Arieh Rudolph hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Bevor der 49-jährige Bamberger einen Tag vor Weihnachten die Türen seiner Gemeinde bis zum 7. Januar schließen kann, muss er noch einmal »richtig viel ackern«, wie er sagt. Für das kommende Gemeindejahr muss er eine Planung erstellen, eine Madricha für das Jugendzentrum finden und einen Krav-Maga-Kurs vorbereiten. »Endspurt«, nennt Rudolph die Weihnachtszeit aus langjähriger Erfahrung.
Warum die Jüdische Gemeinde Bamberg an Weihnachten überhaupt schließt? Nun, sagt Rudolph, da gebe es zum einen viele Mitglieder, die nichtjüdische Partner haben und mit ihnen über Weihnachten wegfahren. Zum anderen müssten die Gemeindeangestellten schlicht und einfach auch mal zwei Wochen am Stück Urlaub haben, findet der Oberfranke. »Für mich persönlich ist Weihnachten eine gute Möglichkeit, all das zu erledigen, wofür sonst keine Zeit bleibt: die Steuererklärung und das Abschließen einer Zahnzusatzversicherung zum Beispiel.«
bayreuth Rund 70 Kilometer östlich von Bamberg sitzt Felix Gothart wie immer in seinem Büro. Bei dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Bayreuth herrscht vor den Weihnachtsferien weder mehr noch weniger Betrieb. »Selbstverständlich haben wir in den kommenden Wochen ganz normal geöffnet«, sagt er bestimmt. Wie immer bietet die orthodoxe Gemeinde jeden Tag drei Gottesdienste an. Selbst an den gesetzlichen Feiertagen ist der Vorsitzende in Notfällen telefonisch jederzeit erreichbar. »Weihnachten ist für uns ein Tag wie jeder andere«, betont er. »Wenn auch etwas ruhiger als sonst.«
Wie Rudolph und Gothart stehen dieser Tage viele Gemeindevorsitzende vor der Frage, ob sie ihre Häuser über die Weihnachtsferien schließen oder geöffnet lassen sollen. Für Letzteres spricht nach Ansicht von mehreren Gemeindevorständen, dass gerade über die Feiertage berufstätige Mitglieder Zeit haben, die Gemeindeangebote zu nutzen. Dagegen spricht für fast ebenso viele Vorsitzende wiederum, dass nicht wenige Mitglieder über die christlichen Feiertage und Neujahr ohnehin nicht die Gemeinden aufsuchen, da sie die Zeit viel lieber zu Hause mit der Familie verbringen oder dem deutschen Winter Richtung Süden entfliehen.
Hamburg Weder für eine Urlaubsreise noch für Gemeindebesuche wird sich hingegen Yana aus Hamburg am 24. Dezember entscheiden. Die Hamburger Literaturstudentin wird an »Heiligabend« wie immer gemeinsam mit ihren Eltern chinesisch essen gehen. Diese unter amerikanischen Juden verbreitete Tradition habe sich irgendwann auch in ihrer Familie durchgesetzt, berichtet die 29-Jährige. »Für mich gehört das inzwischen irgendwie dazu.«
Und auch wenn Weihnachten von keiner religiösen Bedeutung für Yana ist, mag sie diese Zeit: »Alles ist viel friedlicher und entspannter als sonst«, findet sie. Ansonsten hält die Literaturstudentin es mit Kurt Tucholsky: »Die meisten Leute feiern Weihnachten, weil die meisten Leute eben Weihnachten feiern«, wusste schon der Schriftsteller.
Um jüngere Gemeindemitglieder wie Yana über die Weihnachtszeit an die Gemeinde zu binden, hat sich Roy Naor einiges einfallen lassen. Das Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Hamburg hat für das kommende Jahr ein gemeinsames Essen im chinesischen Restaurant fest eingeplant, damit Jung und Alt an Weihnachten zusammenkommen. Darüber hinaus bietet der 27-Jährige schon jetzt jedem Mitglied an, auch über die Feiertage die Gemeinde zu besuchen. »Oft ist es ja so, dass man sich trifft, um einfach miteinander zu sprechen oder gemeinsame Aktivitäten zu planen«, sagt Naor. »So oder so: Unsere Türen stehen jedem jederzeit offen. Wir machen in den Ferien nicht einfach dicht, bloß weil Weihnachten ist.«
Lediglich einige ausgewählte Dienste der Hamburger Gemeinde werden an den gesetzlichen Feiertagen nicht angeboten, so Naor. Die Verwaltung, der Sprachlehrer sowie die Sozialberatung nehmen erst im neuen Jahr wieder ihre Arbeit auf. Der Schabbatgottesdienst wird aber wie gewohnt in der Synagoge abgehalten, und auch Kulturveranstaltungen finden regulär statt.
hannover Bereits jetzt den Blick auf Weihnachten 2014 gerichtet hat die Vorsitzende der liberalen jüdischen Gemeinde Hannover, Ingrid Wettberg. Zwar wird die Hannoveranerin ihre Gemeinde in diesem Jahr vom 24. Dezember bis zum 5. Januar schließen. Im nächsten Jahr jedoch wird sie für ihre Gemeinde am christlichen Feiertag wieder einen ganz besonderen Abend organisieren.
»Den 24. Dezember 2010 habe ich in ausgesprochen guter Erinnerung«, sagt Wettberg. »Gemeinsam mit den Besuchern haben wir geklönt, über Gott diskutiert, Wein getrunken und einfach sehr viel Spaß gehabt.« Darauf freut sich die Gemeindevorsitzende schon jetzt. Dann wird es wie vor drei Jahren auch wieder so sein, dass der achte Chanukka-Tag und Heiligabend auf ein und dasselbe Datum fallen – geschlossen haben wird ihre Gemeinde an diesem Tag dann garantiert nicht.