Eine Synagogen-Sanierung mit Hindernissen – jetzt ist sie vollbracht, und die 600 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Lübeck müssen nicht mehr zum Beten in den Keller ihres Gemeindehauses gehen. Nach fast zehn Jahren Restaurierungszeit leuchtet die Carlebach-Synagoge an der St.-Annen-Straße wieder in alter Pracht.
Pandemie Die Eröffnung am 2. April musste zwar wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden, doch jetzt besuchte Schleswig-Holsteins Kulturministerin Karin Prien gemeinsam mit Peter Harry Carstensen, Schleswig-Holsteins Antisemitismusbeauftragtem und ehemaligem Ministerpräsidenten, das jüdische Gotteshaus. Und die Visite der beiden Politiker hatte durchaus festlichen Charakter.
»Diese schöne Synagoge zu feiern, ist ein gutes Zeichen für Schleswig-Holstein.«
Kultusministerin Karin Prien
»Diese schöne Synagoge zu feiern, ist ein gutes Zeichen für Schleswig-Holstein, und ihr neuer Glanz steht dafür, dass die jüdische Kultur mitten in unsere Gesellschaft gehört«, sagte Karin Prien. Die Lübecker Synagoge, 1880 eröffnet, in der Pogromnacht von den Nazis, in den 90er-Jahren von Neonazis geschändet, zähle heute wieder zu den schönsten in Deutschland und sei ein starkes Symbol für das vielfältige religiöse und kulturelle Leben in Schleswig-Holstein.
Antisemitismus »Es ist höchste Zeit, obwohl die NS-Wunde tief ist, jüdisches Leben wieder in den Alltag und in die Kultur zu bringen«, sagte die Kulturministerin. Sie mahnte aber auch, dass der Antisemitismus »unter uns und sehr dreist ist«, denn vieles würde wieder gesagt, was vor Jahren undenkbar war. Das habe auch der gerade veröffentlichte Verfassungsschutzbericht bestätigt.
Jüdisches Leben gehöre – so, wie sich die Lübecker Synagoge mitten in der Altstadt befindet –, mitten in die Gesellschaft. Das Land sei sich seiner Verantwortung für den Erhalt der Carlebach-Synagoge, benannt nach Rabbiner Salomon Carlebach, der fast 50 Jahre in der Gemeinde wirkte, immer bewusst gewesen und habe die Sanierung mit 2,6 Millionen Euro gefördert.
Weitere Mittel kamen vom Bund und der Hansestadt Lübeck, deren Bürgermeister Jan Lindenau ebenfalls anwesend war, sowie von verschiedenen Stiftungen. Die gesamte Restaurierung kostet rund zehn Millionen Euro.
Polizeischutz Peter Harry Carstensen bedauerte indes, dass die Polizei immer noch vor der Synagoge präsent sein muss. »Meine Aufgabe ist es jetzt, jüdisches Leben in Schleswig-Holstein wieder selbstverständlich zu machen«, sagte er. »Toleranz ist gönnerhaft, wir wollen Respekt und Anerkennung für alle Jüdinnen und Juden.« Sein Ziel sei es, 2021 das Jubiläum der 1700 Jahre währenden Geschichte jüdischen Lebens mit vielen Veranstaltungen zu feiern.
»Meine Aufgabe ist es jetzt, jüdisches Leben in Schleswig-Holstein wieder selbstverständlich zu machen.«
Antisemitismusbeauftragter Peter Harry Carstensen
»Wir sind sehr stolz, dass jetzt fast alle Arbeiten beendet sind«, sagte Alexander Olschanski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Lübeck. Nun würden noch eine neue Bima, ein neuer Toraschrein und neue Bänke, die im Kibbuz Lavi in der Nähe des Kinneret angefertigt wurden, eingebaut. Eine Handwerkergruppe aus England übernimmt den Einbau. »Sie erhalten aus Israel per Video genaueste Anweisungen«, erklärte die Architektin Petra Woppowa.
