Trotz bedrückender Nachrichten aus Israel und kühlem regnerischen Wetter im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim hatte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, am vergangenen Sonntag Grund zur Freude.
In dem mittelfränkischen, rund 60 Kilometer westlich von Nürnberg gelegenen Ort konnte er mit Museumsdirektor Herbert May im Beisein lokaler, regionaler und bayerischer Politprominenz, darunter Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, die erste Synagoge in einem süddeutschen Freilandmuseum eröffnen.
Hier wird nicht nur die Bausubstanz erforscht, sondern die »Geschichte in der Geschichte«.
Wenn man nicht wüsste, dass es sich um eine Synagoge handelte, fände man kaum Hinweise dafür.
Aber der schlichte, zweigeschossige Bau mit Satteldach aus der Mitte des 18. Jahrhunderts beherbergte einst in seinem Keller eine Mikwe, im Erdgeschoss die Wohnung des Rabbiners, und zwar Küche, Wohnraum und Schlafraum, sowie im ersten Stock einen Betsaal mit einer durch eine Holzwand separierten Frauenabteilung.
Ebenso wenig könnte man erahnen, dass die Synagoge ursprünglich nicht in Mittelfranken stand. Denn das äußerlich kaum von einem Bauernhaus zu unterscheidende Gebäude stammt eigentlich aus dem unterfränkischen Allersheim, einem Ortsteil des südlich von Schusters Heimatstadt Würzburg gelegenen Marktes Giebelstadt. Die verfallene Synagoge war Ende 2014 abgebaut und ins Museum »übersiedelt« worden. Seither wurde sie aufwendig rekonstruiert.
Religiöses Symbol und Ausdruck von Heimat
Vor der Besichtigung des Gebäudes wies Schuster in seiner Festrede darauf hin, dass jede Synagoge nicht nur ein religiöses Symbol, sondern auch ein Ausdruck von Heimat sei. Die fränkischen Juden hätten ihre Heimat allerdings ambivalent erfahren – auch als »Ort, wo Kirchen gegen sie predigten, Pogrome gegen sie wüteten und aus dem sie vertrieben wurden, nur um im Nachbardorf wieder von vorn anzufangen«. Diese widersprüchliche Erfahrung vieler Landjuden brachte Schuster folgendermaßen auf den Punkt: »Heimat kann auch wehtun.«
Mit Blick auf immer noch virulente antisemitische Vorurteile betonte der Zentralratspräsident, dass die Mehrheit der Landjuden keineswegs wohlhabend gewesen sei: »Die Legende, dass alle Juden reich und privilegiert gewesen seien, welche auch heute noch von manchen kolportiert wird, war damals genauso falsch wie heute.« Wie der überwiegende Teil der Bevölkerung seien auch die Landjuden zumeist arm gewesen und hätten sich häufig als kleine Kaufleute durchschlagen müssen, beispielsweise im Vieh- und Pferdehandel.
Die jüdische Gemeinde in Allersheim gehörte zu den eher kleinen jüdischen Landgemeinden und schrumpfte seit den 1860er-Jahren, also nach Aufhebung der bayerischen Matrikelgesetzgebung, die eine jüdische Mobilität innerhalb des Königreichs stark eingeschränkt hatte, rasch. Da zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch wenige Juden in Allersheim lebten, wurde die Synagoge schließlich 1911 an Privatleute verkauft.
Trotz mancher judenfeindlichen Klischees, die selbst noch in einer 1993 verfassten Chronik von Allersheim zu finden sind, und des ansteigenden Antisemitismus in der Gegenwart betonte Schuster mit Blick auf die Synagoge: »Dieses Gebäude steht für eine unumstößliche Wahrheit: Franken, Bayern und Deutschland sind seit mehr als eineinhalb Jahrtausenden auch die Heimat von jüdischen Menschen.«
Klezmer-Musik gilt als typisch jüdisch
An die »Fränkischen Straßenmusikanten« gewandt, die den Festakt im voll besetzten Zelt musikalisch untermalten, merkte Schuster an, dass die fränkische Volksmusik auch eine jüdische gewesen sei. Die in der Gegenwart als typisch jüdisch geltende Klezmer-Musik sei den Juden in Franken dagegen völlig fremd gewesen. »Ich danke also den Straßenmusikanten, dass sie uns heute mit typisch jüdischer Musik begleiten«, freute sich der Zentralratspräsident.
Auch dem Bezirk Mittelfranken, dem Träger des Fränkischen Freilandmuseums Bad Windsheim, dankte Josef Schuster ausdrücklich. Das Museum stehe an der »absoluten Weltspitze« der Freilandmuseen.
Schuster betonte, dass jüdisches Leben Franken über Jahrhunderte hinweg mit geprägt habe.
Es sei »ein Ort, an dem wahre Experten die allerneuesten Techniken zum Erhalt und zur Erforschung alter Gebäude nicht bloß nutzen, sondern diese ganz maßgeblich entwickeln«. Dort werde außer der Bausubstanz auch der Kontext, also die »Geschichte zur Geschichte«, erforscht, bewahrt und erklärt.
Das Fränkische Freilandmuseum wurde Ende der 70er-Jahre gegründet und besteht aus translozierten Gebäuden aus ganz Franken, die auf dem 45 Hektar großen Museumsgelände wiederaufgebaut wurden. »Als lebenslanger Unterfranke sage ich dem Bezirk Mittelfranken, aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Freilandmuseums, die für dieses wie für die vielen anderen Gebäude schwer gearbeitet haben: Danke«, so der gebürtige Würzburger.
Besonders würdigte der Zentralratspräsident Andrea Kluxen, die langjährige Heimatpflegerin und Kulturreferentin des Bezirks Mittelfranken, die im Januar 2024 in Ruhestand gehen wird. »Kaum jemand hat sich der Geschichte und der Gegenwart der Juden in Mittelfranken mit so viel Hingabe gewidmet«, betonte Zentralratspräsident Schuster und erinnerte daran, dass die Expertin das ebenfalls in Fürth, Schnaittach und Schwabach vertretene »Jüdische Museum Franken« sehr aktiv gestützt und vorangebracht habe.
Mit den auf Initiative der Expertin herausgegebenen zehn Bänden der Publikations- und Tagungsreihe »Franconia Judaica« habe die mittelfränkische Bezirksheimatpflege Maßstäbe gesetzt.
Die Zahl der Teilnehmer an der Eröffnung mache »ein Stück weit Hoffnung in diesen Tagen«, erklärte Bayerns Antisemitismusbeauftragter Spaenle in seinem Grußwort. Es gehe aber um viel mehr. Mit der Synagoge aus Allersheim zeige das Fränkische Freilandmuseum, dass jüdisches Leben Franken über Jahrhunderte hinweg mit geprägt habe.