Vorsätze

Alles neu macht der Januar

Morgens einen frisch gepressten Saft aus Zitrusfrüchten, mittags einen Salat mit getrockneten Früchten und Nüssen, dazu etwas Olivenöl, ein bisschen Quinoa und abends Tee statt Wein? Sind Sie schon mitten im »Veganuary« oder machen Sie »Dry January« und haben noch Spaß dabei? Das neue Kalenderjahr inspiriert viele Menschen, sich gesünder zu ernähren, auf gewisse Dinge zu verzichten, um frisch auf die vor uns liegenden 51 Wochen zu blicken. Wir haben uns umgehört, wie das Konzept des zeitweisen Verzichts in der jüdischen Gemeinschaft ankommt.

Barbara Traub, Stuttgart
Die Kampagne »Dry January« war mir bisher wenig bekannt. Im Judentum haben wir eine Menge Gelegenheiten, die zum Neustart einladen. Gerade vor oder nach Feiertagen. Auf körperliche, geistige und seelische Gesundheit zu achten, ist prinzipiell eine gute Sache. Ich bin gerade in Wien. Hier trifft man sich traditionell beim Eislaufen vor dem Wiener Konzerthaus. Hier habe ich als gebürtige Wienerin Eislaufen gelernt, und die Schuhe, mit denen ich in diesen Tagen über die 6000 Quadratmeter große Freiluft-Eislauffläche gleite, sind genauso alt. Man trifft Familie und Freunde. Anders als im Fitnesscenter ist jeder hier nicht mit sich allein und seinem Körper beschäftigt. Eislaufen fühlt sich lebendig an. Es hat einen kommunikativen Charakter, stärkt Freundschaften und Beziehungen. An den Wänden der Bahnen hängen historische Fotos – Eislaufen in Wien ist eine Tradition. Hier treffen sich Mitglieder der jüdischen Gemeinde, auch orthodoxe Frauen und Männer. Wenn ich in Stuttgart bin, nutze ich gern mein Fahrrad, und nicht nur nach Chanukka esse ich bewusst weniger Fleisch. In allen Wiener Straßenbahnen gibt es gerade eine öffentliche Kampagne, weniger Fleisch zu essen. Österreich ist bekannt dafür, dass hier viel Fleisch gegessen wird. Also ist die Kampagne sinnvoll. Auch wenn das politische Österreich nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mo­mentan größere Probleme hat als die Menge des Fleischverzehrs.

Boris Rosenthal, Berlin
Wenn es einen triftigen Grund gäbe, auf etwas zu verzichten, wäre ich dabei. Musik bestimmt meinen Alltag, ich übe viel und habe in den vergangenen Wochen Konzerte in 35 Städten Deutschlands gegeben. Wenn mir versprochen würde, dass durch meinen Verzicht die Kriege in Israel und in der Ukraine sofort beendet würden, wenn ich einen Monat lang auf das Musizieren verzichte, würde ich es sofort machen und meiner Gitarre Ruhe gönnen. Ja, das würde ich tun. Aber eigentlich brauche ich Musik jeden Tag. Ich bin ein disziplinierter Mensch und möchte mich auch musikalisch weiterentwickeln. Einfach einen Monat auf Alkohol zu verzichten, finde ich falsch. Außer, wenn man es aus gesundheitlichen Gründen tun möchte. Ansonsten denke ich, dass jeder für sich entscheiden sollte, ob er einen Schluck oder einen Liter trinkt. Süßigkeiten interessieren mich nicht so, die brauche ich nicht. Bei selbst gebackenem Kuchen sieht das anders aus, den kann ich genießen – brauche ihn dennoch nicht täglich.

Adi Kaslasy-Way, Berlin
Veganuary oder Dry January? Ich muss zugeben, dass ich davon bislang nichts gehört habe. Das Konzept eines zeitweisen Verzichts – sei es nun Nahrung oder Alkohol – ist mir generell zu absolut. Ich glaube an das Gleichgewicht. Denn wenn man etwas auf absolut radikale Weise macht, hält es oft nicht lange vor. Das gilt zum Beispiel für Diäten genauso wie für andere Lebensbereiche. Wenn man zu sehr ins Extrem geht, kann es sein, dass man früher oder später aufgibt. Ich habe mich im Laufe des Lebens entschlossen, permanent auf einige Dinge zu verzichten – aber aus rein gesundheitlichen Gründen. Ich esse kein rotes Fleisch, keinen Käse oder irgendwelche Lebensmittel mit einem hohen Fettanteil oder viel Zucker. Ich trinke sehr selten Alkohol, rauche nicht. Meine Schwangerschaft hat das vor ein paar Jahren mit sich gebracht – das ist letztendlich der größte Verzicht, denn die Gesundheit meines Kindes ist mir das Wichtigste. Ich bin Trauma- und Life-Coach und achte auch in der Arbeit mit meinen Klienten auf Ausgeglichenheit. Für sie möchte ich aufmerksam, wach und fit sein, um ihnen auf ihrem Weg helfen zu können. Ein guter Ratgeber ist: regelmäßige Bewegung im Freien, ein Spaziergang zum Beispiel – sogar jetzt im Winter. Ich sage meinen Klienten immer, dass, wenn es ihnen schlecht geht oder sie sich ein wenig niedergeschlagen fühlen, sie eben nicht zu Hause bleiben sollen. Denn wenn der Körper aktiv ist, dann ist auch unsere Seele aktiv.

