Charlotte Knobloch (93), prominenteste deutsche Jüdin, erinnert sich noch an ihren ersten Kaugummi. Den habe sie gegessen, als US-amerikanische Soldaten 1945 in das fränkische Dorf kamen, wo sie von ihrer Familie versteckt worden war. »Sie haben uns Kindern Süßigkeiten zugeworfen«, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. »Es war der Tag, an dem ich meinen Freunden gesagt habe, dass ich eigentlich anders heiße. Sie haben das nicht verstanden, aber dann ihren Eltern erzählt.«
Knobloch verdankt ihr Überleben in der Nazizeit einer List. Eine ehemalige Hausangestellte ihres Onkels, eine Katholikin, nahm sie 1942 in ihre fränkische Heimat mit und gab sie dort als uneheliche Tochter aus. Ihre geliebte Großmutter, bei der sie nach der Scheidung der Eltern aufgewachsen war, wurde im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Der Pfarrer des Dorfes gehörte zu den wenigen Menschen, der über die wahre Identität des jüdischen Mädchens Bescheid wusste.
»Der Pfarrer geriet in Panik«
Der Pfarrer sei in den allerletzten Kriegstagen in Panik geraten, weil die SS das Dorf besetzte, erinnert sich Knobloch in dem Interview. »Er führte mich in einen unterirdischen Gang bei einem Schloss. Als ich dort hinkam, waren dort bereits einige polnische Zwangsarbeiter. Wir wurden dort nachts versorgt, und als die SS nach ein paar Tagen weitergezogen war, konnten wir auch wieder raus. Da fuhren bereits amerikanische Panzer den Berg hinauf ins Dorf.«
Nach dem Kriegsende sei sie nicht freiwillig in ihre Geburtsstadt München zurückgekehrt, betonte die 93-Jährige. »Ich bin zurückgeholt worden.« Sie, damals 12 Jahre alt, habe auf dem Bauernhof in Arberg bleiben wollen. »Als nach dreieinhalb Monaten endlich mein Vater kam, habe ich ihn auch überredet, noch eine Zeit lang bleiben zu können. Ich war dort ja inzwischen fest verwurzelt, da waren meine Freunde, die Tiere, mein Kater, der mir die Mäuse brachte.«
Später habe sie nach Amerika auswandern wollen. »Aber mein Vater glaubte an die Demokratie, die die amerikanische Militärregierung hier schon früh verankerte. Am Ende bin auch ich hier zu Hause geblieben.»kna