Als der neue Israel-Bericht von Amnesty International (AI) am Dienstagmorgen um neun Uhr online veröffentlicht wurde, standen die Aktivisten der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) bereits mit Transparenten und Plakaten vor der Zentrale der deutschen Sektion. Auf ihren Schildern war zu lesen: »Say No to Antisemitism« und »Stop Demonizing Israel!«. Wie kam die JSUD dazu, eine Organisation, deren Ziel die Aufklärung und Veröffentlichung staatlichen Unrechts weltweit ist, nun selbst so anzugehen?
Der AI-Bericht, der den Titel »Israel’s Apartheid against Palestinians: Cruel System of Domination and Crime against Humanity« trägt, erfüllt die wichtigsten Kriterien für israelbezogenen Antisemitismus, betont Anna Staroselski, Präsidentin der JSUD. »Der israelische Staat wird dadurch delegitimiert und dämonisiert, dass behauptet wird, er habe seit seiner Gründung 1948 konsequent das Ziel verfolgt, die palästinensische Bevölkerung systematisch zu unterdrücken und zu vertreiben.«
Apartheid Dafür werde in dem Bericht der Begriff »Apartheid« benutzt, der impliziere, dass Israel ein rassistischer Unrechtsstaat sei. Außerdem werde Israel nicht mit dem gleichen Maß wie andere politische Akteure im Nahostkonflikt gemessen. »Kein Wort fällt in dem Bericht zu den Verbrechen der Hamas«, sagt Staroselski.
Für sie und die JSUD ist daher klar: AI-Deutschland muss sich von dem Bericht seines Dachverbandes distanzieren. Eine Forderung, die auch Zentralratspräsident Josef Schuster unlängst erhoben hat. Die deutsche Sektion von AI versucht derweil einen Spagat. Zwar teilte sie den Bericht über Israel auf ihrer Website, fügte jedoch an: Man sei sich Deutschlands und damit der eigenen, besonderen Verantwortung gegenüber dem Erhalt jüdischen Lebens bewusst und verzichte daher auf eine Verwendung des Berichts für eigene Aktivitäten.
Distanzierung Eine inhaltliche Distanzierung erfolgte indes nicht. Der »Jüdischen Allgemeinen« sagte eine Sprecherin von AI Deutschland, dass »Berichte und menschenrechtliche Positionen in der Hoheit des Internationalen Sekretariats liegen«. Das bedeutet: Über die Kompetenz, sich eine eigene, faire Meinung zu Israel und dem Nahostkonflikt zu bilden, verfügt man nicht.
»Einen Witz« nennt Lars Umanski, Vizepräsident der JSUD, diese Rechtfertigung. Umanski ist einer der Akteure, die bei der zweiten Kundgebung an diesem Tag vor den Büroräumen von AI eine Rede halten. Für den späten Nachmittag hatte die JSUD erneut mobilisiert, und etwa 60 Personen kamen bei Kälte und Nieselregen zusammen, um ihr Missfallen mit dem Bericht kundzugeben.
Parolen »Vor nicht allzu langer Zeit wurden anti-israelische Parolen auf deutschen Straßen gegrölt«, sagte Umanski. »Heute bedient sich die bekannteste Menschenrechtsorganisation der Welt derselben Phrasen, um den jüdischen Staat zu delegitimieren.«
Warum dieser Zusammenhang auch für Jüdinnen und Juden in Deutschland von Bedeutung ist, erläuterte der Publizist Leonard Kaminski: »Anti-israelische Ressentiments sind ein Brandbeschleuniger für Judenhass. Das trifft früher oder später auch das jüdische Leben in diesem Land.«
Unter anderem meldeten sich Volker Beck, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, und Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, zu Wort. Abgeschlossen wurde die Kundgebung mit dem Abspielen hebräischer Lieder. Man wolle demonstrieren, »dass wir uns von Antisemitismus nicht einschüchtern lassen«, stellte Anna Staroselski klar. Im Refrain einer der Songs heißt es: »Am Israel Chai!«