Vieles von dem, was noch vor 20 oder 30 Jahren selbstverständlich war, können sich heutige Jugendliche nicht mehr vorstellen. Etwa ein ganzes Leben lang im selben Unternehmen und Beruf zu arbeiten.
Gleichwohl haben die meisten der 14- bis 17-Jährigen – wenn sie nicht gerade zur Gruppe der sozial Benachteiligten gehören – kaum Zukunftsängste, wie die gerade in Berlin vorgestellte SINUS-Sozialstudie mit dem Titel Wie ticken Jugendliche? ergab. Allerdings betont Marc Calmbach, einer der Autoren der Untersuchung: »Sie nehmen wahr, dass sie in erster Linie nach ihrer Leistungsfähigkeit und Bildungsbiografie beurteilt werden.«
ZUversicht Ob Jugendliche heute anders seien als noch vor zehn, 15 Jahren, könne sie ehrlicherweise nicht sagen, betont Irina Noskina, Jugendreferentin der jüdischen Gemeinde in Karlsruhe. Und eigentlich habe sie auch die Erfahrung gemacht, dass die meisten Kinder aus russischstämmigen oder deutsch-jüdischen Familien kaum Probleme hätten, später ein Studium zu beginnen – dementsprechend seien auch die Zukunftsängste nicht besonders stark ausgeprägt.
Sie selbst habe aber die hohe Zahl von Studienabbrechern in Deutschland überrascht. »Ich frage mich, warum eine Gesellschaft es sich leistet, dass so viele junge Menschen einfach aufgeben – das muss doch ein Warnsignal dafür sein, dass etwas nicht stimmt.«
Im deutschen Schulsystem würden Kinder einfach »viel zu früh abgehängt, und das bringt mich richtig auf die Palme«. Sie fände es auch problematisch, schon früh entscheiden zu müssen, ob die Kinder mit zehn Jahren intelligent genug seien, später das Abitur zu machen und ein Studium aufzunehmen. »Denn«, so Noskina weiter, »manche Kinder brauchen einfach etwas länger, sie sind dann eben ein Jahr später so weit wie die anderen«.
Es werde einfach viel mehr Hilfe für diejenigen benötigt, die nicht so gut mitkommen: »Lehrer, die sich kümmern, Angebote, beim Lernen zu helfen, Unterstützung bei Problemen – man kann die jungen Menschen doch nicht einfach aufgeben.«
Alex Drehmann, Vorstandsassistent in der Jüdischen Gemeinde Aachen, sieht keine großen Unterschiede zwischen den heutigen Jugendlichen und denen, die vor zehn Jahren Teenies waren. »Auch die Angst vor der Zukunft ist bei den meisten nicht stärker ausgeprägt als früher«, sagt er und betont: »Da gibt es übrigens meinen Beobachtungen nach so gut wie keine Unterschiede zwischen jüdischen und nichtjüdischen Leuten.«
Nachhilfe Im Aachener Jugendzentrum wird den Schülern Nachhilfe angeboten, »Madrichim und Studenten helfen in den Fächern, in denen es hakt: Mathe, Englisch, Physik, je nach Bedarf. Nachfragen an Hilfe in Deutsch gibt es übrigens kaum, die meisten Kinder sind ja hier aufgewachsen und können die Sprache.« Wichtig sei einfach: »Wir bieten Lösungen bei Problemen.«
Natürlich hätten die vergleichweise kleinen jüdischen Jugendzentren den Vorteil, dass man dort gezielter auf die Kinder eingehen könnte, sagt der Berliner Mike Delberg, der unter anderem als Jugendleiter tätig war. Und fügt hinzu, dass der in der Studie angesprochene Druck, dem sich viele Jugendliche ausgesetzt sehen, durch die aktuelle Verkürzung der Schulzeit zugenommen habe.
Selbstverständlich könne man nichts verallgemeinern, sagt der 22-jährige Jurastudent, aber »fast alle jüdischen Kinder, die ich kenne, halten nicht nur die schulischen Leistungen, sondern auch soziales Engagement für wichtig. Sei es als Schulsprecher, als Madrichim, im Leistungssport oder bei politischen Aktivitäten. Neben der Schule muss noch Platz für ehrenamtliche Arbeit sein.«
Freizeit Dass dadurch noch weniger Freizeit bliebe, lässt Delberg nicht gelten. »Ach was«, sagt er lachend, »mit intelligenter Zeiteinteilung klappt das. Solche Tätigkeiten machen sich später natürlich auch gut im Lebenslauf, aber die meisten sind mit vollem Herzen dabei.« Generell habe er beobachtet, dass »die Jugendlichen von heute immer fitter sind, was natürlich auch daran liegt, dass beispielsweise in den jüdischen Jugendzentren so viele Ältere da sind, die ihnen erklären, wie es funktioniert«.
Aus prekären Familien-Situationen herauszukommen sei schwer, aber möglich. »Das ist auch etwas, was ich den Kindern versuche, beizubringen: Man muss schon selbst aktiv werden. Und wenn man dazu noch Leute hat, die einem zur Seite stehen, dann kann man ganz viel erreichen.«