Wer das Vereinsgebäude von TuS Makkabi betritt, ist erst einmal nur fassungslos. »... ihnen ist es egal was sie für ein Trikot tragen, Hauptsache das Geld stimmt«, steht es rot auf schwarz auf einer rund 60 Meter langen LED-Laufschrift, die vom Eingang bis zum Ende des Kabinentraktes führt.
Es ist eines von mehreren Zitaten, das als Teil der Kunstinstallation »Hirsch Rot« in der von Makkabi und dem Sport-Club Charlottenburg (SCC) gemeinsam genutzten Sportanlage Julius Hirsch im Eichkamp zu lesen ist. Für das Projekt führte die Berliner Künstlerin María Linares im Sommer 2010 Gespräche mit Fußballern von Makkabi und dem SCC. Aus diesen Interviews wählte sie zahlreiche Sätze aus, die seitdem auf einem LED-Ticker täglich im Flur des Gebäudes in Endlosschleife ausgestrahlt werden.
zitate Wer die Zitate auf der Laufschrift liest, könnte zu dem Eindruck gelangen, dass diese antisemitisch sind. Dass Juden nur nach Geld streben, ist zum Beispiel einer der SCC-Kicker überzeugt. Ein Dritter wiederum versteht nicht, warum Makkabi finanziell angeblich nur von einem Juden unterstützt werde, »obwohl es – wie wir alle wissen – sehr viele reiche Juden gibt«. Und was habe der Namensgeber der Julius-Hirsch-Sportanlage in Charlottenburg-Wilmersdorf überhaupt mit Berlin zu tun? »Wir kommen hierher, um Fußball zu spielen.« Da sei »der Hirsch«, der 1943 von den Nazis im KZ Auschwitz-Birkenau ermordetet wurde, doch »völlig wurst«.
missverständnis Das Projekt solle »ein Denkanstoß« sein, erklärte Linares, bevor die Laufschrift angebracht wurde. 35.000 Euro kostete die Installation. Durch Kunstaktionen wie Linares’ »Hirsch Rot« erhofft sich das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, dass der öffentliche Raum an Lebensqualität gewinnt. »Die realisierte Arbeit ist in jeder Hinsicht ein Glücksfall für diesen Ort«, heißt es in der Broschüre zum Start der Installation feierlich. Von antisemitischen Sprüchen war damals freilich nicht die Rede.
Als Claudio Offenberg, der Trainer von Makkabis erster Fußballherrenmannschaft, die Laufschrift zum ersten Mal sah, traute er seinen Augen nicht. »Wir werden durch die Einblendungen persönlich angegriffen und diffamiert«, sagt er. »Die Installation verletzt uns als Juden in unseren Gefühlen Damit können und werden wir nicht leben.«
»Wir sind zutiefst empört und verletzt wegen dieser sogenannten Kunstinstallation«, schimpft auch Isaak Lat, Mitglied des Makkabi-Vorstands. Der 53-Jährige ist eigentlich ein ausgeglichener, zurückhaltender Mann. Wenn er von der LED-Anzeige und den Umständen des Projekts spricht, wird er jedoch ungehalten. »Es ist Psychoterror, tagtäglich damit konfrontiert zu werden. Es ist ein Skandal, derart herabgewürdigt zu werden.«
wortbruch Ein weiterer Punkt ärgert Lat mindestens genauso. Linares habe zu Beginn der Gespräche mit den Spielern zugesagt, Makkabi die betreffenden Passagen gegenlesen zu lassen, um Missverständnisse zu vermeiden. Doch daran habe sie sich nicht gehalten, so Lat. Nun sei genau das eingetreten, was man ausschließen wollte. Er und andere Makkabi-Vereinsmitglieder werfen der Künstlerin Wortbruch vor.
María Linares indes behauptet, Makkabi nie versprochen zu haben, die verwendeten Zitate mit dem Verein abzustimmen. »Eine solche Absprache wäre ein unüblicher Eingriff in die künstlerische Gestaltung, den es in demokratischen Systemen so nicht gibt.«
Dabei hat auch Linares durchaus Verständnis dafür, dass Makkabi einige Zitate verstörend findet. Ändern mag sie die Installation dennoch nicht. »Wenn die Sportler das so erleben, dass im Verein nichts Jüdisches ist, dann kann diese ›Meinung‹ ärgerlich für einige sein, das bedeutet jedoch nicht, dass sie antisemitisch ist und noch weniger, dass sie gelöscht werden müsste.« Ihre Arbeit beinhalte keine antisemitische oder gesetzeswidrige Aussage, ist Linares überzeugt.
Proteste Weil die Künstlerin eine Änderung der Laufschrift seit zwei Jahren ablehnt, hat Makkabi immer wieder beim Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf gegen die Installation protestiert. Was daraufhin geschehen sei? »Bis vor Kurzem nichts«, sagt Offenberg.
Zwei Jahre brauchte es, bis am 15. Oktober ein Mediationsgespräch mit allen Beteiligten in der Julius-Hirsch-Sportanlage stattfand. »Wer Antisemit ist, bestimmen immer noch wir – so schien mir der Standpunkt des Bezirksamtes zu sein«, sagt Nathan Gelbart. »Dabei glaube ich nicht, dass das Bezirksamt beurteilen kann oder will, ob die Einblendungen antisemitisch sind«, so der Anwalt, der Makkabi berät.
Sportausschuss Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen sagte die Bezirksstadträtin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Elfi Jantzen, dass zurzeit nicht absehbar sei, wann über »Hirsch Rot« entschieden werde. Es gebe in diesem Jahr im Sportausschuss sowie in einem weiteren Gremium ein Gespräch, »um die Problematik und den weiteren Umgang mit dem Projekt zu erörtern«. Mehr könne man zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.
Andreas Hirsch, der Enkel von Julius Hirsch, ist deswegen ebenso enttäuscht wie empört. Er sieht durch die teilweise antisemitischen Zitate das Andenken seines Großvaters verletzt. »Die Opfer der Schoa und deren Nachkommen dürfen bei der Diskussion um Linares’ Arbeit nicht länger ausgeblendet werden«, befindet er. Alles andere sei verletzend und ignorant. »So wie bisher jedenfalls«, sagt Hirsch, »kann es auf keinen Fall weitergehen.«