitisches Vorkommnis pro Woche auf. Allein für den Zeitraum zwischen Januar und Oktober 2019 gab es 51 antisemitische Vorfälle im nördlichsten Bundesland. Ein Großteil der judenfeindlichen Attacken richtete sich laut LIDA SH nicht gegen Einzelpersonen, sondern findet im öffentlichen Raum in Form von Schmierereien und Kommentaren oder im Internet statt.
Alltag »Bei jenen Vorfällen, die sich konkret gegen bestimmte Personen oder Institutionen richten, haben wir es vor allem mit antisemitischen Beleidigungen, Bedrohungen und gezielten Sachbeschädigungen zu tun. Gerade die hohe Zahl niedrigschwelliger Vorfälle im öffentlichen Raum verweist auf die erschreckende Alltäglichkeit antisemitischer Vorfälle«, resümiert Joshua Vogel, Leiter des Projekts LIDA SH.
»Diese Auswertung kann nur als Basis für passgenaue Präventionsangebote dienen«, sagt Lars-Arne Raffel.
»Antisemitismus ist somit auch in Schleswig-Holstein nicht nur ein Randgruppenphänomen, sondern tief in der Gesellschaft verankert. Ob in einem Vorfall eine konkrete Person adressiert wird oder nicht – Antisemitismus richtet sich immer und in allererster Linie gegen Jüdinnen und Juden«, sagt Joshua Vogel.
Angst Unabhängig von der Intensität eines Vorfalls hat der Judenhass Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen. Auf direktem Wege würden die Angriffe als individuelle Erfahrung wirken, die verletzt, ausgrenzt und zur psychischen Belastung führt. Die Täter beabsichtigen, dass ihre Hetzattacken über die konkret bedrohte Person in die jüdische Gesellschaft ausstrahlen und dort Angst auslösen.
Die Sorge vor künftigen antisemitischen Vorfällen erschwert den Betroffenen die Teilhabe am öffentlichen Leben und hindert sie daran, sich öffentlich als jüdisch zu erkennen zu geben. Damit erreichten Antisemiten ein weiteres Ziel ihrer Attacken: Sie wollen jüdisches Leben aus der Öffentlichkeit verbannen.
Gesamtgesellschaft »Diesem alltäglichen Antisemitismus entschieden entgegenzutreten, darf nicht zu einer Aufgabe der Jüdinnen und Juden erklärt werden – es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Im Kampf gegen Antisemitismus müssen die Perspektiven der Betroffenen ernst genommen werden«, sagt Lars-Arne Raffel, Geschäftsführer des Trägervereins Zebra, der neben LIDA-SH auch die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistisch und antisemitisch motivierter Angriffe des Landes Schleswig-Holstein leitet.
»Diese erste Auswertung kann dabei nur als Basis für die Entwicklung passgenauerer Präventions-, Interventions- und Bildungsangebote dienen«, betont Raffel.