Das Autorenpaar Eva Gruberová und Helmut Zeller ist reiseerprobt. 2017 legten die beiden das Ergebnis ihrer Tour durch sieben ehemals kommunistisch beherrschte Länder unter dem Titel Taxi am Shabbat – Eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas vor. Der Erfolg war so groß, dass der Verlag C. H. Beck einen weiteren Vertrag mit den versierten Publizisten schloss, die sich nun auf eine Reise durch Deutschland begaben. Die beiden wollten erkunden, wie vor Ort jüdische Existenz wahrgenommen, gefördert, mit Gleichgültigkeit übergangen oder gar angefeindet wird.
Das Ergebnis ihrer ernüchternden Recherche stellten sie auf Einladung des IKG-Kulturzentrums vor Kurzem im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz vor. Nicht umsonst trägt ihr neues Buch den Titel Diagnose Judenhass. Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit.
gesellschaft Wer angesichts des Erfolgs und Zuspruchs in Hinblick auf das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« an eine »Renaissance des Judentums« glaubt, wird hier eines Besseren belehrt. Es bleibt weiterhin viel zu tun. Im Gespräch mit dem »Focus«-Kommentator Jan Fleischhauer machen Gruberová und Zeller deutlich, dass antisemitisches Gedankengut nicht nur an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft seine zerstörerische Wirkung ausübt.
Als erstes Beispiel wählten sie einen Auszug aus der zweiten von vier Themengruppen ihres Buches, »Ein politisches Minenfeld: Antisemitismus unter Muslimen«. Am 29. Juli 2014 bewarfen drei junge Palästinenser die Wuppertaler Synagoge mit Brandsätzen. Der Richter »bewertete den Angriff als politisch motiviert, als Ausdruck der Kritik am Staat Israel«, und nicht als antijüdisches Hassverbrechen. »Wuppertal ist kein Einzelfall«, konstatiert das Autorenpaar. Solche Vorkommnisse ließen sich auf Reisen systematisch sammeln, doch sie gehörten ohnehin zur täglichen Erfahrung.
Helmut Zeller, Leiter der Dachauer Lokalredaktion der »Süddeutschen Zeitung«, ist mit dem Thema durch den Sitz der KZ-Gedenkstätte ständig konfrontiert. Seine Frau Eva Gruberová führte jahrelang Besuchergruppen über das Gelände, wurde Bildungsreferentin am Max-Mannheimer-Studienzentrum in Dachau und arbeitet inzwischen bei RIAS Bayern, der regionalen Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus.
internet Judenfeindliche Vorkommnisse würden seit 1945 immer wieder in Wellen auftreten, derzeit jedoch sehr viel lauter und sichtbarer. Daran habe auch das Internet seinen Anteil. Straftaten hätten zugenommen. Beide konstatieren, dass »eine Schlussstrichmentalität nicht nur unter Erwachsenen, sondern auch in Schulen verbreitet« sei. Gruberová musste bei Führungen feststellen, dass Schüler über immer weniger Wissen in diesem Bereich verfügen.
Dafür ist an anderer Stelle Neues hinzugekommen. Der Antisemitismus habe unterschiedliche Ausdrucksformen gefunden, beispielsweise in Form sogenannter Israel-Kritik. Die BDS-Bewegung wiederum stehe für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen, die man einem demokratisch legitimierten Staat wie Israel zumutet, nicht aber despotischen Regimen, die es weltweit gebe. »Und im Übrigen«, so ergänzt Helmut Zeller, »Antisemiten sind immer die anderen.«
Eva Gruberová und Helmut Zeller: »Diagnose Judenhass. Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit«. C. H. Beck, München 2021, 279 S., 16,95 €