Abstand halten, einen Mund-Nasen-Schutz tragen und regelmäßig die Hände waschen – eigentlich sind die neuen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus in den Synagogen Berlins auch die alten.
Denn als Bund und Länder Ende Oktober weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens bekannt gaben, um damit den Weg für eine Art Shutdown »light« frei zu machen, waren die Religionsgemeinschaften davon ausgenommen. »Wir haben zu den Gottesdiensten keine Verschärfungen gemacht, weisen aber darauf hin, dass unbedingt die Hygieneregeln eingehalten werden müssen«, so die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Frühjahr »Für uns hat sich in den vergangenen Monaten daher eigentlich nichts Wesentliches verändert«, bringt Rabbiner Jonah Sievers die Situation auf den Punkt. »Seit dem Ende des ersten Lockdowns im Frühjahr gelten durchgängig dieselben Regeln: maximal 50 Besucher im Gottesdienst, auf jeden Fall und zu jedem Zeitpunkt den Mindestabstand einhalten und überall einen Mundschutz tragen«, so der Rabbiner der Synagoge Pestalozzistraße. »Und sie werden auch von allen eingehalten«, fügt er hinzu.
Die großzügigen Räumlichkeiten machen es Betern, Kantor und Rabbiner zudem relativ leicht, Vorschriften zu beachten und Hygienekonzepte umzusetzen. »Darüber hinaus übertragen wir unsere Gottesdienste weiterhin via Livestream. Auch das hat sich bewährt und wird recht gut angenommen«, sagt Rabbiner Sievers.
Rabbiner greifen jetzt öfter zum Telefon – zur Freude älterer Gemeindemitglieder.
Was jedoch in Zeiten der Pandemie und explodierenden Infektionszahlen schwierig bleibt, ist der Kontakt mit Risikogruppen wie Senioren oder chronisch Kranken. »Da kann man nicht einfach Hausbesuche machen«, gibt Rabbiner Sievers zu bedenken. Er greift deshalb nun öfter als früher zum Telefon, um vor allem mit älteren Gemeindemitgliedern in Verbindung zu bleiben. »Gute Erfahrungen haben wir ebenfalls mit unserem ›Mitzwa-Express‹ gemacht«, sagt Sievers. Auf diese Weise will man Gemeindemitgliedern, die Hilfe benötigen, unter die Arme greifen und sie beispielsweise mit koscherem Essen versorgen. Diese Angebote haben sich mittlerweile herumgesprochen.
AKZEPTANZ Das gute alte Telefon ist auch für Rabbiner Boris Ronis von der Synagoge Rykestraße wieder ein wichtigeres Arbeitsmittel geworden. Denn die Gottesdienste, die er normalerweise im Jeanette-Wolff-Seniorenzentrum in der Dernburgstraße abhalten würde, können derzeit nicht stattfinden. »Natürlich wären auch mir die persönlichen Kontakte lieber«, betont er. »Ich vermisse die Menschen dort sehr und versuche, wenigstens mit einigen von ihnen telefonisch in Verbindung zu bleiben. Und wer mich sprechen möchte, kann jederzeit bei mir anrufen.«
Auch alle Angebote in der Rykestraße, die sich an Kinder richten, müssen derzeit pausieren. »Das stimmt mich gleichfalls sehr traurig. Aber der Schutz des Lebens hat oberste Priorität, und deshalb sehe ich im Moment kaum eine andere Möglichkeit. Kinder, die infiziert sind, zeigen oftmals keinerlei Symptome. Das Risiko wäre mir einfach zu groß.«
Darüber hinaus gelten auch in der Rykestraße weiterhin die gleichen Hygienevorschriften wie in den Monaten zuvor. »In jeder Reihe dürfen nur maximal vier Personen Platz nehmen, und jede zweite ist ohnehin abgesperrt«, skizziert Rabbiner Ronis die Umsetzung der Maßnahmen in seiner Synagoge. Kidduschim gibt es seit Monaten keine mehr, gemeinsame Essen sowieso nicht, und überall in der Synagoge finden sich Desinfektionsmittel für die Hände. Probleme mit der Akzeptanz gibt es so gut wie keine. »Schließlich ist ja alles längst irgendwie Routine geworden.«
KIDDUSCHIM Auch bei Chabad Lubawitsch verzichtet man weiterhin auf Kidduschim. »Wir achten sehr streng auf die Einhaltung aller Regeln«, berichtet Rabbiner Yehuda Teichtal. »Ferner führen wir ganz genaue Anwesenheitslisten. Ohne Einladung kann im Moment keiner spontan zu den Gottesdiensten erscheinen.« So will man für den Ernstfall gewappnet sein und gegebenenfalls Infektionsketten schnell nachvollziehen können. »Aber bis dato war das noch nicht notwendig. Die Menschen nehmen die Pandemie sehr ernst und verhalten sich äußerst diszipliniert.«
Die meisten Angebote für Familien pausieren derzeit, denn Kinder zeigen häufig keine Symptome.
Gottesdienste finden alle wie gewohnt statt – selbstverständlich auch bei Chabad unter Beachtung des vorgeschriebenen Mindestabstands. Alles wird regelmäßig desinfiziert, sogar die Gebetsbücher. »Zwei Dinge haben wir aber noch zusätzlich ins Leben gerufen«, sagt Teichtal. »Zum einen unsere Online-Prä-Schabbat-Gottesdienste, mit denen wir diejenigen erreichen wollen, die nicht zu den Gottesdiensten kommen können, zum anderen Hausbesuche bei älteren Gemeindemitgliedern – aber auch hier nur unter Einhaltung der gebotenen Distanz. Niemand soll sich in diesen schweren Zeiten alleine fühlen.« Die Sonntagsschule für Kinder läuft ebenfalls weiter wie gewohnt. »Aber im Schichtbetrieb und mit deutlich kleineren Gruppen. Manche Angebote für die Jüngeren dagegen finden ausschließlich online statt.«
PLEXIGLAS Auch in der Synagoge Joachimstaler Straße hat man sich einiges einfallen lassen. »Einer unserer Beter hat eine Trennscheibe aus Plexiglas entworfen«, berichtet Rabbiner Yitshak Ehrenberg nicht ohne Stolz. »Auf diese Weise können unsere Gemeindemitglieder weiterhin zur Tora aufgerufen werden, den Text sehen und lesen, ohne dass die Personen unmittelbar auf der anderen Seite dahinter gefährdet werden. Das erfüllt mich mit großer Freude, dass wir so auch in Pandemie-Zeiten unsere Traditionen weiter aufrechterhalten können«, sagt Ehrenberg.
Nicht nur Schabbatgottesdienste werden regelmäßig in der Joachimstaler Straße abgehalten, zudem kommen jeden Morgen und Abend genug Beter für einen Minjan zusammen. »Die Räumlichkeiten machen es uns einfach«, sagt Ehrenberg. »Wir haben sehr hohe Decken und lüften immer wieder in kurzen Abständen.« Das wiederum gefällt nicht allen Betern. »Einige beschweren sich dann, dass es zieht und kalt ist.« Mit diesen Problemen jedoch können alle recht gut leben – und haben sich arrangiert.