Dieses Buch zu lesen, bringt einfach Spaß. Angesprochen fühlen sollen sich alle »junge und jung gebliebenen Menschen«, so der Autor. Und das ist Ronen Altman Kaydar in Berliner Rebell*innen geglückt.
In acht Stadtspaziergängen werden Juden wie Fanny Mendelssohn, Henriette Herz, Adolf Jandorf und Martha Jacob begleitet. Und zwar werden sie vorgestellt, als sie selbst jung waren. Auf den Stadtspaziergängen kann man ihre Stationen verfolgen. Allen gemeinsam ist, dass sie Werke veröffentlichten oder Unternehmen gründeten, als sie noch Teenager oder nur wenig älter waren. Auch sprachlich sind die 103 Seiten sehr einladend. Übrigens folgen in der zweiten Hälfte die Texte auf Hebräisch – also auch für Israelis ein Gewinn.
überraschung Dass Fanny Mendelssohn bereits als Kind komponierte, diese Werke aber unter dem Namen ihres Bruders Felix veröffentlicht wurden, dürfte für die meisten Leser keine Überraschung sein. Wohl aber, wie sehr sie Angst vor einer Heirat hatte, denn der Ehemann hätte ihr verbieten können, weiter zu komponieren. Was aber nicht geschah.
Eher unbekannt dürfte die Biografie von Martha Jacob sein, die als Sportlerin sehr ehrgeizig war und deshalb den jüdischen Sportverein verließ, um sich weiterentwickeln zu können. Mit 18 Jahren wurde sie deutsche Meisterin im Speerwurf und nahm 1928 an den Olympischen Spielen in Amsterdam teil.
Eine Entdeckung ist auch Adolf Jandorf, der »unverschämt forsche« Geschäftsmann aus Hamburg, der ein erfolgreiches Unternehmen für den Verkauf von Textilartikeln aufbaute und mit einem bestickten Kissen einen Verkaufsschlager erfand. Für alle Jugendlichen: »Nur ein Viertelstündchen« stand darauf gestickt, also 15 Minuten länger chillen. 1907 gründete er als 37-Jähriger das Kaufhaus des Westens, das wenige Jahre später an Oskar Tietz verkauft wurde.
literatursalon Henriette Herz war 16 Jahre alt, als sie ihren ersten Literatursalon in Berlin gründete. Da war sie bereits zwei Jahre verheiratet. Sie hatte sich immer gewünscht, in einer Gruppe von jungen, gemeinsam lernenden Menschen, die sich angeregt miteinander unterhielten, inspiriert zu werden. Doch die Schulen standen ihr nicht offen.
Als sie mit 16 Jahren in ihrem Wohnzimmer einige Damen einlud, mit ihnen Tee trank und sich über ein Buchgeschenk freute, war das die Geburtsstunde ihres Salons. Es war ein Lyrikband von Goethe, dessen Gedichte sie gleich vorlas. Sie war die erste Jüdin in Berlin, die in ihrem Haus einen literarischen Salon eröffnete.
Ein fiktiver Personalausweis, der übrigens jedem Protagonisten vorangestellt wird, führt ihre Adresse und den Ort ihrer Grabstätte auf. Ebenso ihre Besonderheiten und was sie sonst auszeichnet. Bei Henriette Herz war es, dass sie acht Sprachen beherrschte. Als letzte Rubrik werden – wie bei allen anderen – Spuren, Plätze, Straßen und Alleen, die nach ihr benannt sind, aufgezählt. Grafisch ist das sehr anschaulich mit ihrem Konterfei aufbereitet. Dazu kommen Fotos von Herz und ihrem Ehrengrab.
geburtshaus Der Stadtspaziergang führt von Friedländers Jüdischer Schule, wo heute das Jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn steht, über den Henriette-Herz-Platz zu dem Platz ihres Geburtshauses bis hin zur Wohnung im Nikolaiviertel, wo sie ihren Salon führte.
Also: das Buch in die Hand nehmen, lesen, dann die Schuhe anziehen und die Stadt aus einer anderen Perspektive entdecken.
Ronen Altman Kaydar: »Berliner Rebell*innen. Wie junge Jüdinnen & Juden die Geschichte Berlins prägten«. Ariella, Berlin 2022, 206 S., 16 €