Die Architektin berichtete auch, dass vier wertvolle Toramäntel im Unterbau des Aron Hakodesch gefunden wurden, einer sogar von 1880. Sie sollen im Vorraum zum Betsaal oder im künftigen Museum der Synagoge ausgestellt werden.
Die Architektin sorgte auch dafür, einige Fragmente der Zerstörung in der Pogromnacht zu erhalten. Viele Farbschichten hätten sie und ihre Kollegen abgetragen, jetzt aber erstrahlt der Betsaal wieder im historischen Braun-Gelb-Kanon.
Wiedereinweihung »Mit Glück feiern wir im August endlich die Wiedereinweihung unserer Carlebach-Synagoge«, hofft Alexander Olschanski mit Rabbiner Nathan Grinberg und der Gemeinde. Er freue sich auch auf viele nichtjüdische Gäste, die beispielsweise die künftige Ausstellung in der Synagoge über das Wirken Salomon Carlebachs und seiner Familie im nächsten Jahr besuchen können. Auch Lesungen und Konzerte könnten stattfinden.
Schließlich beherbergt die einzige noch erhaltene historische Synagoge in Schleswig-Holstein einen großen Betsaal, eine Frauen-Empore, zwei Kidduschräume, Platz für ein Jugendzentrum, für Sprechzimmer und Büros, eine milchige und eine fleischige Küche im Erdgeschoss, eine Teeküche im zweiten Stock. »Die Synagoge soll ein warmes Zuhause für alle werden, vor allem für unsere Jugend«, sagte Rabbiner Nathan Grinberg.
Nur die Wohnbebauung verhinderte, dass die Synagoge 1938 niedergebrannt wurde.
Die Fassade, die Kuppel und das Innere der 1878 im maurisch-byzantinischen Stil erbauten Synagoge mit einer stattlichen Kuppel wurde in der Pogromnacht 1938 von NS-Schergen zerstört.
Nur die enge Wohnbebauung hinderte sie, das jüdische Gotteshaus niederzubrennen. Die Nazis entweihten die Synagoge zu einer Turnhalle. Nach der Schoa erhielt die Synagoge ihre Bestimmung wieder, dokumentiert mit dem Davidstern und der Inschrift des Psalms 67, Vers 4 »Es danken Dir, Gott, die Völker« auf Hebräisch am Giebel.
2005 feierte die Gemeinde noch den 125. Geburtstag der Synagoge gemeinsam mit der damaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. Festredner war Schlomo Carlebachs Enkel aus Tel Aviv, wie sich Pastorin Ingrid Homann, Mitgründerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Lübeck, erinnert. Doch irgendwann fühlte sich niemand mehr für das wertvolle Gebäude zuständig.
Spenden Pläne zur Sanierung gab es schon 2010, doch erst 2012 beschloss der neue Vorstand mit Alexander Olschanski an der Spitze die Restaurierung. Insgesamt sollte die Sanierung 6,3 Millionen Euro kosten, finanziert zu je einem Drittel von Bund, Land und Stiftungen sowie Spenden als Eigenmittel.
Im Betsaal entdeckten Handwerker und Historiker kunstvoll bemalte Holzkapitelle, Wandmalereien und Fresken bis zu hebräischen Inschriften in der Apsis, die zum großen Teil wieder freigelegt werden konnten. Die Gemeinde musste sich mit Geldnot herumplagen. Es fehlten 3,3 Mil-lionen Euro. Der Bau stoppte. Die Gemeinde konnte nicht einmal mehr die Miete für das Gerüst zahlen.
Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs sorgte 2019 für das Geld, um den Betsaal fertig zu restaurieren. Zum Problem wurden noch die von der Landesregierung gerade nach dem Attentat in Halle geforderten Sicherheitsmaßnahmen, weil die Nachbarn sich gegen Zaun und Kameras wehrten. Doch intensive Gespräche führten zum gegenseitigen Verständnis. Und nun ist die Zeit, da Beter zum Schabbatgottesdienst in den Keller gehen mussten, in Lübeck vorbei.