Was ist zu tun, wenn man in den Sozialen Netzwerken beschimpft, beleidigt oder als Jude angegriffen wird? Der Frage konnten 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen Bundesländern nachgehen, die die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) und die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) eingeladen hatten.
Die Location war die Hamburger Facebook-Deutschland-Zentrale. Erschienen waren junge Erwachsene, die sich in jüdischen und anderen NGOs engagieren. Das Bundesfamilienministerium unterstützt das Projekt.
Seit Februar hatten Benjamin Fischer, Leiter der Stabsstelle Digitale Transformation der ZWST und der Initiative Mabat, Mischa Ushakov, Präsident der Studierendenunion, Marcelia Rosenfeld, Projektassistentin Mabat sowie Ruben Gerczikow, für die Öffentlichkeitsarbeit der JSUD zuständig, das Seminar erarbeitet.
Das Bundesfamilienministerium unterstützt das Projekt.
Facebook Gastgeber des Seminars war das Social-Media-Unternehmen Facebook, Partner waren unter anderem Jörn Kreuzer, Redakteur für Social Media beim Fußballverein FC St. Pauli, der täglich Millionen Menschen online erreicht.
Kreuzer gab den Teilnehmern wertvolle Tipps, wie sie auf Hassattacken, Shitstorms und Antisemitismus reagieren können. Was ist Geplapper, was ist antisemitisch, was sollte man kommentieren, was einfach nur löschen? Oder aber: Was sollte man beispielsweise bei der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) anzeigen?
Je mehr Follower der antisemitische Angriff hat, desto eher sollte reagiert werden, um den Followern zu zeigen, dass derartige Angriffe nicht hingenommen werden, riet Kreuzer. Und seine Tipps kamen gut an. »Jörn Kreuzer hat uns eine Menge mit auf den Weg gegeben und seine Erfahrungen mit uns geteilt«, resümierte Benjamin Fischer. Der FC St. Pauli sei einer der wenigen Fußballklubs, die sich politisch engagieren und daher oft Shitstorms ausgesetzt ist.
standards Über Cybersecurity, juristische Standards und Möglichkeiten im Netz informierte ein Experte die Seminarteilnehmer. »Das hat uns ganz neue Perspektiven und Anregungen eröffnet«, befand Ruben Gerczikow vom JSUD. Ein Problem der Social-Media-Anbieter sei es, auf die Millionen Hate Speeches nicht sofort reagieren zu können, da es an Zeit und Personal fehle. Zu juristischen Fragestellungen war Matthias Klatt vom Lehrstuhl für Medienrecht und Öffentliches Recht eingeladen worden.
Hate Speech im Netz nimmt immer breiteren Raum in der öffentlichen Debatte ein.
Eine Erkenntnis des Seminars sei auch, dass Hate Speech im Netz immer breiteren Raum in der öffentlichen Debatte einnimmt. »Wir haben Themen behandelt, mit denen jeder von uns täglich konfrontiert ist und sich oft verloren fühlt«, sagte Ekaterina Kats. Die BWL-Studentin aus Düsseldorf erhoffte sich von dem Seminar, »Werkzeuge an die Hand zu bekommen, um richtig auf Hate Speech reagieren zu können«. Das Seminar sei sehr divers und gut aufgebaut gewesen, sagte sie. »Es hat uns angeregt, wie jeder von uns reagieren, agieren und politisch aktiv werden kann.«
»Als Organisation und auch privat sind wir öfter Antisemitismus ausgesetzt«, sagt Ruben Gerczikow. Auch Verschwörungstheorien gelte es zu widerlegen. »Sie setzen sich aus Chiffren und Codes zusammen, das müssen wir durchschauen und für die Follower solcher Hate Speeches klären.« Die Schoa werde immer wieder relativiert, beispielsweise indem der Nazi-Mord an sechs Millionen Juden mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt gleichgesetzt werde.
fundamentalismus Der Antisemitismus komme auch aus dem christlichen Fundamentalismus, beispielsweise durch eine Täter-Opfer-Umkehrung. Deshalb sei das Seminar wichtig, denn die Teilnehmer erhielten auch genaue Anleitungen, wie sie Attacken in Social Media analysieren können. »Wir wollen online aufstehen, wenn es um Antisemitismus und ein tolerantes Deutschland geht«, sagte Ruben Gerczikow.
»Bei vielen von uns ist durch das Wissen, das wir uns im Seminar aneignen konnten, die Hemmschwelle gesunken, gegen Hate Speech im Netz anzugehen«, betonte Ekaterina Kats. Zudem habe das Seminar das Selbstbewusstsein gestärkt. »Wir stehen zu unseren Namen, wir sind ein wichtiger Teil von unserem Land, das muss die Botschaft sein«, sagte die Studentin nachdrücklich.
»Vernetzt euch, sprecht uns an, wir helfen.« Benjamin Fischer
In ihrem Fazit machten die Veranstalter deutlich, dass die Idee des Seminars weitergeführt werden muss. »Jede und jeder von uns kann jederzeit ein Seminar organisieren, vernetzt euch, sprecht uns an, wir helfen«, forderte Benjamin Fischer die Teilnehmer zur weiteren Mitarbeit auf.
Als erste Anregung hatte er die Idee, eine Netiquette, einen Katalog über das Verhalten im Netz, zu schreiben. Das sei nicht einfach, aber es gebe bereits Beispiele im Netz. »Wir sorgen für eine bessere Vernetzung, um auch Synergieeffekte zu erzielen, denn gemeinsam können wir viel mehr als allein schaffen«, sagte Anna Staroselski. Ein Ziel sei es auch, Nichtjuden über den Antisemitismus, seine Ursachen, Arten und Folgen aufzuklären.
Rechtsfragen Vielfach gewünscht sind Anleitungen, wie man juristisch gegen Hate Speech im Netz vorgehen kann. »Wird beispielsweise ein Screenshot als Beweis vor Gericht anerkannt?«, wollte ein Teilnehmer wissen. Angedacht wurde auch ein Klage-Marathon, um nach dem Motto »Wir lassen uns das nicht bieten« Stärke zu zeigen.
Das Fazit der Teilnehmer war durchgehend positiv. »Das Seminar war sehr effektiv«, lobte eine Teilnehmerin, die eigens aus Israel angereist war. »Ich werde mich jetzt gegen Hate Speech engagieren.« »Ich finde die vielen praktischen Tipps sehr hilfreich.« »Wir wurden gut sensibilisiert, wie wir mit unseren Daten umgehen sollten.« »Wir müssen uns vernetzen, damit wir auch politischen Druck ausüben können.« »Wir müssen aus unserer Komfortzone raus und aktiv werden«, resümierte Ruben Gerczikow.