Rabbiner Shneur Trebnik, Ulm
Wenn Gott uns Wein schenkt, sollten wir den genießen. Der Segensspruch am Schabbat wird, um den Feiertag zu heiligen, über Wein und Brot gesprochen, nicht über Traubensaft und Brot. Wir leben hier in dieser Welt mit dem Ziel, Gott zu dienen. Alles, was diesem Ziel hilft, ist erwünscht. Übermäßiger Weingenuss kann uns aber an unsere Grenzen führen; wir machen Fehler. Wenn wir das merken, sollten wir einen Schritt zurücktreten. Reb Zalman (Meshullam Zalman Schachter-Shalomi, 1924–2014) sagt: »Was verboten ist, ist verboten. Was erlaubt ist, muss man nicht immer haben.« Deshalb wird in der Tora auch von einer »trockenen Zeit« für eine bestimmte Zeit gesprochen, nachdem wir schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wobei sich das natürlich nicht nur auf den Wein beschränkt. Es geht darum, sich manchmal in Handlungen zurückzuhalten oder sich zu reduzieren. Was mich persönlich betrifft, kann ich sagen, ich bin nicht im Januar geboren, der Januar spielt also keine Rolle in meinem Leben. Aber ich nehme jeden meiner Geburtstage zum Anlass, etwas zu verbessern in meinem Leben. Zum Beispiel essen wir regelmäßig gemeinsam in der Familie. Unter der Woche gab es manchmal Zeitmangel, um nach dem Essen gut Birkat Hamason zu sprechen. Meine Gedanken schweiften ab. Statt auswendig zu sprechen, hatte ich mir dann vor einigen Jahren angewöhnt, den Segen aus dem Siddur zu lesen. Ich nahm mir die Zeit und konnte meine Gedanken besser bündeln.

Pedro Elsbach, Berlin
Meine Frau und ich verzichten fast immer auf Alkohol. Pro Woche teilen wir uns eine Flasche Bier. Ansonsten greifen wir lieber zu alkoholfreiem Bier. Deshalb spielt es für uns keine Rolle, dass jetzt gerade zum Dry January und Veganuary aufgerufen wird. Wenn es anderen guttut, auf Alkohol oder Fleisch zu verzichten, dann sollen sie es natürlich tun. Für mich ist das nichts. Denn wir halten uns alle zwölf Monate beim Konsum von Fleisch zurück. Ja, wir essen schon etwas, aber vielleicht nur ein- bis zweimal die Woche. Und da legen wir auch Wert auf hochwertige Produkte und kaufen nur in Bioläden ein. Sofern wir es uns erlauben können, legen wir das bestmögliche Fleisch in unseren Einkaufswagen. Schweinefleisch gibt es bei uns natürlich nie. Aber auch Kalbfleisch kommt bei uns nicht mehr in die Pfanne. Unsere Tochter hat ökologischen Landbau studiert und gab uns zu verstehen, dass Kalbfleisch auch nicht geht. Aber ich muss gestehen, dass es mir schwerer fällt, einen Bogen um Süßigkeiten zu machen.

Lena Bakman, Berlin
Ich halte nichts von drastischen Veränderungen und bevorzuge kleine, stetige Schritte, um meine Ziele zu verwirklichen. Der Gedanke, etwas ganz aufzugeben, behagt mir nicht. Wenn ich mir zum Beispiel vornehme, mehr Gemüse zu essen, würde ich mich nicht gleich zu Beginn des Jahres zu einem Veganuary-Vorsatz verpflichten, weil ich weiß, dass ich ihn nicht durchhalten könnte. Wenn es aber eine gesundheitliche Notwendigkeit wäre, hätte ich keine andere Wahl, als mich anzupassen. Wenn ich jedoch die Wahl habe, ziehe ich Ausgewogenheit und Integration extremen Maßnahmen vor.

Jehuda Wältermann, Oldenburg
Ehrlich gesagt, habe ich noch nie etwas vom Dry January gehört. Die Frage, ob man einen Monat lang freiwillig auf Alkohol verzichten möchte, stellt sich mir nicht, weil ich eigentlich nur an Schabbat ein paar Schluck Wein trinke. Aber einen Schabbat ohne Wein kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen; der gehört für mich dazu. Ich bin mir nicht sicher, ob koscherer Traubensaft eine Alternative sein könnte. Wenn ich mich mit Freunden treffe, kann es schon mal vorkommen, dass ich ein kleines Gläschen Whisky trinke – einfach wegen des Geschmacks. Im Januar ist es wahrscheinlich für Juden noch möglich, Alkohol vorübergehend eine Absage zu erteilen, aber spätestens zu Purim sieht es anders aus. Ich wüsste gar nicht, worauf ich verzichten könnte, denn ich bin kein »Konsummensch«. Statussymbole sind nicht mein Fall. Ich bin jemand, der es mag, dass die täglichen Abläufe immer gleich sind. Beispielsweise brauchte ich ein Jahr, um von Cappuccino auf schwarzen Kaffee umzusteigen. Auf keinen Fall möchte ich auf meine Frau verzichten.

Zusammengestellt und aufgezeichnet von Brigitte Jähnigen, Katrin Richter und Christine Schmitt

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